Alternativer Nobelpreis für türkische Zeitung

„Cumhuriyet“, eine der führenden türkischen Tageszeitungen, hat einen der diesjährigen Right Livelihood Awards bekommen. Die weiteren Alternativen Nobelpreise, wie die Preise genannt werden, gingen an die Hilfsorganisation Syria Civil Defence, die russische Aktivistin Swetlana Gannuschkina und die ägyptische Frauenrechtlerin Mosn Hassan.

Sämtliche Preisträger 2016 ermittelte die international besetzte Jury aus 125 Nominierungen aus 50 Ländern. Das auf die vier Preisträger aufzuteilende Preisgeld beträgt insgesamt drei Millionen Schwedische Kronen (knapp 313.500 Euro).

Die unabhängige, oft regierungskritische „Cumhuriyet“ (Republik) erhält die Auszeichnung „für ihren unerschrockenen investigativen Journalismus und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Meinungsfreiheit trotz Unterdrückung, Zensur, Gefängnis und Morddrohungen“, hieß es in der Begründung zur Entscheidung für die in Istanbul beheimatete Zeitung. „Cumhuriyet“ wurde 1924 gegründet und ist damit die älteste Tageszeitung der Türkei.

Meinungsäußerung trotz Risiken

Die Preisvergabe an „Cumhuriyet“ erfolgt zu einem brisanten Zeitpunkt. Erst am Mittwoch hatte ein neuer Terrorprozess gegen zwei führende Persönlichkeiten der Zeitung, darunter Ex-Chefredakteur Can Dündar, im Zusammenhang mit Spionagevorwürfen begonnen. Er und der Leiter des Hauptstadtbüros in Ankara, Erdem Gül, wurden heuer im Mai bereits - nicht rechtskräftig - jeweils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Frühjahr 2014 hatte die Zeitung über die Aufdeckung geheimer Waffentransporte aus der Türkei an die Minderheit der syrischen Turkmenen berichtet. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan attackierte daraufhin die Zeitung öffentlich und bezeichnete deren Bericht als Spionage.

Erdem Gul, Bürochef von Cumhuriyet in Ankara nach einer Gerichtsverhandlung am 21. September

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Erdem Gul, Bürochef von „Cumhuriyet“ in Ankara, nach einer Gerichtsverhandlung am 21. September

Right-Livelihood-Geschäftsführer Ole von Uexküll erklärte: „Angesichts immenser persönlicher Risiken hält ‚Cumhuriyet‘ die Fahne der freien Meinungsäußerung in der Türkei in einer Zeit hoch, die für die Menschen dieser Nation kritisch ist.“ Orhan Enric, Präsident der „Cumhuriyet“-Stiftung, reagierte auf die Zuerkennung des Alternativen Nobelpreises, indem er betonte, die Mitarbeiter der Zeitung seien ständigem Druck und Schikanen ausgesetzt, sie befänden sich teilweise in Lebensgefahr. „Wir haben Putsche, Putschversuche, Belagerungszustände und Ausnahmezustände durchgemacht, aber wir haben niemals die Einschränkung des Informationsrechts unserer Leser zugelassen“, schrieb Enric in seiner Stellungnahme.

Freiwillige Helfer

Gemeinhin bekannt als „Weißhelme“ ist Syria Civil Defence eine Gruppe von 3.000 Freiwilligen aus lokalen Initiativen, Männern und Frauen, die seit 2013 ihr Leben riskieren, um Menschen aus den Trümmern von zerstörten Gebäuden im Syrien-Krieg zu retten. Die „Weißhelme“ waren zu Friedenszeiten Bäcker, Schneider, Verkäufer oder Lehrer und haben nun, als ausgebildete Feuerwehrleute, Such- und Rettungskräfte sowie Sanitäter, über 60.000 Menschenleben gerettet. Sie gelten auch als Anwärter auf den Friedensnobelpreis. „Die ‚Weißhelme‘ sind tief berührt“, sagte der Direktor der Organisation, Raid al-Saleh, nach der Preisvergabe. Die Auszeichnung sei auch eine Anerkennung „für die Tapferkeit der Zivilbevölkerung in Syrien, die versucht, ein Leben in Würde zu führen“.

Für Rechte von Migranten

Die Russin Gannuschkina erhält ihren Preis „für ihr jahrzehntelanges Engagement für Menschenrechte und Gerechtigkeit für Geflüchtete und Migranten sowie für die Förderung von Toleranz zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen“. Gannuschkina stellt seit 1990 mit der von ihr gegründeten und geleiteten Organisation Civic Assistance Committee kostenlosen Rechtsbeistand, humanitäre Hilfe und Bildung für über 50.000 Migranten, Geflüchtete und Binnenvertriebene bereit.

Von 2002 bis 2012 kämpfte Gannuschkina als Mitglied des russischen Menschenrechtsrates erfolgreich für eine Änderung der Asylgesetzgebung, sodass seither mehr als zwei Millionen Menschen die russische Staatsbürgerschaft bekamen. Sie sprach in einer ersten Reaktion von einer „großen Ehre“ und „Solidaritätsbekundung“. Betrüblicherweise sei heute nur eine sehr kleine Zahl an Flüchtlingen in Russland willkommen, „und die Rechte von Migranten werden regelmäßig verletzt“.

Ermittlungen gegen Frauenrechtlerin

Hassan und die Organisation Nazra für feministische Studien wird „für ihren Einsatz für die Gleichstellung und die Rechte von Frauen unter Umständen von anhaltender Gewalt, Missbrauch und Diskriminierung“ ausgezeichnet. Weil gegen sie ermittelt wird, darf Hassan das Land derzeit nicht verlassen. Ob sie den Preis in Stockholm persönlich entgegennehmen wird können, ist fraglich.

Die privat finanzierten Alternativen Nobelpreise werden seit 1980 jedes Jahr in Stockholm vergeben. Mit ihnen werden Verdienste für eine nachhaltig bessere Welt gewürdigt und die Arbeit der Preisträger unterstützt. Frühere Preisträger waren zum Beispiel der US-amerikanische Geheimdienstenthüller Edward Snowden, die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, der Zukunftsforscher Robert Jungk, der 1992 bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich für die Grünen antrat, und der aus Vorarlberg stammende Bischof Erwin Kräutler, der sich in seiner Diözese in Brasilien für die Erhaltung des Regenwaldes einsetzte.

science.ORF.at/APA

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