Ehemaliger Verhörraum im Terrorkomplex Tuol Sleng, Phnom Penh, Kambodscha, heute genutzt für Ausstellungszwecke
James Tyner
James Tyner

Museen als Orte der Gewalt

Gewalt ist ein nahezu ständiger Begleiter der menschlichen Geschichte. Historische Museen müssen deshalb einen Weg finden, wie sie mit Gewalt umgehen. Dabei können sie auch selbst zu Orten der Gewalt werden, schreiben drei Fachleute in einem Gastbeitrag – und versuchen dabei auch Auswege zu skizzieren.

Die Frage, wie Museen Gewalt ausstellen, also etwa Fotos von Massenerschießungen oder Abbildungen sexualisierter Gewalt, beschäftigen Wissenschaft und Ausstellungshäuser immer stärker. Aktuelle Debatten um koloniale Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse haben diese Reflexion entscheidend weitergebracht, weil sie erlauben, Museen auch als Orte struktureller Gewalt zu begreifen.

Über Autor und Autorinnen

Der Historiker Stefan Benedik leitet am Haus der Geschichte Österreich die Abteilung Public History. Die Kulturwissenschaftlerin Zuzanna Dziuban arbeitet am ÖAW-Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte am Projekt „Globalized Memorial Museums“ mit. Die Politikwissenschaftlerin Ljiljana Radonić ist stv. Leiterin dieses Instituts und leitet das Projekt.

Durch das Sammeln menschlicher Überreste oder auch den Ausschluss gesellschaftlich benachteiligter Gruppen von Entscheidungen üben Gedächtniseinrichtungen selbst Gewalt aus, selbst wenn ihre Ausstellungen mit der Darstellung von Gewalt kritisch umgehen.

Zunehmende Reflexion von Gewalt

Schon länger stellt die kritische Museologie die etablierten Methoden in Frage, mit denen Museen, insbesondere solche, die sich mit Zeitgeschichte befassen, Deutungshoheit beanspruchen, Geschichte erzählen und versuchen, in ihren Besucher:innen Gefühle auszulösen. In Reaktion darauf haben sich viele Institutionen diese kritische Auseinandersetzung zu eigen gemacht und die Formen, in denen sie politische Gewalt zeigen, verändert. Diese Entwicklung lässt sich weltweit beobachten, weil sich Museen zunehmend global vernetzen, besonders jene, die sich mit den Hinterlassenschaften von Massenverbrechen und Diktaturen befassen und deren Aufgaben Gedenk- und Vermittlungsarbeit sind.

Zunehmend reflektieren Museen ihre politische und ethische Verantwortung und welchen Beitrag ihre Arbeit zur politischen Bildung leisten kann, wenn sie politische Massengewalt thematisieren – wie Schoa, Genozide, Kolonialismus und andere Menschenrechtsverletzungen. Sie setzen sich kritisch damit auseinander, wie sie solche historischen Prozesse in ihren Ausstellungen repräsentieren können und verschreiben sich dem Ziel, die Wirkung von Gewalt zu unterbrechen, sie nicht weiterzutragen oder gar zu verstärken.

Dadurch hat sich entscheidend verändert, was als „vertretbare“ kuratorische Praxis gilt, und auch die Vorstellung davon, wie historische Ausstellungen grundsätzlich aussehen sollten. Beispielsweise ist es üblich geworden, anstatt einer anonymen Masse an Opfern einzelne Biografien herauszugreifen oder mit Gewaltgeschichte aufgeladene Objekte besonders sorgfältig einzubetten.

Ersetzen vielerorts inzwischen Darstellungen, die NS-Opfer erniedrigen: Zeichnungen oder Erinnerungen aus der Perspektive der Opfer, hier Ceija Stojkas Befreiung in Bergen-Belsen 1945in der Hauptausstellung des Hauses der Geschichte Österreich „Neue Zeiten – Österreich seit 1918“
Lorenz Paulus/hdgö, cc-by nc
Ersetzen vielerorts inzwischen Darstellungen, die NS-Opfer erniedrigen: Zeichnungen oder Erinnerungen aus der Perspektive der Opfer, hier Ceija Stojkas Befreiung in Bergen-Belsen 1945 in der Hauptausstellung des Hauses der Geschichte Österreich „Neue Zeiten – Österreich seit 1918“

Warum Gewalt im Museum Unrecht wiederholt

Kritik an Gewaltdarstellung in Museen hat diesen wichtigen Prozess entscheidend befeuert, weil sie sichtbar macht, dass Museumsarbeit ethisch und politisch ist. Unserer Einschätzung nach kann die Kritik jedoch nicht am unreflektierten Umgang mit Gewaltgeschichte in Ausstellungen stehenbleiben. Wir verstehen Museen als Institutionen der Macht, in denen ausgehandelt wird, wie über Unrecht in der Geschichte gesprochen wird, welche Standards und Grenzen dafür gelten. Daher erscheint uns die Darstellung von Gewalt als „einfaches“, angeblich erfolgreiches Mittel einer missverstandenen Geschichtsdidaktik problematisch. Unstrittig ist, dass innerhalb und außerhalb des Museums die Logik, dass Gewalt gezeigt werden muss, um sie zu verhindern, zunehmend in Frage steht.

Publikation und Präsentation

“Displaying Violence“: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 34, Nr. 1, kostenfrei downloadbar;
Präsentation: 27. September, 18.30 Uhr, Foyer des Hauses der Geschichte, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich – hier.

Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen haben für den Bereich der Museumspraxis eindrucksvoll nachgewiesen, dass Darstellungen von Gewalt diese grundsätzlich attraktiv machen, ja sogar wiederholen. Sie argumentieren, dass das Präsentieren von Relikten oder Dokumenten einer gewalttätigen Vergangenheit die historische Sprache von Macht und Unterwerfung fortschreibt. So werden Verfolgte erneut erniedrigt. Ausstellungen wiederholen aber auch politische Propaganda, indem sie deren (visuelle) Botschaften mit ansprechender Gestaltung und modernsten Mitteln in Szene setzen.

Die Anziehungskraft eben jener gewalttätigen Ästhetik und Rhetorik, über die sie die Öffentlichkeit aufklären wollen, nützen Museen nicht zuletzt auch kommerziell. Und während die einen befürchten, dass eine reflexive Betrachtung solcher Fragen die Museen dazu zwingen könnte, ihre Vitrinen zu leeren und Lücken in den historischen Erzählungen schaffen würde – indem sie beispielsweise die Perspektiven der Täter:innen und damit die strukturellen Bedingungen der Gewalt unsichtbar machen –, haben andere zu Recht argumentiert, dass bestimmte Erzählungen und Kategorien von „Objekten“ (menschliche Überreste eingeschlossen) nicht in ein Museum gehören.

Gegenstände aus den Massengräbern des NS-Vernichtungsortes Malý Trostinec – ihre Spuren führen jeweils zurück nach Österreich und sollen Einzelschicksale sichtbar machen, anstatt sie hinter einer anonymen Masse zu verbergen. Ansicht aus der Hauptausstellung „Neue Zeiten. Österreich seit 1918“ im Haus der Geschichte Österreich.
eSeL/Lorenz Seidler/hdgö
Gegenstände aus den Massengräbern des NS-Vernichtungsortes Malý Trostinec – ihre Spuren führen jeweils zurück nach Österreich und sollen Einzelschicksale sichtbar machen, anstatt sie hinter einer anonymen Masse zu verbergen. Ansicht aus der hdgö-Hauptausstellung „Neue Zeiten. Österreich seit 1918“

Die Debatte darüber, ob Besucher:innen in Museen mit Gewaltdarstellungen konfrontiert werden sollten, erfordert eine tiefere Betrachtung dessen, was Gewalt innerhalb und außerhalb von Ausstellungen ausmacht. Eine Auseinandersetzung damit ist eine Gelegenheit für Museen, transparent zu machen, welche Position sie zur Geschichte aber auch zur Gegenwart von Gewalt und Unterdrückung einnehmen. Dabei stellt sich heraus, dass sie von einem selbstkritischen Umgang damit, wie und warum sie sich eigentlich mit Gewalt beschäftigen, sogar profitieren, weil sie als inklusive, zeitgemäße Institutionen wahrgenommen werden.

Ausloten von Leerstellen

Der grundlegende Wandel unter Museen, die weltweit gewalttätige Geschichten ausstellen, gibt Gelegenheit für Analysen in verschiedene Richtungen Die grundlegenden Fragen lauten: In welcher Weise reagieren Museen auf ethische Fragen, die mit dem Ausstellen von Bildern, Objekten und menschlicher Überreste verbunden sind? Haben marginalisierte Gruppen eine Möglichkeit, auf das Entstehen einer Ausstellung Einfluss zu nehmen? Werden lange verschwiegene Hinterlassenschaften von Gewalt berücksichtigt?

Ein Blick auf die Umgestaltung des Terrorkomplexes Tuol Sleng der Roten Khmer in Kambodscha etwa zeigt, dass es in allen Gedenkmuseen nicht nur gilt, zu untersuchen, welche Gewalt gezeigt, sondern welche ausgeblendet wird. In dem Fall bleibt die Haltung von Drittstaaten, besonders der USA, im Genozid, eine Leerstelle. Ebenso produktiv ist die Frage, wie die Perspektive der Opfer gezeigt werden kann, ohne Gewalt zu wiederholen oder gar Retraumatisierung zu erzeugen. Neuere Forschungen untersuchen davon ausgehend, wer den Inhalt von Ausstellungen bestimmt, wer eingeladen wird, an diesem Prozess teilzunehmen, und wer ausgeschlossen wird.

Ehemaliger Verhörraum im Terrorkomplex Tuol Sleng, Phnom Penh, Kambodscha, heute genutzt für Ausstellungszwecke
James Tyner
Ehemaliger Verhörraum im Terrorkomplex Tuol Sleng, Phnom Penh, Kambodscha, heute genutzt für Ausstellungszwecke

Das staatliche Museum zur Erinnerung an die Militärdiktatur in Peru (Place of Memory, Tolerance and Social Inclusion in Lima) beispielsweise lässt erkennen, dass Museen zunehmend versuchen, Zivilgesellschaft und Opfervertreter:innen in der Vorbereitung von Ausstellungen zu Wort kommen zu lassen. Im peruanischen Fall erweist sich das Museum auch als Kommunikationskanal zwischen Politik und Bürger:innen, sodass diese ihren Forderungen etwa für soziale Maßnahmen in der Gegenwart mit dem Blick auf die Geschichte ihrer zum Verschwinden gebrachten Verwandten Nachdruck verleihen können.

Architektur, die Platz für Beiträge durch Opfer staatlicher Gewalt macht und gleichzeitig deren Abwesenheit ausdrückt, Ausstellungsansicht aus dem Staatlichen Gedenkmuseum Place of Memory, Tolerance and Social Inclusion in Lima, Peru
Adrián Portugal
Architektur, die Platz für Beiträge durch Opfer staatlicher Gewalt macht und gleichzeitig deren Abwesenheit ausdrückt: Ausstellungsansicht aus dem Staatlichen Gedenkmuseum Place of Memory, Tolerance and Social Inclusion in Lima, Peru

Die Untersuchung kulturell und geografisch unterschiedlicher kuratorischer Praktiken beleuchtet daher, wie Museen Gewalt und hegemoniale Strukturen von Macht und Marginalisierung nicht nur aufrechterhalten, sondern auch herausfordern können, ob sie eine Vielzahl von Stimmen oder homogenisierte Narrative darstellen und wie sie es schaffen, Besucher:innen mit reflexiven Meta-Fragen zu konfrontieren.

Drei Ebenen von Gewalt im Museum

Die Kritik an „Gewalt ausstellen“ kann nicht auf Darstellungen beschränkt bleiben. Wenn wir davon sprechen, meinen wir drei Ebenen, in denen Museen in Gewalt verstrickt sind. Erstens geht es um die vielfältigen Arten und Weisen, in denen Museen Bilder oder Artefakte politischer Gewalt darstellen. Zweitens stellt sich die Frage nach der Gewalt, die durch museale Inszenierung und Gestaltung entsteht, beispielsweise dadurch, dass sie Bilder oder Sprache verwenden, die Opfer erniedrigt. Drittens schließlich ist die strukturelle Gewalt des Museums als Institution der grundlegendste Aspekt.

Diese drei Ebenen zusammenzudenken, eröffnet einen Raum für eine eingehende Reflexion darüber, wie Museen Macht ausüben, indem sie ihre Position gegenüber verschiedenen Akteur:innen absichern, auch gegenüber Erinnerungsaktivist:innen und dem Museumspublikum. Das Museum als Autorität des Sprechens über Geschichte setzt Macht ein, schließt Menschen ein oder aus und trägt durch kuratorische Entscheidungen, durch die Auswahl an Bildern, Objekten und Erzählungen dazu bei, wie Menschen über Geschichte denken und fühlen. Dass Museen sich dessen zunehmend bewusst sind, stimmt optimistisch, vor allem, weil sie daraus eine neue Verantwortung ableiten.