Soja: Eine Bohne auf dem Prüfstand

An Soja scheiden sich die Geister: Es sei gesund, nahrhaft und eine ökologische Alternative zu Fleisch, meinen die einen. Der Anbau zerstöre Lebensräume - und als Nahrungsmittel sei Soja keineswegs unproblematisch, behaupten die anderen. Wer hat recht? Die wichtigsten Argumente im Faktencheck.

In Form von Tofu, Tempeh oder Misopaste zählt Soja in Asien seit Jahrtausenden zu den Grundnahrungsmitteln. Nach Europa und in die USA ist die Hülsenfrucht im 18. Jahrhundert gelangt. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann ausgehend von den USA der Siegeszug des pflanzlichen Eiweißlieferanten im westlichen Kulturkreis.

Hinweis

Über die Vor- und Nachteile von Soja diskutierten Experten beim Nachhaltigkeitstag der Universität für Bodenkultur am 2. Juni 2016, eine Veranstaltung des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit. Der Soja-Workshop wurde vom Centre for Development Research organisiert.

Seit den 1960er Jahren hat sich die weltweite Produktion vervielfacht: 1965 waren es noch weniger als 30 Millionen Tonnen, 2014 wurden auf einer Anbaufläche von knapp 120 Millionen Hektar circa 300 Millionen Tonnen produziert. Die drei Topproduzenten sind die USA, Brasilien und Argentinien, in denen etwa 90 Prozent der Gesamtmenge wächst. Österreich importiert etwa 600.000 Tonnen, knapp 120.000 Tonnen produziert es selbst.

So ist die unscheinbare Sojabohne zu einer der bedeutendsten, aber auch sehr umstrittenen Feldfrucht geworden. Globaler Problemfall, wertvolles Nahrungsmittel oder beides? Zehn Behauptungen und ihr Wahrheitsgehalt:

1. „Soja ist eine besondere Pflanze“

In ihrer Zusammensetzung sind die kleinen, meist gelben oder braunen Bohnen tatsächlich einzigartig. „Die kleine Sojabohne enthält 40 Prozent Eiweiß, und zwar in einer Qualität, die Fleisch und Eiern schon sehr nahe kommt“, erklärt Johann Vollmann von der Abteilung Pflanzenzucht der Universität für Bodenkultur in Wien gegenüber science.ORF.at. Außerdem enthält die Pflanze, Öl, Kohlehydrate, Ballaststoffe, Eisen, Kalzium, die Vitamine B1 und B2 sowie Folat. Manche bezeichnen die Hülsenfrucht auch als „Fleisch der Äcker“.

Die Nährstoffdichte der pflanzlichen Eiweißquelle schätzt man in Asien seit Urzeiten. Erst in jüngster Vergangenheit gewinnen Sojaprodukte wie Tofu auch in der restlichen Welt an Bedeutung, als Proteinlieferanten für Vegetarier und Veganer. Der Anteil am Speiseplan ist aber nach wie vor verschwindend gering.

2. „Soja ist gesund“

Aufgrund ihrer Inhaltsstoffe ist die Sojabohne tatsächlich eine kleine Nährstoffbombe. Besonders ins Gespräch, aber auch in die Kritik gekommen ist die Hülsenfrucht wegen bestimmter sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe, der Isoflavone - wegen ihrer hormonellen Wirkung werden sie auch als Phytoöstrogene bezeichnet.

Sie sollen Wechselbeschwerden lindern und das Brustkrebsrisiko senken. Handfeste Belege dafür fehlen allerdings. Manche Mediziner warnen vor einem Zuviel, denn die pflanzlichen Wirkstoffe könnten Krebs oder Allergien auslösen. Vermutlich gilt auch für Soja: Erst die Dosis macht das Gift. Die Europäische Agentur für Ernährungssicherheit (EFSA) hat jedenfalls Isoflavone in Konzentrationen, wie sie in Nahrungsergänzungsmitteln vorkommen, vergangenes Jahr als sicher bewertet.

3. „Soja ist auch nicht besser als Fleisch“

Soja sei genauso schlecht für die Umwelt, wenn nicht noch problematischer als Fleisch, meinen Kritiker der Pflanze. Das stimmt nur teilweise. So wie Soja heute produziert wird - nämlich in riesigen Monokulturen - ist es tatsächlich sehr schädlich für Umwelt und Menschen: Regenwälder werden abgeholzt, Menschen aus ihren Lebensräumen vertrieben, die Böden leiden. Aber: Der größte Teil des so produzierten Sojas landet ohnehin nicht am Teller, sondern in den Futtertrögen von Nutztieren.

„Geschätzte 90 bis 95 Prozent der Sojabohnen gehen in die Futtermittelerzeugung“, so Vollmann. D. h., in gewisser Weise wird Soja also zu Fleisch. Laut Werner Zollitsch vom Institut für Nutztierforschung der Universität für Bodenkultur liegt der Futteranteil von Soja in der Schweine- und Geflügelmast heute bei 20 bis 30 Prozent.

Blöderweise ist die Umwandlung von pflanzlichem Eiweiß in tierisches nicht sehr effizient. „Man braucht etwa 10 Kilogramm Futtermittel, um ein Kilogramm Fleisch zu ermästen. Wenn man diese Lebensmittel direkt konsumieren würde, kann man zehnmal mehr Menschen ernähren“, erklärt dazu der Pflanzenexperte Vollmann.

4. „Soja ist ein optimales Tierfutter“

Die Hülsenfrucht ist tatsächlich optimal für die massenhafte Produktion von magerem Fleisch. „Man kann seine Schweine auch mit anderen Hülsenfrüchten füttern, aber dann dauert es viel länger, als wenn man das mit Sojabohnen macht“, so Vollmann. Und nicht nur das: Die Sojabohne lasse das Tier zwar schnell wachsen, es werde dabei aber nicht fett. Dieser Umstand hat letztlich zur Explosion der weltweiten Sojaproduktion geführt.

Der größte Teil der in Österreich und Europa verfütterten Sojafuttermittel stammt übrigens von riesigen Monokulturen in den USA, Mittel- und Südamerika. Ihre Marktführerschaft verdanken die Produzenten der Grünen Gentechnik. Seit mittlerweile zwanzig Jahren wird das Saatgut gezielt gentechnisch verändert. Die Sojapflanzen werden dadurch tolerant gegenüber Unkrautvernichtungsmitteln. Die Felder können großflächig besprüht werden, ohne dass das Erntegut selbst darunter leidet. Durch diese Massenproduktion wurde Soja billig und das damit gemästete Fleisch ebenfalls.

5. „Soja macht wirtschaftlich abhängig“

In seiner Marktdominanz bei den Futtermitteln macht Soja tatsächlich abhängig. „Beim derzeitigen Produktionsstand werden wir in Hinblick auf proteinreiche Futtermittel immer vom Import aus Übersee abhängig sein, das gilt im Wesentlichen für ganz Europa“, so Zollitsch gegenüber science.ORF.at.

Konkret bedeutet das eine Abhängigkeit von Futtermitteln, die in Monokulturen wachsen. Geschätzte 60 Kilogramm gentechnisch verändertes Soja nimmt der durchschnittliche Mitteleuropäer über den Umweg Fleisch pro Jahr zu sich. Der einzige Weg aus der Abhängigkeit läge in einer Änderung des Konsumverhaltens. Anstatt das nährstoffreiche Soja an Tiere zu verfüttern, könnte man es z. B. direkt im Speiseplan unterbringen.

6. „Soja laugt den Boden aus“

„Wenn man Sojabohne nach Sojabohne nach Sojabohne ... anbaut, dann ist das für den Boden zweifellos nicht gut“, erklärt Vollmann. Dass der Anbau der Hülsenfrucht Böden auslaugt, ist also ebenfalls den Monokulturen zu verdanken.

