„Wir könnten bis zum Urknall blicken“

Der 14. September 2015 ging in die Geschichte ein: An diesem Tag gelang Physikern der LIGO-Kollaboration der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen. Was damals hinter den Kulissen passierte, wissen die beiden LIGO-Forscher Patricia Schmidt und Sascha Husa.

In einem Interview erklären die beiden, warum die Gravitationswellen die Astronomie revolutionieren werden: Mit ihrer Hilfe könnte man unbegrenzt in die Vergangenheit des Universums blicken - im Prinzip sogar bis zum Urknall.

Im Interview

Die beiden österreichischen Astrophysiker Sascha Husa und Patricia Schmidt sind Mitglieder der LIGO-Kollaboration.

Astrophysikerin Patricia Schmidt

privat

Patricia Schmidt forscht am California Institute of Technology in den USA.

Astrophysiker Sascha Husa

privat

Sascha Husa ist an der der Universität der Balearen in Palma de Mallorca, Spanien, tätig. Am 27.9. hielt er im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft auf Einladung von Universität Wien und Akademie der Wissenschaften in Wien einen Vortrag: „Entdeckung der Gravitationswellen“.

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete auch „Wissen aktuell“, 28.9., 13.55 Uhr.

science.ORF.at: Schon gespannt auf die Vergabe der Nobelpreise in der nächsten Woche?

Sascha Husa: Ein bisschen schon. Ich glaube, es gibt gute Chancen, dass er an die Gravitationswellen-Astronomie geht. Es gibt gewisse Erwartungen, aber wir werden sehen.

Laut den Statuten müssen die Forschungsergebnisse bis spätestens 31. Jänner des Vergabejahres publiziert worden sein. Das war nicht der Fall. Insofern wäre der Nobelpreis erst 2017 möglich.

Sascha Husa: Soweit ich weiß, hat es gewisse Vorehrungen gegeben, damit sich das gerade noch ausgeht, aber ich bin da kein Experte. Wenn’s nicht klappt, wird sich die Enttäuschung in Grenzen halten. Denn es ist ziemlich klar, an wen der Nobelpreis vergeben wird oder würde - jedenfalls nicht an mich!

An wen?

Patricia Schmidt: Die drei Favoriten, wenn der Nobelpreis tatsächlich an die Gravitationswellen-Astronomie vergeben wird, das sind die Gründerväter von LIGO: Zwei Amerikaner - Kip Thorne vom Caltech und Rainer Weiss vom MIT. Und der Schotte Ron Drever, er war ebenfalls am Caltech tätig.

An der Entdeckung waren allerdings mehr als 1.000 Forscher beteiligt. Ist das nicht ungerecht?

Sascha Husa: Es gab auch andere Preise, die an die gesamte LIGO-Kollaboration vergeben wurden. Aber ich glaube, Preise haben nur einen geringen Anteil an der Befriedigung, die man durch so einen wissenschaftlichen Durchbruch erhält.

Sie würden nicht dafür votieren, die Bestimmungen zu verändern? Momentan können maximal drei Forscherinnen den Nobelpreis für Physik, Chemie oder Medizin erhalten - aber keine Kollaborationen. Das könnte man auch anders handhaben, so wie beim Friedensnobelpreis.

Sascha Husa: Das wäre vielleicht zu überlegen, große Teams sind in der heutigen Physik Standard.

Patricia Schmidt: Die drei genannten - Kip Thorne, Rainer Weiss und Ron Drever - stehen mit den Mitarbeitern von LIGO in engem Kontakt. Sie haben immer wieder betont, dass Auszeichnungen symbolisch für die Arbeit jedes einzelnen stehen. Ich stimme Sascha zu: Die Naturwissenschaften haben sich verändert, die Teams werden immer größer. Neben LIGO gäbe es viele andere Beispiele: etwa das Planck-Weltraumteleskop oder die BICEP-Kollaboration. Der Weg wird weiter in diese Richtung gehen, die Experimente sind so komplex, dass eine Hand voll Leuten einfach nicht genug ist.

Sprechen wir noch kurz über die Genese der Entdeckung. Im Herbst letzten Jahres gab es bereits Gerüchte über einen möglichen Volltreffer des LIGO-Teams. Der amerikanische Physiker Lawrence Krauss sprach schon im September 2015 via Twitter von einem „möglichen Nachweis“. Wusste man damals schon, dass man die Gravitationswellen in der Tasche hat?

Sascha Husa: Das war schon am ersten Tag klar.

Das war wann?

Sascha Husa: Am 14. September zu Mittag. Einige Stunden später wussten wir, was das bedeutet.

Und dann hat jemand geplaudert.

Sascha Husa: Wir benachrichtigen unsere wissenschaftlichen Partner regelmäßig über mögliche Signale, damit auch sie ihre Teleskope in diese Region richten können. Kann sein, dass diese externen Kollaborationen der Geheimhaltung nicht ganz so verpflichtet waren wie LIGO. Unsere Position war immer klar: Die Öffentlichkeit hat viel Geld in diese Experimente gesteckt und hat ein Anrecht auf die richtige Story.

Warum hat man bis Februar mit der Veröffentlichung gewartet?

Sascha Husa: Die Datenanalyse braucht eben Zeit. Wir wussten, dass wir etwas gefunden hatten, aber wir wollten jeden Zweifel ausschließen.

Sie sind beide Mitglieder des LIGO-Teams: Was war Ihre Aufgabe bei diesem Großprojekt?

