Ein Haus gegen die Innovationsresistenz?

Seit rund einem Monat gibt es ein Konzept für das „Haus der Geschichte Österreich“ (HGÖ) am Wiener Heldenplatz. Kritiker hat dies nicht überzeugt. Oliver Rathkolb, Zeithistoriker und Leiter des wissenschaftlichen Beirats, hält das für eine hierzulande übliche Form von „Innovationsresistenz“.

Das HGÖ werde wissenschaftlich breit diskutiert und gut in die restliche Museumslandschaft eingebettet sein. Zusammenarbeit sei etwa mit dem Weltmuseum geplant, eine gemeinsame Ausstellung bereits in Aussicht, schreibt Rathkolb in einem science.ORF.at-Gastbeitrag.

Das Haus der Geschichte soll ihm zufolge nicht nur ein Museum sein, sondern auch ein Ort der Begegnung und der Interaktion – nicht zuletzt auch für Menschen mit Migrationshintergrund: Denn auch Neo-Österreichern und –Österreicherinnen soll „Österreich erklärt werden“.

Die „paradoxe“ Debatte um ein Haus der Geschichte

Von Oliver Rathkolb

Seit gut 20 Jahren wird in einer Art Konjunkturwellenbewegung immer wieder über ein Haus der Geschichte Österreich diskutiert – ausgehend von Überlegungen eines „Hauses der Toleranz“ für das Palais Epstein von Leon Zelman, dem damaligen Leiter des Jewish Welcome Service, und vom Politologen Anton Pelinka in einer Studie umgesetzt, sowie Initiativen der Historiker Stefan Karner und Manfried Rauchensteiner (zu dieser Zeit Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums), die eine Art Kopie des von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) Ende 1982 initiierten und 2001 von seinem Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) eröffneten Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.

Wie auch in vielen anderen Transfers aus der BRD ist Österreich häufig zehn Jahre im Verzug, wie die ökonomische Entwicklung nach 1945 sehr deutlich zeigt. Gleichzeitig zeigen auch internationale vergleichende Studien, dass die Innovations- und Risikobereitschaft der ÖsterreicherInnen weit hinter jener der Deutschen zurückliegt.

Renommierte Experten und Expertinnen

Dieses meiner Meinung nach traditionelle Beharrungselement zeigt sich auch sehr deutlich in der Debatte, die seit Jänner 2015 geführt wird, in einem historischem Gebäude aus den letzten Jahrzehnten der Monarchie stammend, der Neuen Burg, ein historisches Museum mit Fokus auf der Geschichte des „langen 20. Jahrhunderts“ zu etablieren - mit Fokus auf dem 20. Jahrhundert sowie der Gegenwart und besonderer Berücksichtigung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts inklusive diverser Rückblicke in einzelnen Bereichen auf Jahrhunderte davor.

Portait von Oliver Rathkolb

APA, Georg Hochmuth

Oliver Rathkolb ist Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Wien und Leiter des internationalen wissenschaftlichen Beirats des „Hauses der Geschichte Österreich“.

Während ein aus 31 Expertinnen und Experten bestehender Beirat mehrfach einstimmig, das ungeheure, auch museale Potenzial dieses Ortes betont und erläutert haben, formiert sich die Opposition gegen dieses Projekt vor allem um diesen Ort und – auf einer zweiten Ebene – um die inzwischen mit der Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums Sabine Haag auf Ihren Vorschlag hin akkordierte teilweise Übersiedlung der Sammlung alter Musikinstrumente und der Reduktion der Ausstellungsfläche des Weltmuseums.

Dass die elf internationalen Mitglieder alle besonders renommierte Experten und Expertinnen sind, wird entweder einfach verschwiegen oder – wie letzte Woche im Kulturausschuss des Nationalrats von einem Abgeordneten – mit „irgendwer aus Chicago“ abgetan. Dieser irgendwer ist einer der prominentesten Experten für die Geschichte Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert, jüngst Ehrendoktor der Universität Wien und korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Dekan John Boyer aus der University of Chicago.