Dabei macht die Pflanze den Boden eigentlich sogar fruchtbarer. Wie andere Hülsenfrüchte auch kann sie in Symbiose mit Bodenbakterien Stickstoff aus der Luft binden. „Diesen Stickstoff braucht die Pflanze, um Eiweiß zu produzieren. Die Sojabohne kann das besser als andere Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Kichererbsen und Linsen“, so Vollmann. In wechselnder Fruchtfolge - z. B. mit verschiedenen Getreidesorten bereite die Bohne sogar den Boden für die Folgepflanzen auf, denn nur ein Teil des Stickstoffs geht in das Protein. Der Rest bleibe für das danach wachsende Getreide.

7. „Für Soja werden Regenwälder abgeholzt und Lebensräume zerstört“

Auch an diesem leider richtigen Umstand sind die riesigen Monokulturen mit meist gentechnisch veränderten Sojapflanzen schuld. Laut Robert Hafner von der Universität Innsbruck habe die „Säuberung“ des Landes schwerwiegende Folgen. Auf der einen Seite ökologische, z. B. ändert sich das regionale Klima. Die Abholzung riesiger Waldflächen ist auch global ein Problem. Auf der anderen Seite zerstören die Monokulturen die Lebensräume und somit das Leben der ansässigen Bevölkerung.

„Mit der Ausbreitung von Soja stehen die Landbewohner, die Viehzucht betreiben, also mit den natürlichen Ressourcen leben, plötzlich vor dem Nichts. Ein Leben, das über Generationen weitergegeben wurde, kommt plötzlich zum Stillstand. Es rollt sozusagen eine Sojafront über die Region hinüberweg“, wie der Innsbrucker Geograf die Lage beschreibt. Die Folgen: Arbeitslosigkeit, Alkoholmissbrauch, Gewalt.

8. „Soja ist nicht nachhaltig“

Es hängt von der Produktionsart und dem Herkunftsland ab. Riesige Monokulturen und der Transfer großer Nährstoffmengen zwischen den Kontinenten ist jedenfalls sicher nicht nachhaltig. Es gibt aber regionale europäische Initiativen wie den Verein Donausoja, der sich um mehr Nachhaltigkeit bemüht. Er setzt z. B. auf ursprüngliche Anbaukonzepte mit wechselnden Fruchtfolgen.

In einigen Staaten entlang der Donau von Deutschland über Österreich bis Kroatien, Serbien und Rumänien wird heute auf diese Weise Soja kultiviert. Die Pflanze gedeiht auch sehr gut. Die Idee: kürzere Transportwege, weniger Abhängigkeit und bessere Qualitätsstandards.

9. „Soja ist keine regionale Kulturpflanze“

Welche Pflanze ist das schon? Auch die Kartoffel - heute ein Grundnahrungsmittel - gelangte erst im 16. Jahrhundert von Südamerika nach Europa. Die Knolle hatte es auf unserem Kontinent zu Beginn schwer, zuerst dienten ihre Blüten lediglich als Zierpflanzen, die Erdäpfel wurden maximal an Schweine verfüttert.

Ein Österreicher - Friedrich Haberlandt - hat übrigens bereits im 19. Jahrhundert versucht, die Sojapflanze in Österreich und Deutschland als Ackerfrucht anzusiedeln. Er führte großflächige Versuche mit im Zuge einer Weltausstellung nach Europa gelangten Samen. Er träumte von einer günstigen proteinreichen Kost für alle. Mit seinem plötzlichen Tod endeten auch die Experimente. Seine theoretische Vorarbeit wurde später in den USA die Grundlage der Sojazucht.

10. „Soja ist nur ein Surrogat oder Fleischersatz“

Die Sojabohne als Nahrungsmittel hat ein ziemlich schlechtes Image. Meist ist es in Form von Mehl oder Öl nur ein unsichtbarer Bestandteil von Fertigprodukten. Dabei könnte man mit der Sojabohne - ganz im Sinne Haberlandts - viele Menschen gesund und vollwertig ernähren.

Dass man aus Soja mehr als Schweinefutter und billigen Fleischersatz, sondern auch Lebensmittel für Menschen machen kann, versucht auch der Verein Donausoja zu vermitteln. Im österreichischen Angebot gibt es bereits Tofu aus Traiskirchen, Sojasnacks aus Bruck an der Leitha und Sojadrinks aus Oberwarth.

Eva Obermüller, science.ORF.at

Mehr zum Thema: