Politikersprache

„Hybris-Syndrom“ bei Orban entlarvt

Mächtige Führungskräfte und Politiker können nach einiger Zeit im Amt ein Verhalten an den Tag legen, das von Selbstüberschätzung, Rücksichtslosigkeit und Verachtung für andere geprägt ist. Dieses „Hybris-Syndrom“ lässt sich an der Sprache erkennen, wie ein Forschungsteam am Beispiel des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban beschreibt.

Das Forschungsteam mit Beteiligung der Central European University (CEU) in Wien berichtet im Fachjournal „Plos One“, entsprechende Sprachmuster bei wiedergewählten ungarischen Ministerpräsidenten nachgewiesen zu haben.

Ein deutlicher Hinweis auf das Hybris-Syndrom sei der Wechsel von der ersten Person Singular („ich“) zur ersten Person Plural („wir“) in der spontanen Rede, schreiben Lilla Magyari von der Universität Stavanger in Norwegen, Csaba Pleh vom Department of Cognitive Science der CEU und Balint Forgacs von der Eötvös Lorand Universität Budapest in ihrer Arbeit. Dieses sprachliche Indiz für die Persönlichkeitsveränderung sei bisher ausschließlich im Englischen beschrieben worden.

Erste Person Plural bei Orban besonders häufig

In der Studie wurde nun das Verhältnis zwischen den beiden Pronomenformen in den spontanen parlamentarischen Reden der vier ungarischen Premierminister analysiert, die zwischen 1998 und 2018 regiert haben: Viktor Orban, Peter Medgyessy, Ferenc Gyurcsany und Gordon Bajnai. Um Reden von professionellen Redenschreibern zu vermeiden, entschied sich das Forschungsteam für diese Wortmeldungen im Parlament.

Laut Studie zeigte sich, dass „Orban während seiner zweiten Amtszeit (2010-2014) häufiger die erste Person Plural im Vergleich zur ersten Person Singular verwendete als die anderen drei Premierminister während ihrer Amtszeit“. Orban, der von 1998 bis 2002 und von 2010 bis heute regierte, sei „am längsten an der Macht, was ihn besonders anfällig für das Hybris-Syndrom macht“, erklärte Pleh in einer Aussendung der CEU.

Orban und Gyurcsany, letzterer wurde nach seiner ersten Amtszeit 2004-2006 ebenfalls wiedergewählt und war bis 2009 im Amt, wiesen in ihrer zweiten Amtszeit ein höheres Verhältnis der Erste-Person-Plural-Form gegenüber der Singular-Form auf, „was wahrscheinlich zunehmende Hybris-Tendenzen widerspiegelt“, so das Forschungsteam. Dieser Befund lasse vermuten, dass nicht nur das Erleben besonderer Machtfülle, sondern auch eine längere Amtszeit als Ministerpräsident bei politischen Führern zu einem Anstieg von überheblichem Verhalten führen kann.