Menschen in Südafrika mit Corona-Masken
AFP – PHILL MAGAKOE
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Afrika hat aus früheren Epidemien gelernt

Afrika kommt besser durch die Coronavirus-Pandemie als anfänglich erwartet. Ein Grund dafür ist die im Durchschnitt viel jüngeren Bevölkerung. Der Kontinent kann aber auch stark auf seine Erfahrungen mit anderen Epidemien zurückgreifen.

Unkontrollierbare Infektionsketten und unzählige Tote: Die anfänglich sehr düsteren Prognosen für Afrika sind bisher nicht eingetreten. Die Afrikanischen Zentren für Krankheitsbekämpfung und Schutzmaßnahmen (Africa CDC) melden aktuell für den Kontinent mit einer Bevölkerung von rund 1,3 Milliarden rund 45.000 Covid-19-Todesfälle. Das entspricht ungefähr den Covid-19-Todesfällen in Großbritannien.

Dunkelziffer und länderspezifische Entwicklungen

Bei Vergleichen zwischen Europa und Afrika sei Vorsicht geboten, warnt Marcus Bachmann von „Ärzte ohne Grenzen“. Die Dunkelziffer sei in Afrika viel höher als in Europa, da weniger getestet werde. „Seit Beginn der Pandemie ist in Österreich in etwa eine Person von vier einmal getestet worden. Am afrikanischen Kontinent ist es eine Person von siebzig.“

Auch sei die Situation von Land zu Land unterschiedlich. In den Maghreb-Staaten im Norden Afrikas steigen im Moment die Infiziertenzahlen wieder. „Hier sieht man ganz klar eine zweite Welle“, sagt Bachmann. Das sei besonders im Bürgerkriegsland Libyen besorgniserregend. Neben dem Norden ist auch der Süden Afrikas stärker betroffen. In Südafrika, das schon bisher die höchsten Fallzahlen aufwies, steigen die Fälle erneut an.

Unterschiedliche Erklärungen

Die große Todeswelle in Afrika ist ausgeblieben. Das hat mehrere Gründe. Der afrikanische Kontinent profitiert von seiner im Vergleich zu Europa durchschnittlich viel jüngeren Bevölkerung. Auch nehmen Forscher an, dass viele Menschen in Afrika besser mit dem SARS-CoV-2 Virus zurechtkommen könnten, da Wurmerkrankungen ihr Immunsystem dämpfen und überschießende Immunreaktionen daher seltener sind. Zudem können afrikanische Länder auf ihre Erfahrungen mit anderen Epidemien zurückgreifen.

„Epidemien sind für Menschen am afrikanischen Kontinent eine Realität und ein ständiger Begleiter“, sagt Marcus Bachmann, der viele Einsätze in Epidemie-Gebieten in Afrika geleitet hat. Seine letzten beiden Einsätze führten ihn in die Demokratische Republik Kongo. Dort waren die Menschen gleichzeitig mit fünf Epidemien konfrontiert: Neben der Ebola-Epidemie herrschte dort eine Cholera- und eine Pestepidemie. Auch Malaria hatte Epidemie-Charakter angenommen, da viele Menschen auf der Flucht waren und sich nicht mit Malarianetzen schützen konnten. Auch brach 2019 im Kongo eine Masern-Epidemie aus. Es handelt sich dabei um den weltweit größten Masernausbruch, der bis heute nicht eingedämmt werden konnte.

„Ärzte ohne Grenzen“-Mitarbeiter in Johannesburg/Südafrika bei Coronavirus-Test
AFP – MICHELE SPATARI
„Ärzte ohne Grenzen“-Mitarbeiter in Johannesburg/Südafrika bei Coronavirus-Test

Erprobte Epidemie-Bekämpfung

„Ärzte ohne Grenzen“ war vor Ort, um das Ebolafieber einzudämmen. Eine Infektionskrankheit, die in 25 bis 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft. „Die Gnadenlosigkeit dieser Erkrankung hat die afrikanischen Länder gelehrt, rasch zu handeln und nicht zuzuwarten“, erzählt Bachmann. Eine Lehre, die bei Ausbruch der Coronavirus-Pandemie sehr hilfreich war. Afrikanische Regierungen erließen rasch Reise- sowie Ausgangsbeschränkungen. Und auch die Bevölkerung wusste bereits, wie sie ihr Verhalten ändern muss, um Infektionsketten einzudämmen.

Schon bei der großen Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 bis 2016 wurde eine „no touch policy“ propagiert. Darunter fielen Maßnahmen, wie regelmäßig Hände waschen, Kontakte reduzieren oder sich im Falle von Symptomen abzusondern und sich testen zu lassen. Maßnahmen, die mittlerweile auch in Europa, hier jedoch unter dem Schlagwort „social distancing“, bekannt sind. Bars, Kinos und die Strände waren gesperrt und die Schulen für eineinhalb Jahre geschlossen, erzählt Einsatzleiter Marcus Bachmann. Gelernt wurde zu Hause mit Hilfe von Radiosendungen.

Vertrauen als Schlüsselfaktor

Zentral für die Bekämpfung der Ebola-Epidemie seien Community Healthcare Workers gewesen, berichtet Bachmann von seinen Erfahrungen. Darunter versteht man Personen aus der lokalen Bevölkerung, die medizinisch geschult werden und ihr Wissen weitergeben. „Mit ihrer Hilfe ist es gelungen, Vertrauen zum Gesundheitssystem und zu humanitären Helferinnen und Helfern aus dem Ausland aufzubauen.“ Dieser dezentrale Ansatz einer Basisversorgung helfe nun auch bei der Eindämmung des SARS-CoV-2 Virus.

Abstandhalten und Infektionskontrolle sind für den Kontinent keine neuen Maßnahmen. Ebenso hätte man gelernt, dass man trotz Epidemien andere Gesundheitsaspekte nicht aus den Augen verlieren darf, sagt Marcus Bachmann. „Sonst gewinnt man Leben auf der einen Seite und verliert möglicherweise mehr Leben auf der anderen Seite an andere Pathologien.“