Patricia Schmidt: Wenn man Gravitationswellen bei kollidierenden Schwarzen Löchern nachweisen will, muss man vorher eine gewisse Ahnung davon haben, wie diese Gravitationswellen aussehen. Um mögliche Signale aus den Daten zu filtern, brauchen wir Wellenformmodelle. An solchen Modellen haben Sascha und ich jahrelang gearbeitet.

Berechnet werden diese Wellen mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie: Genügt es nicht, Massen, Bewegung und Drehimpuls der Schwarzen Löcher einzusetzen, damit die Formeln Gravitationswellen ausspucken?

Patricia Schmidt: Nein, das ist leider nicht so einfach. Einsteins Formeln sehen zwar sehr elegant aus, wenn man sie in der einfachsten Weise hinschreibt. Aber wenn man das Problem berechnen will, bekommt man es mit nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen zu tun, die noch dazu gekoppelt sind. Die zu lösen ist nicht mit Papier und Bleistift möglich. Dafür muss man sehr teure Simulationen an Großcomputern durchführen. Um die numerischen Lösungen zu finden, waren jahrzehntelange Vorarbeiten nötig.

Hätte man diese Lösungen nicht, wäre die Messapparatur blind?

Sascha Husa: Nicht ganz blind, aber wir würden viel weniger über die Eigenschaften der Schwarzen Löcher wissen. Das hilft uns zu verstehen, welchen Lebenszyklus Sterne haben, die als Schwarze Löcher enden.

Dass es Gravitationswellen gibt, hat Albert Einstein bereits vor hundert Jahren erkannt. Warum hat es so lange gebraucht, um ihn zu bestätigen?

Sascha Husa: Die Gravitationswellen sind winzige Störungen der Raumzeit. Nehmen wir etwa die Umlaufbahn des Saturn: Würde man diese Bahn um den Durchmesser eines Wasserstoffatoms verändern, dann hätte man den Effekt, den die Gravitationswellen ausmachen. Das ist sehr sehr klein - und fast unvorstellbar, dass das jemand nachmessen kann. Zum anderen wusste man zu Einsteins Zeiten noch gar nichts von der Existenz von Schwarzen Löchern und Neutronensternen. Es hat Jahrzehnte gedauert, dass man sich überhaupt vorstellen konnte, was eine Quelle von Gravitationswellen sein könnte. Ganz zu schweigen von den experimentellen Techniken für den Nachweis.

Einsteins später Triumph ist allerdings nur der eine Teil der Geschichte. Die Gravitationswellen könnten eine völlig neue Art von Astronomie ermöglichen. Eine Revolution, so heißt es, kündigt sich nun an: Was ist so revolutionär?

Sascha Husa: Die ersten Eindrücke vom Universum haben Menschen mit ihren Augen gewonnen. Dann folgten einfache Teleskope, Infrarot, Radiowellen, Röntgenstrahlen - und jedes Mal, wenn sich ein neues Fenster öffnete, gab es große Durchbrüche: Neue Objekte im Weltall wurden entdeckt. Wir erwarten, dass es mit den Gravitationswellen auch so ist. Wir haben auch bereits Schwarze Löcher gefunden, die schwerer sind als die bisher bekannten. Und es gibt wenig Zweifel, dass weitere Entdeckungen folgen werden.

Patricia Schmidt: Die Gravitationswellen-Astronomie eröffnet uns ein neues Fenster in die Extreme. Wir erwarten, dass wir mehr über das Innere von Neutronensternen erfahren. Dort herrschen extreme Bedingungen, die man in den Labors auf der Erde nicht herstellen kann. Wir können auch nicht einfach in einen Neutronenstern hineinschauen - aber mit Hilfe von Gravitationswellen wäre das möglich.

Da Wellen Zeit brauchen, um die Erde bei ihrer Reise durchs Weltall zu erreichen, blickt man mit Teleskopen auch immer in die Vergangenheit: Das älteste Licht entstand 300.000 Jahre nach dem Urknall. Diese Schranke besteht bei Gravitationswellen nicht, oder?

Sascha Husa: Stimmt genau. Die Geburt des Universums, das ist der heilige Gral der modernen Physik. Gravitationswellen sind die einzige Möglichkeit, diese ersten Momente zu beobachten.

Wie weit kann man in die Vergangenheit blicken - bis zum Urknall?

Sascha Husa: Im Prinzip ja. In der Praxis wird es sich zeigen.

Was wird man dann sehen? Das „Antlitz Gottes“?

Sascha Husa: Das, glaube ich, würden nur sehr wenige Physiker so formulieren. Welche Erkenntnisse man ultimativ aus der Physik gewinnen kann, ist eine sehr schwierige Frage. Ich halte es für falsch, darüber im Vorhinein zu spekulieren. Wir wollen Fragen stellen, Dinge beobachten und danach versuchen zu erklären, was wir gesehen haben.

Die Formulierung stammt von George Smooth, Physik-Nobelpreisträger 2006.

Sascha Husa: Gegenüber der Öffentlichkeit werden gerne starke Worte gebraucht. Ich stehe zu meiner Aussage: Kaum ein Physiker würde das so ausdrücken - zumindest nicht gegenüber anderen Physikern.

Patricia Schmidt: Ich würde das auch nicht so formulieren, aber ich bin auch kein religiöser Mensch. Was uns antreibt, ist die Hoffnung auf das Neue, das Unerwartete.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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