Glyphosat - ein unverzichtbares Gift?

Noch immer ist nicht entschieden, ob das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat in Europa weiterhin verwendet werden darf. Die Befürworter hoffen weiter auf ein Ja, denn ein Verbot würde besonders die Bauern treffen - so das Argument. Ist Glyphosat wirklich so unverzichtbar?

Wo Glyphosat hinfällt, wächst kein Gras mehr. Das Totalherbizid tötet sämtliche Pflanzen. In Europa werden Anbauflächen vor allem im Frühling - vor dem Austrieb - damit behandelt. Landwirte müssen die sogenannten Unkräuter nicht mehr mechanisch entfernen. Das spart Zeit und Kosten. Positiver Nebeneffekt: Die Böden erodieren weniger und bleiben fruchtbarer, wie Stefan Kocher von der Monsanto Agrar Deutschland den Nutzen beschreibt: „Mit Glyphosat kann man Ackerflächen bodenschonend bewirtschaften.“

Sendungshinweise

Dem Thema Glyphosat widmete sich auch das Ö1 Dimensionen Magazin am Freitag um 19.00 Uhr. Ein Beitrag in heute konkret am 12.5. um 18.30 Uhr widmete sich ebenfalls Glyphosat.

Eingeführt wurde das - mit den Worten des deutschen Produktmanagers bodenschonende - Pflanzenschutzmittel Anfang der 1970er Jahre unter dem Markennamen Roundup. Heute ist der Wirkstoff - eine Organophosphorverbindung - in Hunderten Produkten enthalten. Schon in den 1980er Jahren wurde es zu einem der meistverkauften Herbizide.

Siegeszug durch Gentechnik

Einen zweiten Wachstumsschub verdankt das Mittel der Gentechnik: Manche Kulturpflanzen - allen voran Mais und Soja - wurden so modifiziert, dass sie gegen das Herbizid resistent sind. Ab sofort konnte man es jederzeit anwenden, ohne dass die Ernte selbst darunter leidet. Der Einsatz von Glyphosat ist dadurch förmlich explodiert. Seit der Markteinführung hat er sich verhundertfacht. 74 Prozent des jemals produzierten Wirkstoffs wurden allein in den letzten zehn Jahren verbraucht, wie eine Studie aus dem Februar 2016 ausrechnete.

Insgesamt wurden seit den 1970er Jahren mehr als acht Millionen Tonnen Glyphosat verbraucht, in der Landwirtschaft, in Kleingärten und um Unkraut von öffentlichen Flächen zu entfernen, pro Jahr sind es Hunderttausende Tonnen, in Österreich einige hundert.

Schüler in Uganda lernen über Pflanzenschutz

Michael Hauser/Boku Wien

2002: Schulkinder in Uganda lernen, wie notwendig Roundup/Glyphosat ist

Gerade der enorme globale Umsatz sei ein wesentlicher Beweggrund dafür, den Wirkstoff auch auf dem europäischen Markt zu halten, so Helmut Burtscher von der österreichischen Umweltorganisation Global 2000: „Wenn man es verbietet, dann muss man die erlaubten Grenzwerte in Lebensmitteln runtersetzen. Dann darf man auch keine Produkte mit Rückständen importieren.“

Und das sind einige, sie kommen vor allem aus Südamerika und aus den USA, wo Gentechnik in der Landwirtschaft und somit das Herbizid Standard sind. Das heißt, in Österreich selbst sind gentechnische Methoden zwar verboten, dennoch landen die direkt mit Glyphosat behandelten Kulturpflanzen mitunter auf unseren Tellern oder zumindest im Futternapf unserer Nutztiere.

Eigentlich verboten

Auch eine andere weltweit übliche Methode ist hierzulande eigentlich verboten, wie Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) bei einer Pressekonferenz im April betonte: „Wir haben in Österreich bereits das Verbot der Erntegutbehandlung.“ Bei dieser Erntegutbehandlung wird Glyphosat kurz vor der Ernte direkt auf die Kulturpflanzen gespritzt. Das Totspritzen - wie manche den Vorgang bezeichnen - erleichtert die Ernte, da Pflanzen (Kulturpflanzen und „Unkraut“) gleichmäßig absterben und das überflüssige Blattwerk schneller abfällt.

Flugzeug versprüht Pestizide

AFP PHOTO/ROMEO GACAD

Glyphosat wird zur Reifebeschleunigung direkt auf Nutzpflanzen gesprüht

Weniger bekannt: Manche Erntegutbehandlungen bzw. Spätanwendungen sind auch in Österreich erlaubt - dafür muss man allerdings das Kleingedruckte lesen. Durchsucht man das Onlineregister für Pflanzenschutzmittel der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) nach glyphosathältigen Produkten, sind einige auch für die Anwendung kurz vor der Ernte empfohlen, etwa um - wie es heißt - „Unkrautdurchwuchs und Zwiewuchs zur Ernteerleichterung“ zu bekämpfen.

