Stress als lebenslanges Risiko
Die Betroffenen sind lustlos, sie leiden unter geringem Selbstbewusstsein und haben Schwierigkeiten Entscheidungen zu treffen. Ob Menschen im Lauf ihres Lebens mit diesen Symptomen zu kämpfen haben, hat sowohl mit Vererbung als auch mit Umweltfaktoren zu tun. Besonders hoch ist das Risiko eine Depression zu entwickeln, wenn es bereits früh im Leben zu großem Stress oder traumatischen Erfahrungen kommt.
Ö1 Sendungshinweis
Über das Thema berichten auch die Ö1 Journale, 20.9., 12:00 Uhr.
Stress bereits im Mutterbauch
Dass Stress eine entscheidende Rolle bei Depressionen und Angststörungen spielt, steht im Mittelpunkt von Elisabeth Binders Forschung. Die österreichische Neurowissenschaftlerin ist Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. „Eine Depression oder Angststörung der Mutter in der Schwangerschaft kann schon ein Risikofaktor für einen Menschen sein, später im Leben selbst so eine Erkrankung zu bekommen“, so Binder.
Die Neurowissenschaftlerin ergänzt jedoch, dass eine Traumatisierung in der Kindheit der stärkste Risikofaktor ist. Werden Kindern missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt, verlieren sie einen Elternteil oder werden sie in der Schule gemobbt, dann werden Stresshormone ausgeschüttet. Und die verändern, wie der menschliche Körper später im Leben auf Stress reagiert.
„The role of stress and adverse life events in mood and anxiety disorders“ war der Titel von Elisabeth Binders Vortrag beim Europäischen Kongress für Neuropsychopharmakologie, der von 17. bis 20. September in Wien stattgefunden hat.
Hormonelle Überreaktion
Die biologischen Kreisläufe, die dafür sorgen, dass der Körper Stress verarbeitet, sind durch die frühe Überlastung gestört. Das könne Folgen für den Alltag haben, erlärt Binder: „Wenn bei einem Menschen genetische Voraussetzungen und traumatische Erlebnisse in der Kindheit zusammenwirken, dann sehen wir Schwierigkeiten im Umgang mit Stress, etwa im Beruf oder in der Familie.“
Um zu verhindern, dass der Stress zu einer Depression oder Angststörung führt, suchen Elisabeth Binder und ihr Team nach Wirkstoffen, die die Stresshormone blockieren. Denn die Botenstoffe sind im Körper der Betroffenen mitunter überaktiv.
Botenstoffe blockieren
Im Tiermodell habe es bereits funktioniert, ein bestimmtes Stressmolekül in der Zelle zu blockieren. Doch bevor diese Wirkstoffe am Menschen getestet werden können, müssen noch einige Fragen beantwortet werden: Zu welchem Zeitpunkt muss in den hormonellen Stresskreislauf eingegriffen werden? Und können die Sressmoleküle noch blockiert werden, wenn die Depression bereits ausgebrochen ist? Diese Fragen möchte Elisabeth Binder zukünftig klären.
Diese Erkenntnisse seien nicht nur für die Entwicklung neuer Medikamente wichtig, so die Neurowissenschaftlerin. Auch die Psychotherapie könne davon profitieren: Wenn die Betroffenen wissen, dass sie Probleme mit Stress haben, könnten auch Entspannungstechniken dabei helfen, eine Depression oder Angststörung abzufangen.
Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft