Oxytocin - gar nicht so kuschelig?

Oxytocin gilt als „Kuschelhormon“. Studien zufolge soll es Bindungen stärken, Ängste dämpfen und vieles mehr. Forscher äußern nun Zweifel an dieser Darstellung: Seinen guten Ruf verdanke das Hormon einer einseitigen Publikationspraxis.

Gerade Psychologen mussten sich in der jüngeren Vergangenheit den Vorwurf gefallen lassen, ihre Studienergebnisse seien in vielen Fällen reine Zufallsbefunde, weder werden sie wiederholt noch lassen sie sich reproduzieren - der wissenschaftliche Wert daher fragwürdig.

Womöglich sind nicht nur die Forscher selbst für diese dünne Faktenlage verantwortlich - darauf machen nun belgische Psychologen aufmerksam. Sie beschäftigen sich - wie viele andere - seit bald zwei Jahrzehnten mit dem Hormon Oxytocin.

Wunderdroge Oxytocin?

Ursprünglich nur als Wehen- und Stillhormon bekannt, hat Oxytocin in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht - mittlerweile findet es vor allem als Kuschel- und Liebeshormon Beachtung.

Es stärkt zahlreichen Studien zufolge nicht nur die Bindung zwischen Mutter und Kind, sondern auch jene zwischen Partnern. Generell soll es zu mehr Mitgefühl verhelfen, Vertrauen fördern, uns hilfsbereiter machen, den Partner attraktiver erscheinen lassen, gegen Stress und Ängste und vielleicht sogar gegen Autismus helfen.

2010 publizierte das belgische Team um Moira Mikolajczak von der Universität Louvain ebenfalls eine Studie, die einen Zusammenhang zwischen Oxytocin und Vertrauen nahelegt. Wie in allen vergleichbaren Untersuchungen verwendeten sie einen Nasenspray, um den Probanden das Oxytocin zu verabreichen.

Nachdem die Psychologen mehrmals vergeblich versucht hatten, ihre Ergebnisse zu reproduzieren, kamen ihnen Zweifel. Als sie die nicht geglückten Wiederholungen im selben Journal publizieren wollten, scheiterten sie allerdings.

Zweifel an der Publikationspraxis

Aus dem inhaltlichen Zweifel wurde nun ein grundlegender: „Gibt es hier einen Publikationsbias?“ fragen sie in einer vor Kurzem publizierten Arbeit. Könnte es also sein, dass Studien, die den Oxytocin-Spray verwenden, nur dann veröffentlicht werden, wenn sie ein positives Ergebnis liefern? Um das zu klären, haben die Psychologen ihre eigene Schubladen nach allen publizierten und nicht publizierten Arbeiten zu Oxytocin durchsucht.

Ö1 Sendungshinweis:

Über Oxytocin berichtete auch „Wissen Aktuell“ am 2. Juni 2016 um 13.55 Uhr.

92 Prozent ihrer eigenen Experimente lieferten kein Ergebnis, ein Großteil der Arbeit wurde nicht publiziert. Unter den wenigen publizierten Studien hat nur eine einzige gegen die „kuschelige“ Wirkung von Oxytocin gesprochen - anscheinend interessieren sich die Fachzeitschriften dafür nicht besonders. Wie die Forscher schreiben, spiegeln ihre Veröffentlichungen nicht ihre reale Forschungsarbeit.

Und auch ihre anfängliche Begeisterung für Oxytocin sei im Lauf der Jahre geschwunden. „Die Arbeit hat aus Gläubigen Skeptiker gemacht“, heißt es in der Studie der belgischen Psychologen. Sollten andere Forscher dieselben Erfahrungen gemacht haben, liegen wohl unzählige Studien in Schubladen, die am Image des „Kuschelhormons“ kratzen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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