Ärztin mit Datenblatt im Krankenhaus
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Medizin

Viele Studien verschwinden in der Schublade

Seit sechs Jahren müssen die Ergebnisse aller Medizinstudien in der EU veröffentlicht werden. Doch das kümmert viele Forscher und Forscherinnen in Österreich nicht: 80 Prozent tragen die Resultate nicht in eine entsprechende EU-Datenbank ein.

Schätzungen gehen davon aus, dass die Hälfte davon überhaupt nicht publiziert wird – also auch nicht in Fachzeitschriften oder anderen Medien. Das bedeutet, dass rund 40 Prozent aller von Medizinunis beauftragten Studien, die Arzneimittel untersuchen, niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

„Wenn Ergebnisse nicht veröffentlicht werden, dann hemmt das den Forschungsfortschritt. Das kann dazu führen, dass Medikamente langsamer entwickelt werden und später zu Patienten und Patientinnen kommen“, sagt Barbara Nußbaumer-Streit, Leiterin des Zentrums Cochrane Österreich an der Donau-Uni Krems, gegenüber science.ORF.at. Die Organisation Cochrane Österreich präsentiert die bisher einzigartige Analyse zu medizinischen Publikationen in Österreich, durchgeführt wurde sie von der britischen Organisation Transparimed.

Versuch, Publikationsbias zu mildern

Der Hintergrund: Eigentlich, so könnte man meinen, müssten alle Auftraggeber und Autorinnen medizinischer Studien ein Interesse haben, deren Resultate auch zu veröffentlichen. Das ist aber nicht immer der Fall. Gar nicht so selten werden Studien abgebrochen, etwa weil die Anzahl beteiligter Patienten zu gering ist oder die Finanzierung nicht klappt. Oder sie werden bis zum Schluss durchgeführt, die Forscherinnen und Forscher können aber keinen Zusammenhang zwischen einem Arzneimittel und einer Wirkung feststellen.

Die Studie

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Über das Thema berichtet auch Wissen aktuell: 25.2., 13:55 Uhr.

Diese negativen Zusammenhänge sind viel unbeliebter als positive Zusammenhänge – denn diese versprechen eher die Entwicklung eines Medikaments und somit ein Geschäft oder ein besonderes Interesse des Fachpublikums. Die Studien dazu werden entsprechend gerne in den prestigeträchtigen Fachzeitschriften der Branche veröffentlicht. Die anderen aber verschwinden oft in den Schubladen – obwohl der Nachweis eines Nicht-Zusammenhangs oder einer geringeren Wirksamkeit als bisher angenommen den wissenschaftlichen Fortschritt genauso beflügelt.

Dieser “Publikationsbias“ ist seit Jahrzehnten bekannt. Um ihm zu begegnen, verlangen die US-Arzneimittebehörde FDA und das europäische Pendant EMA seit einigen Jahren, dass ausgesuchte Daten zu allen Studien, die Arzneimittel entwickeln, veröffentlicht werden müssen. Dazu zählen Struktur, Beginn und Ende der Untersuchungen sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Die EMA hat dafür das EU Clinical Trials Register geschaffen, eine Online-Datenbank, in der alle Forscherinnen und Forscher innerhalb der EU die zusammengefassten Resultate ihrer Studien spätestens ein Jahr nach Studienende hochladen müssen – seit 2014 sind die Einträge laut einer EU-Richtlinie obligatorisch.

MedUni Wien: Nur 13 Prozent der Studienresultate

Wie die Analyse von Transparimed nun zeigt, halten sich aber in Österreich die wenigsten an diese Vorschriften. Knapp 700 klinische Studien mit österreichischen Auftraggebern befinden sich in dem Online-Register. 334 von ihnen sind laut Transparimed bereits nachweisbar abgeschlossen, dennoch haben nur 18,3 Prozent ihrer Studienautorinnen und -autoren die Ergebnisse zusammenfassend gemeldet. Im internationalen Vergleich ist das sehr bescheiden, der EU-Schnitt liegt bei einer Rate von 64 Prozent. Immerhin: Deutschland ist noch schlechter platziert als Österreich.

Fachjournale in einer Bibliothek, Publikationen
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Mit Abstand größter Aufraggeber des Landes ist die Medizinische Universität Wien: Nur 13 Prozent ihrer Forscher und Forscherinnen melden die Studienergebnisse in dem Online-Register. An den Medizinunis in Innsbruck und Graz geht es mit 20 Prozent auch nicht sehr viel transparenter zu. Dazu berichtet Transparimed von jeder Menge Schlampereien, etwa Studien, die keiner Institution eindeutig zugeordnet werden können, oder von sich widersprechenden Angaben in der Datenbank.

