ÖAW-Chef Zeilinger: „Ein ständiger Kampf“

Die Freiheit der Wissenschaft ist für Anton Zeilinger, Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ein weltweit brennendes Thema. „Das ist ein ständiger Kampf gegen politischen Einfluss und ökonomische Interessen“, sagte Zeilinger anlässlich einer Konferenz in Wien.

Im Rahmen der Generalversammlung des Verbands europäischer Wissenschaftsakademien „ALLEA - All European Academies“ findet das Symposium „Freiheit der Wissenschaft im Angesicht von politischen und gesellschaftlichen Ansprüchen“ an der ÖAW statt.

Dabei werden die Chancen und Risiken einer stärkeren Einbindung von Gesellschaft und Politik in die Wissenschaft diskutiert. Die wachsenden Ansprüche von dieser Seite haben nach Ansicht des Präsidenten des Europäischen Forschungsrats (ERC), Jean-Pierre Bourguignon, „den Druck auf die Wissenschaft erhöht“. Deshalb sei es wichtig, dass sowohl Gesellschaft als auch Politik „verstehen, wie die Wissenschaft arbeitet“, sagte Bourguignon.

Gegen den „Zeitgeist“

Für Anton Zeilinger wird Wissenschaft „zu eng, wenn sie zu zielorientiert und an gesellschaftlichen Zugängen aufgesetzt wird, und kann dann die wirklich großen neuen Dinge nicht schaffen“. Das würden Tausende Beispiele aus der Geschichte zeigen. So habe man bei der Entdeckung der Radiowellen durch Heinrich Hertz 1888 eine praktische Anwendung ausgeschlossen.

Für Bourguignon muss man auch den „etwas anderen Zeitrahmen in der Wissenschaft“ berücksichtigen. Der stimme nicht mit dem Bedürfnis von Politikern überein, vor der nächsten Wahl konkrete Beiträge zur Lösung von Problemen zu bekommen.

Auch der ERC-Chef nennt dafür ein Beispiel: Die DNA-Abschnitte der „Genschere“ CRISPR/Cas seien bereits 1987 von japanischen Forschern entdeckt worden, aber erst 2012 hätten die Arbeiten von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna die fantastischen Möglichkeiten dieses Werkzeugs etwa im Medizinbereich ermöglicht.

Für Zeilinger sollten Gesellschaft und Politik durchaus fordern, dass Wissenschaft auf höchster Qualität gemacht wird, und es sei auch wichtig, die Gesellschaft über die Forschungsaktivitäten zu informieren. „Aber ich halte es für gefährlich, wenn die Inhalte gesellschaftlich definiert werden, weil dann macht man zeitgeistige Dinge“, sagte der ÖAW-Chef.

Höchstens ein Drittel Drittmittel

Es sei auch ein Fehler, „dass man heute bei Forschungsanträgen immer wieder dazu schreiben muss, wozu das gut sein soll“. Die wirklich neuen Dinge würden so durchfallen, „weil sich diese niemand vorstellen kann, auch die Wissenschaftler nicht“.

Die Abhängigkeit der Wissenschaft von Drittmitteln der Wirtschaft sollte für Zeilinger nicht zu groß sein: „Das darf vom Budget nicht größer als ein Drittel sein, weil sonst die Qualität verloren geht.“

Auch Bourguignon hält „die richtige Mischung, also die richtige Balance zwischen Bottom-Up- und Top-Down-Ansätzen“ für wichtig. Für ihn ist aber „Forschung ein Ökosystem, und in so einem System muss es genug Platz geben für ganz freie Wissenschaft und Forschung, die einem bestimmten Zweck folgt.“

Auszeichnung für Philosophen Remi Brague

Im Rahmen der ALLEA-Generalversammlung wird heute Abend der französische Philosoph Remi Brague mit dem diesjährigen „Madame de Staël Prize for Cultural Values“ ausgezeichnet. Die Akademien würdigen damit seine Beiträge zu einem besseren Verständnis der europäischen Geschichte.

In einem Vortrag spricht Brague über europäische Werte, ihre Bedeutung in Geschichte und Gegenwart sowie über ihre Beziehungen zur zunehmenden religiösen Vielfalt des Kontinents.

science.ORF.at/APA

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