Dazu kommt zum Beispiel Charles Maier von der Harvard University – die History Departments der beiden Genannten rangieren in den weltweiten Rankings auf Platz 1 (Harvard) und 13 –, dazu kommen auch Aleida Assmann, nicht nur in Europa höchst anerkannte Erinnerungsforscherin, und die Shooting Stars der österreichischen Museumsszene Matti Bunzl (Direktor des Wien-Museums) sowie Bettina Habsburg-Lothringen (Leiterin Abteilung Kulturgeschichte und Museumsakademie, Universalmuseum Joanneum Graz).

Bekannte Innovationsresistenz

Aber über diese exzellenten Fachleute wird ebenso wenig qualifiziert diskutiert wie die Tatsache, dass die 100-seitige Umsetzungsstrategie gemeinsam mit zahlreichen Änderungen und Varianten nicht nur beschlossen, sondern auch tatsächlich entwickelt wurde. Allein das Mission Statement hat rund zehn verschiedene Arbeitsprozesse durchlaufen und wurde in der letzten Sitzung dann nochmals von drei Seiten auf eine gekürzt, wie auch das Gesamtpapier – zum Leidwesen der Redaktion und Lektorin – noch intensiv bearbeitet und verändert wurde, nachdem es bereits zwei Wochen vorher zur Begutachtung mit zahlreichen Rückmeldungen ausgesandt wurde.

Die rund 600 Pressemeldungen seit Ende Jänner, die übrigens die Basis einer Dissertation zu den geschichtspolitischen Gemengelagen 2015 bilden sollten, sind auch ein Beleg für die österreichische Innovationsresistenz, durchaus vergleichbar mit der hitzigen Debatte um die Neugestaltung des Museumsquartiers in den 1980er und 1990er Jahren. Diese Innovationsresistenz im Zusammenhang mit Neugestaltungen und neuen Nutzungen von historischen Gebäuden und Plätzen wird auch durch die jüngste Plattform zum Kampf um das „Kulturerbe und Naturerbe“ in Wien anschaulich vor Augen geführt.

Den Balkon öffnen!

Internationale Medien wie die Süddeutsche Zeitung auf Seite 1 hingegen berichtet positiv überrascht, dass endlich im Ersten Bezirk an einem zentral historisch aufgeladenen Ort wie der Neuen Burg ein historisches Museum errichtet wird. Dabei spielt der Mittel-Balkon Richtung Heldenplatz, der natürlich nicht nur mit der „Anschlusserklärung“ Adolf Hitlers im März 1938 in Verbindung gebracht werden soll, eine wichtige Rolle.

Er ist primär ein Ort mit einem der schönsten Blicke über die Topographie der Geschichte des langen 20. Jahrhunderts und darüber hinaus – von KHM, Naturhistorisches Museum über Parlament, Rathaus, Universität, Burgtheater, Ballhausplatz bis zur Hofburg – und steht als Artefakt für die Höhe- und Tiefpunkte der Geschichte Österreichs. Gerade dieser Ort wird sich auch für eine permanente Interaktion zwischen Kunst und Geschichte eignen und auch als solcher musealisiert werden, ohne ihn wie jetzt zu sperren und kommentarlos zu verhängen.

Oliver Rathkolb vor einem Bücherregal

APA, Ronald Schlager

Oliver Rathkolb in seinem Büro

Aber gerade diese Öffnung, das Denken in neuen Strukturen, irritiert und stört viele. Selbst progressive Experten wünschen sich zwar ein Haus der Geschichte, aber weg vom Zentrum an die Peripherie, um diesen Ort auch zu einem Interaktionsort mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu machen (ähnlich wie dies beispielsweise mit dem sehr gelungenen Bau der Wiener Städtischen Büchereien) geschehen ist.

Übrigens hat eine weitere Institution an diesem Ort der Neuen Burg unter der Leitung von Generaldirektorin Johanna Rachinger bewiesen, wie „hip“ eine Bibliothek in nur scheinbar verstaubten Räumen werden kann, und zahlreiche Maßnahmen gesetzt, um die ÖNB zu der beliebtesten Bibliothek unter den 15- bis 16-Jährigen zu machen, wie das Gerangel um Arbeitsplätze zu idealen Benutzungszeiten Tag für Tag zeigt: Auch hier gibt es keine Barriereangst, ganz im Gegenteil!

