Physiknobelpreis für „schöne“ Quantenforschung

Der Physiknobelpreis geht heuer an drei Briten: Die eine Hälfte erhält David Thouless, die andere Hälfte geht an Duncan Haldane und Michael Kosterlitz. Sie werden für ihre Forschungen über exotische Materiezustände der Quantenwelt ausgezeichnet.

Wie die schwedische Akademie der Wissenschaften heute in Stockholm bekanntgab, haben die drei Theoretiker unter anderem das Verhalten von Supraleitern und Supraflüssigkeiten geklärt. Ihre Arbeit stamme aus dem Bereich der mathematischen Topologie - sie sei „schön“ und habe „tiefe Einsichten“ in das Wesen der Materie ermöglicht. „Dank ihrer Pionierarbeit ist die Jagd auf neue und exotische Zustände von Materie eröffnet“, hieß es seitens der Akademie.

Die drei gebürtigen Briten sind allesamt in den USA tätig: Thouless, 82, ist emeritierter Professor an der University of Washington. Haldane, 65, forscht an der Princeton University in New Jersey. Kosterlitz, 73, ist Professor an der Brown University in Providence, Rhode Island.

„Völlig überraschend“

Es sei für ihn völlig überraschend, dass der Preis für Grundlagentheorie vergeben wurde, „die vielleicht irgendwann einmal angewendet wird“, sagte Rolf-Dieter Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Die Theorien der drei Preisträger sind nicht einfach zu verstehen. Selbst den Nobeljuroren fiel es schwer, sie zu erklären.

Physiker Thors Hans Hansson hält schwedisches Gebäck in der Hand

APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Szene aus Stockholm: Thors Hans Hansson, Mitglied des Nobelpreiskomitees, versucht Topologie anhand eines Bagels und einer Zimtschnecke zu erläutern

Die drei bekanntesten Zustände von Materie kennt jeder: gasförmig, flüssig, fest. Unter bestimmten Bedingungen kann Materie aber auch exotischere Zustände annehmen und ungewöhnliche Eigenschaften entwickeln. Dazu gehören beispielsweise Supraleiter, in denen Strom besonders leicht fließen kann, aber auch Supraflüssigkeiten oder dünne magnetische Schichten. Mit ihren Theorien machen es Thouless, Haldane und Kosterlitz möglich, diese Phänomene zu erklären.

Auf den Arbeiten der drei ruhen große Hoffnungen. „Ihre Arbeit könnte zu Materialien führen, die neuartige Anwendungen in der Materialwissenschaft und Elektronik möglich machen“, erklärte Robert Brown, Geschäftsführer des Amerikanischen Instituts für Physik. „Es gibt die Hoffnung, dass man elektronische Zustände findet, die besonders robust gegen Störungen von außen sind“, sagte Henning Riechert vom Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik in Berlin. Die Pionierarbeit der drei ausgezeichneten Physiker könnte etwa zur Entwicklung neuartiger Bauteile für Quantencomputer führen.

Über Entdeckung gestolpert

Haldane hat jedenfalls nicht mit der renommierten Auszeichnung gerechnet. „Ich war sehr, sehr überrascht und sehr dankbar“, sagte er nach der Preisverkündung in Stockholm per Telefonschaltung. Eine halbe Stunde zuvor hatte er erfahren, dass ihm die Auszeichnung zuerkannt worden war. „Es war wie bei vielen Entdeckungen: Du stolperst über sie und musst einfach begreifen, dass du dort etwas sehr Interessantes gefunden hast“, sagte Haldane.

Seit 1901 haben 200 Forscher den Physiknobelpreis erhalten, der US-Amerikaner John Bardeen sogar zweifach. Die erste Auszeichnung erhielt der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der später nach ihm benannten Strahlen.

Der jüngste Preisträger war der damals 25-jährige Lawrence Bragg, der den Preis 1915 zusammen mit seinem Vater erhielt. Der älteste war mit 88 Jahren der US-Forscher Raymond Davis, der unter anderem kosmische Neutrinos nachgewiesen hat. Der Preis ging nur an zwei Frauen: Marie Curie und zuletzt 1963 an die deutsch-amerikanische Forscherin Maria Goeppert Mayer für Arbeiten zur Atomstruktur.

Medizinpreis an Zellforscher

Im vergangenen Jahr war der Physiknobelpreis den Teilchenforschern Takaaki Kajita aus Japan und Arthur McDonald aus Kanada zugesprochen worden. Den Nobelpreisreigen in diesem Jahr hatte traditionell die Auszeichnung für Medizin eröffnet, sie wurde an den Japaner Yoshinori Ohsumi vergeben. Er bekam den Preis für seine Verdienste um die Erforschung des Autophagie-Mechanismus, der unter anderem bei der Zersetzung von Zellbestandteilen eine Rolle spielt.

Am Mittwoch werden die Träger des Chemienobelpreises bekanntgegeben. Später folgen die Träger für den Friedens-, Literatur- und den von der schwedischen Reichsbank gestifteten Wirtschaftsnobelpreis. Die feierliche Überreichung aller Auszeichnungen findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Die prestigeträchtigen Preise sind mit je acht Millionen schwedischen Kronen (etwa 830.000 Euro) dotiert.

science.ORF.at/dpa

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