EU-Register kompliziert zu bedienen

„In Österreich gibt es großen Nachholbedarf in Sachen Transparenz“, fasst es Barbara Nußbaumer-Streit, die stellvertretende Direktorin von Cochrane Österreich, zusammen. Durchaus einsichtig und ein wenig reumütig zeigen sich auch die angesprochenen Medizinunis. „Die Performance ist nicht so gut, wie wir es gerne hätten“, sagt etwa Michael Wolzt, der Leiter des Koordinationszentrum für Klinische Studien (KKS) an der MedUni Wien. Einen Grund für die niedrige Veröffentlichungsquote sieht er in der schlechten Bedienbarkeit des EU-Registers. „Es ist wie bei einem Adventkalender, wenn man ein Türchen öffnet, weiß man nicht, was sich dahinter verbirgt. Genauso ist die Dateneingabe: Man gibt etwas ein, und plötzlich öffnen sich die nächsten Dialogfelder, ohne dass man weiß, welche Daten man braucht“, so Wolzt gegenüber science.ORF.at.

An dieser Schraube können die Medizinunis selbst nicht drehen, sehr wohl aber die Betreuung der Studienautoren- und autorinnen verbessern. „Die MedUni Wien überarbeitet gerade einen Leitfaden, der Anwendern Tricks für eine leichtere Dateneingabe verrät“, so Wolzt. Außerdem sollen jene Studien herausgefunden werden, bei denen die Dateneingabe bisher mangelhaft ist. „Wir werden die Autoren anschreiben und ihnen mit dem Leitfaden Hilfestellung anbieten.“ Wolzt hofft den Anteil der im Register vertretenen Studien mit vollständigen Datensätzen von heute 13 auf 20 Prozent im nächsten Jahr steigern zu können. Danach sollen jedes Jahr weitere zehn Prozent hinzukommen.

Zentrale Anlaufstelle wäre sinnvoll

Transparimed und Cochrane Österreich empfehlen in ihrem Bericht eine Reihe von Maßnahmen, um die Situation zu verbessern. Ein Vorschlag ist es, die Ethikkommissionen der Medizinunis in den Prozess der Veröffentlichungspflicht einzubauen, da diese sowohl vor Beginn einer Studie kontaktiert werden müssen als auch einen zusammenfassenden Abschlussbericht erhalten – sie hätten also die nötigen Informationen für das EU-Register.

Michael Wolzt von der MedUni Wien hält das dennoch für keine gute Idee. „Die Ethikkommission hat keine gesetzlich vorgesehene Kompetenz, den Forschern bei der Dateneingabe dreinzureden. Im Gegenteil – sie muss unabhängig von der Studie bleiben, weil sie sich nur dann ihre wissenschaftlich und ethisch fundierte Meinung bilden kann.“

Eine zentrale Stelle, die sich um die Eingabe der Daten kümmert und damit auch um die Transparenz von Studienergebnissen, hält der Experte von der MedUni Wien aber prinzipiell für überlegenswert. Vorbild dafür könnte Großbritannien sein, wo eigene Forschungsbüros die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beim Publizieren unterstützen – von der Studienplanung bis zur Berichtslegung. Dies würde aber ein Bruch mit dem bisherigen System in Österreich bedeuten, wo die Studienleiter selbst dafür verantwortlich sind. „Wenn die Unis nun solche Büros als Forschungsservice anbieten sollten, bräuchten sie dafür Personalausstattung und Infrastruktur“, betont Wolzt.

Ob ein solches Forschungsbüro jemals verwirklicht wird, steht in den Sternen. Im zuständigen Gesundheitsministerium setzt man darauf, dass die eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen weiter fortgesetzt werden. Man bekenne sich zu mehr Transparenz bei Medizinstudien und gehe davon aus, dass in Zukunft mehr Studien veröffentlicht werden – die Zahl steige bereits.

Vorbild Großbritannien

Großbritannien ist für Transparimed jedenfalls insgesamt ein Vorbild. Im Schnitt stellten die britischen Universitäten – in Vor-Brexit-Zeiten – 72 Prozent ihrer Studienresultate in das EU-Register, einzelne Unis sogar zu 100 Prozent. Die Ursachen dafür sind laut Transparimed vielfältig: Der politische Wille und der öffentliche Druck für mehr Transparenz seien in Großbritannien viel stärker ausgeprägt, große Förderorganisationen hätten zudem angekündigt, ihre Gelder mit einer Veröffentlichungspflicht zu verknüpfen. Alles Dinge, die auch Barbara Nußbaumer-Streit von Cochrane Österreich unterstützt. Sie nimmt aber auch die zuständige Behörde, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) in die Pflicht: „Das BASG sollte mehr als bisher kontrollieren, ob die Daten im EU-Register vollständig und konsistent sind.“

Das BASG selbst hält die Transparimed-Studie für einen „wichtigen und willkommenen Beitrag“. Es hält in einer Reaktion „die Botschaft über die Bedeutung der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen für wichtig“ und unterstützt sie „vollinhaltlich“. Das Gesundheitsministerium verweist auf die Bedeutung der BASG, die Studienauftraggeber schult und informiert, und zeigt sich „überzeugt, dass sich die Situation in den kommenden Monaten und Jahren deutlich verbessern wird“.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at