Dekonstruktion von Geschichtsmythen

Wir haben uns im Beirat und auch in der Umsetzungsstrategie intensiv mit dem Zielpublikum und der Vermittlung auseinandergesetzt und sind uns bewusst, dass gerade in der Gegenwart und in den nächsten Jahrzehnten, in der Österreich von einer „Zuwanderung-wider-Willen-Gesellschaft“ zu einer Einwanderungsgesellschaft wird, ein derartiger Ort der Auseinandersetzung mit historischen Prägungen wichtiger ist denn je zuvor.

Nicht als autoritäre Bildungsinstitution mit Frontalunterricht für Migrantinnen und Migranten, sondern als gemeinsames Interaktionsforum, das überdies stark durch Veranstaltungen und moderierte Debatten in den neuen Medien vertieft und verbreitert werden wird – für alle, die in Österreich leben.

Ein Blick in die letzte Ausgabe der „Zeit“ genügt, um am Beispiel der Assoziationen von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan zu einem Foto Adolf Hitlers zu zeigen, wie wichtig hier eine kritische zeitgeschichtliche Institution werden wird: Der positive Mythos Adolfs Hitler, den wir übrigens auch 1978 noch in vielen Umfragen in Österreich ebenso vorgefunden haben, muss ebenso dekonstruiert werden, wie auch zum Beispiel die Rolle der Religionen und die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft historisch kritisch aufgearbeitet werden wird.

Zusammenarbeit mit Weltmuseum

Das Weltmuseum hat rund 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche verloren, dafür aber einen perfekten und sehr interessierten Partner im HGÖ für seine künftigen Aktivitäten nach 2017 gefunden. In diesem Sinne habe ich mit Direktor Steven Engelsman jüngst vereinbart, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu etablieren, um eine gemeinsame Sonderausstellung mit entsprechend intensivem Veranstaltungsprogramm und Internet-Interaktion zum Thema „Österreich und der Nahe Osten/Orient“ (Arbeitstitel) zu entwickeln.

Das wird nur der Anfang einer aus meiner Sicht intensiven Zusammenarbeit sein, die der internationale Beirat und ich begleiten. Diese und andere Zielvorgaben wird auch das voraussichtlich im März 2016 nach einer öffentlichen Ausschreibung von der Trägerinstitution, der Österreichischen Nationalbibliothek, bestellte Team um eine/einen erfahrene/n Museologin/-en als Direktorin bzw. Direktor und ein engagiertes KuratorInnen- und VermittlerInnenteam samt Kommunikationsnetzwerk umsetzen. Dann wird zumindest auch die lächerliche Debatte um eine „Rathkolb Gallery“ oder den „Volksschädling“ OR – um zwei Extrempositionen herauszugreifen, wie sie gerne in den Internetforen geführt wird – aufhören.

Kostenschätzung liegt vor

Aber diese teilweise auch klagbaren Unterstellungen haben sich ausgezahlt: Bereits in der ersten Sitzung im März 2015 hat der internationale wissenschaftliche Beirat angeregt, eine Steuerungsgruppe für die Umgestaltung des Heldenplatzes und der Neuen Burg auf BeamtInnenebene einzusetzen, ein Vorschlag, den Bundesminister Ostermayer auch im Ministerrat eingebracht hat.

Bereits am 2. Oktober ist eine präzise Kostenschätzung für den Bau eines Tiefspeichers von ÖNB und Universitätsbibliothek (inklusive Platz für die künftigen Sammlungen des HGÖ), einer Tiefgarage für die Nutzer des Konferenzzentrums, die museale innere Neugestaltung des Äußeren Burgtores und das Haus der Geschichte Österreich fertiggestellt und der Bundesregierung zur Entscheidung der Umsetzung übermittelt worden. Allein zum Tiefspeicher war bereits jahrelang vergeblich diskutiert worden, jetzt gilt es eine politische Entscheidung zu treffen.

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