Diese Praxis und den enormen Verbrauch kann man mittlerweile an den steigenden Rückständen sehen: Glyphosat findet sich in Getreide, Brot, Bier und vielen anderen Produkten. So landet es letztlich auch im menschlichen Körper.

Unerwartete Nebenwirkungen

Trotz der messbaren steigenden Rückstände könnte man sagen: Wo liegt das Problem? Denn das Herbizid tötet ja lediglich Pflanzen. Für Nichtzielorganismen, also Tiere und Menschen, sollte es unbedenklich sein. Glyphosat blockiert nämlich einen zentralen Stoffwechselprozess in pflanzlichen Zellen: Die Pflanzen verhungern.

In tierischen Organismen kommt das entsprechende Enzym gar nicht vor, wie der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien erklärt. Erst lange nach Markteinführung habe man auch an tierischen wie menschlichen Zellen Schäden beobachtet. Am Menschen selbst gebe es wenige Studien, so Hutter.

In den wenigen, die es gibt, und in Untersuchungen an Mäusen und Nutztieren finden sich aber Hinweise auf eine Schädlichkeit. Der Wirkstoff könnte unter anderem das Fortpflanzungs-, das Herz-Kreislauf- und das Nervensystem beeinträchtigen, besonders gefährdet sind die landwirtschaftlichen Arbeiter. Verschärft wird das Problem durch die in den meisten Produkten verwendeten Beistoffe.

Expertenstreit?

Rund um die Studien zu Glyphosat bzw. deren Auslegung ist im vergangenen Jahr ein Streit entbrannt, nachdem Experten der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ eingestuft hatten. Das gerade laufende Neuzulassungsverfahren in Europa verzögerte sich, die alte Zulassung läuft im Juni 2016 ab. Dennoch folgte im November 2015 eine positive Stellungnahme seitens der Europäischen Behörde für Ernährungssicherheit (EFSA), bei sachgerechter Anwendung sei mit keinem Gesundheitsrisiko zu rechnen.

Gegen die Empfehlung formierte sich internationaler Protest , die Einschätzung sei wissenschaftlich inakzeptabel. Stein des Anstoßes: die unterschiedliche Interpretation einer Handvoll Studien an Mäusen. Auch epidemiologische Untersuchungen an Menschen seien systematisch falsch ausgelegt worden, kritisierten andere Experten.

Im März dieses Jahres vertagte das für die Neuzulassung zuständige Expertengremium die Entscheidung auf Mitte Mai. Wenn es vor dem 1. Juli in Europa nicht mehr dazu kommt, rechnet Monsanto-Produktmanager Stefan Kocher aber mit einer temporären Verlängerung der Zulassung, im Sinn der Landwirte.

Wie abhängig sind Bauern?

Generell sind die Pflanzenschutzmittelerzeuger zuversichtlich, dass der Wirkstoff dem europäischen Markt erhalten bleibt. Die Bauern seien darauf angewiesen. Einer davon ist Edmund Rauchberger, Juniorbauer in Aspersdorf im Weinviertel. Auf den 80 Hektar Familienbetriebs wachsen vor allem Erdäpfel, außerdem Zuckerrüben, Getreide und Mais.

Plakat bei OBI

Ilse Huber/ORF

Glyphosathältige Produkte sind auch für den Kleingartenbereich zugelassen. Dennoch haben sich einige Anbieter in den letzten Monaten entschlossen, diese Unkrautvernichtungsmittel aus dem Sortiment zu nehmen, z. B. OBI, Bauhaus und Baumax.

Standardmäßig setzt er auf mechanischen Pflanzenschutz. Dabei wird das Feld entweder komplett umgepflügt oder mit einem Grubber bearbeitet, der den Boden lockert und die Schichten vermischt.

Man müsse fast für jedes Feld entscheiden, was sinnvoll ist - es hänge von der Lage, der Bodenart, den Beikräutern, der Witterung und der Kulturpflanze selbst ab. Manchmal, etwa bei sehr empfindlichen Pflanzen wie der Zuckerrübe bzw. bei Feldern in Hanglange, die sehr erosionsgefährdet sind, greift der Erdäpfelbauer selbst zur glyphosathältigen Herbizidspritze. Für diese Ausnahmefälle gebe es keine chemische Alternative, sollte das Mittel in der EU tatsächlich verboten werden.

Für die Landwirtin Maria Vogt aus Obersdorf, ebenfalls im Weinviertel, wäre ein Verbot kein Problem. Im Gegenteil: Sie würde es sogar begrüßen, denn sie setzt seit fast 30 Jahren auf Biolandbau. Derzeit muss sie um Gemüsebeete Freistreifen und Blühstreifen anlegen, um nicht versehentlich das Gift vom Nachbarn abzubekommen.

