Kritik an EU-„Winterpaket“

Die Energiereform der EU-Kommission („Winterpaket“) sorgt für Kritik - v. a., weil künftig Ökostrom bei Überschuss nicht mehr vorrangig in das Stromnetz gespeist werden soll. „Ein Wettbewerbsnachteil“, so der Energieexperte Jürgen Schneider.

Den Anteil an erneuerbarer Energie zu erhöhen, ist Ziel der Europäischen Kommission, die Mittwoch ihre Energiereformpläne vorgelegt hat - das sogenannte „Winterpaket“. Damit will die Europäische Union den Energieverbrauch bis 2030 einerseits senken und die Energieeffizienz andererseits steigern, um mittelfristig das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Bis zum Ende des Jahrhunderts soll demnach ganz auf Erdöl, Erdgas und Kohle verzichtet werden.

Veranstaltungshinweis

Jürgen Schneider hält am Donnerstag, den 1.12. um 18:30 Uhr im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“ in Wien einen Vortrag. Thema: „Saubere und nachhaltige Energiesysteme in der Zukunft - Was braucht es dafür?“. Veranstalter der Vortragsreihe ist das Umweltbundesamt.

Umso verwunderlicher ist es, dass die Kommission laut dem Paket den Netzeinspeisungs-Vorrang von Sonnen- und Windenergie aufgeben möchte. Derzeit werden an Tagen, wo zu viel Strom verfügbar ist, in erster Linie konventionelle Kraftwerke vom Netz genommen. Künftig soll die Energie aus Wind, Sonne und Wasser stärker dem freien Wettbewerb ausgesetzt werden. Für Jürgen Schneider vom Umweltbundesamt in Wien eine unglückliche Lösung: „Solange fossil betriebene Kraftwerke nicht für die tatsächlich verursachten Schäden der Treibhausgasemissionen zahlen, muss dieser Vorrang definitiv gewährt werden. Ansonsten haben sie einen klaren Wettbewerbsnachteil“, meint er gegenüber science.ORF.at.

„Paket zu wenig konkret“

Grundsätzlich versucht der Emissionshandel diesen Nachteil auszugleichen, indem er pro emittierte Tonne CO2 einen gewissen Preis festlegt. Im Moment seien aber zu viele Zertifikate am Markt im Umlauf, weshalb der CO2-Preis derzeit ausgesprochen niedrig ist, erklärt Schneider. „Würden fossile Anlagen tatsächlich für ihre externen Schadeffekte aufkommen, wäre die Energie aus Sonne oder Wind sogar billiger.“ So oder so - langfristig wird Ökostrom das Rennen machen, davon ist der Chemiker überzeugt. Denn Strom aus Wind und Solaranlagen kann sukzessive billiger erzeugt werden.

Auf die Frage, wie das „Winterpaket“ der EU einzuordnen ist, meint Scheider: „Es ist nicht besonders stark, da die Richtlinien keinerlei verbindliche Ziele für die einzelnen Mitgliedstaaten, sondern nur gesamteuropäische Vorgaben für das Steigern der erneuerbaren Energie vorsehen. Die Vorgaben zur Energieeffizienz sind mit einer Steigerung von 30 Prozent etwas ambitionierter als ursprünglich vorgesehen. Wichtig wäre, dass die vorgesehene jährlich Steigerung der Effizienz um 1,5 Prozent tatsächlich verbindlich umgesetzt und kontrolliert wird.“

Zudem verweist Schneider darauf, dass dieser Vorschlag noch vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union verhandelt wird. „Da kann noch nachgebessert werden. Die Verhandlungen zu den komplexeren Themen könnten sich bis Ende 2018 hinziehen. Das wäre insofern interessant, da Österreich dann den EU-Ratsvorsitz innehaben wird.“

Gemischte Energiebilanz in Österreich

Unterdessen wird auch in Österreich nach Lösungen gesucht, um die „Energiewende“ voranzutreiben. Betrachtet man ausschließlich die Stromversorgung, sind wir im europäischen Vergleich an der Spitze: Das Verhältnis Sonne, Wind und Wasser zu Strom aus Kohle, Gas und Erdöl liegt hier bei 7:3.

Anders sieht die Bilanz aus, wenn man den gesamten Energieverbrauch betrachtet und den KfZ-Verkehr, die Wärmeversorgung und Kühlung miteinberechnet, weiß der Energieexperte. „Strom macht etwa ein Fünftel des Energie-Endverbrauchs aus.“ Der Anteil von fossiler Energie am Gesamtenergieverbrauch beträgt zwei Drittel, erneuerbare Energie macht nur ein Drittel aus. Das sei definitiv zu wenig.

Sorgenkind Mobilität

Als großes Sorgenkind nennt Schneider den Verkehr, der zu über 90 Prozent aus fossilen Energieressourcen gespeist wird. Zudem wäre es laut dem Energieexperten wichtig, neue Gebäude verpflichtend als Niedrigstenergie- oder Passivhäuser zu errichten und bestehende Gebäude thermisch zu sanieren. Auf diese Weise ließe sich der Energieverbrauch für Heizen und Kühlen im Vergleich zu einem Gebäude aus den 1950er Jahren auf ein Zwanzigstel reduzieren. „Das heißt, man bräuchte dann kaum noch zusätzliche Energie. Zudem müssten alte Heizsysteme sukzessive ausgetauscht werden, damit auch sie ohne Kohle, Öl oder Gas funktionieren.“

Eine bisher bewährte Option, mit der sowohl Verbrauer als auch Energieunternehmen vom Umstieg auf erneuerbare Energie profitieren können, sind BürgerInnen-Kraftwerke. „Im Prinzip ist es wie Crowdfunding. Man investiert gemeinsam in eine größere Solar- oder Windanlage und bekommt dafür eine jährliche Vergütung“, so Schneider.

Auf der anderen Seite sollte es bald möglich sein, auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern Solaranlagen zu errichten, die mehrere Parteien mit Strom versorgen. „Da gibt es derzeit noch Restriktionen, die unsinnig sind.“

Neben den Bürgern appelliert Schneider aber auch an die Politik und an die Vertreter von erneuerbaren und konventionellen Energieunternehmen, sich an einen Tisch zu setzen: „Man kann solche Transformationsprozesse wie in der Energiewirtschaft nur gemeinsam machen. Anders wird es nicht funktionieren.“

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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