Die Wasserknappheit im Weinviertel sei ein Grund, warum viele Weinbauern die an sich harmlosen Kräuter chemisch entfernen. Maria Vogt gelingt das ohne Chemie: Auf den Grünstreifen zwischen den Reben kommt eine Mulchschicht, damit die Feuchtigkeit im Boden bleibt. Die Unkräuter am Fuß jedes Weinstocks entfernen sie und ihr Mann mechanisch, mit einem sogenannten Stockräumgerät.

Industrialisierung als Grundproblem

Das ist natürlich eine mühsamere Prozedur, als einfach mit einem Spritzwagen zwischen den Reben durchzufahren. Glyphosat sei in dieser östlichen Region Österreichs ein größeres Thema als im Westen, so die Landwirtin. Denn im Westen werden vorwiegend Tiere gehalten, im Osten der Acker bestellt. „Außerdem sind die östlichen Betriebe in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Viele Bauern haben aufgehört, die Flächen wurden aufgekauft. Die nötigen Arbeitskräfte fehlen“, so Vogt.

Das Grundproblem liege aber in der Industrialisierung der Landwirtschaft. Dabei sei die reine Wachstumsorientierung für Bauern sogar wirtschaftlich nicht sinnvoll. Wenn man immer mehr produziere, fallen höchstens die Preise. Eine Wiederzulassung von Glyphosat hält sie für ausgemacht, aus einem einfachen Grund: damit wäre der rote Teppich für Gentechnik und nicht zuletzt für das Transatlantische Freihandelsabkommen ausgelegt.

Bahn verwendet weniger

In der österreichischen Landwirtschaft spielt Glyphosat also schon jetzt maximal eine Nebenrolle, woran vor Kurzem auch Landwirtschaftsminister Rupprechter erinnerte: Nur auf drei Prozent der Fläche werde es eingesetzt. Der größte Abnehmer sei die Bahn, die damit Bahndämme behandelt, so der Minister.

Die ÖBB entgegneten dazu schriftlich gegenüber science.ORF.at: Laut der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit AGES wurden 2014 in Österreich insgesamt 337,9 Tonnen Glyphosat in den Verkehr gebracht. Die ÖBB haben lediglich 9,48 Tonnen verwendet.

Wir sind auf die Verwendung angewiesen. Wir wenden es nur direkt am Gleis an, nicht auf Bahndämmen. Ein spezieller Spritzzug erkennt Vegetation und sprüht selektiv, anstatt das Mittel großflächig – wie in der Landwirtschaft – aufzubringen. Damit konnten seit 2005 etwa 75 Prozent der ursprünglichen Herbizid-Menge eingespart werden. Wir müssen die Vegetation entfernen, um Entgleisungen zu vermeiden.

Ist das System schuld?

Trotz des geringen Bedarfs in Österreich ist ein Verbot von Glyphosat in Europa nicht sehr wahrscheinlich. Denn solche Pflanzenschutzmittel sind Teil des alles dominierenden globalen Agrarsystems, wie Bernhard Freyer, Leiter des Instituts für ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur, erklärt: „Glyphosat wird meist bei engen Fruchtfolgen - mit nur ein, zwei oder drei Kulturen - eingesetzt. Beikräuter können sich so an die Kulturpflanzen anpassen und tauchen vermehrt auf.“

Gentechnisch modifizierter Mais

AFP PHOTO / JEAN-PIERRE MULLER

Gentechnisch modifizierter Mais

Dann müssten Chemikalien ökologische Funktionen übernehmen. Würden nicht nur Weizen, Mais und Zuckerrüben angebaut, könnte man die massenhafte Ausbreitung von Beikräutern auf natürliche Weise einbremsen und gleichzeitig Krankheiten und Schädlinge bekämpfen. „Die vermeintliche Notwendigkeit, Glyphosat in der Landwirtschaft einzusetzen, sollte man ad acta legen. Es schafft nur Probleme, keine Lösungen“, so Freyer.

Auch gentechnisch veränderte Pflanzen hätten nicht gehalten, was man sich von ihnen versprochen hatte. Entstanden seien lediglich riesige Monokulturen. „Diese führen zu einer Explosion der Beikräuter. Es hieß, dass man mit Genmais weniger Herbizide braucht. Passiert ist genau das Gegenteil“, beschreibt der ökologische Agrarwissenschaftler die Entwicklung. Er wünscht sich nicht nur ein Verbot von Glyphosat, sondern eine Landwirtschaft, die generell auf abtötende Betriebsmittel verzichtet. Über die Zukunft von Glyphosat in Europa wird der zuständige Fachausschuss am 18. bzw. 19. Mai. entscheiden.

Text: Eva Obermüller, Mitarbeit: Ilse Huber

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