Die Wahrheit über den Weihnachtsmann

Alle Jahre wieder setzt das „British Medical Journal“ zu Weihnachten auf skurrile Wissenschaft. Kostproben aus der aktuellen Ausgabe: Macht Kaviarkonsum reich? Und kommt Santa Claus wirklich nur zu braven Kindern?

Während der Luftrüssel (vulgo Tröte) für uns Kontinentaleuropäer erst zur Faschingszeit zur Anwendung kommt, leisten sich die Briten am Weihnachtsabend einen thematischen Vorgriff: Sie legen das Christfest eher lustig an, unter Einsatz bunter Hütchen und anderer Stimmungsaufheller.

Ähnlich verfahren auch die Herausgeber des „British Medical Journal“. In der „Christmas Edition“ sind traditionellerweise Beiträge versammelt, die sich irgendwo zwischen Spleen, Scherz und Schrulle ansiedeln - und unter normalen Umständen in dem renommierten Fachblatt wohl keine Chance auf Veröffentlichung hätten.

So auch dieses Jahr. Ausgangspunkt der Untersuchung des Harvard-Mediziners John Park war der alte Satz: „Der Weihnachtsmann bringt nur braven Kindern Geschenke.“ Eine Behauptung, die zu überprüfen sich bisher niemand die Mühe gemacht hat.

„Weihnachtsmythos widerlegt“

Das haben Park und sein Team nun nachgeholt. Zugegeben, der Weihnachtsmann war nicht Gegenstand der Untersuchung, sondern verkleidete Männer, die als Santa Claus die Kinderabteilungen britischer Krankenhäuser besucht hatten.

Ergebnis der Analyse: In Nordirland besuchten die Weihnachtsmänner sämtliche pädiatrische Stationen, in Schottland und Wales waren es etwas mehr als 90 Prozent, in England 89 Prozent. Nur gab es, wie die Forscher notieren, keinen Zusammenhang zur Bravheit (definiert als Schuleschwänzen oder sonstige Troubles mit den Autoritäten, sofern schriftlich vermerkt).

Um Vollständigkeit in der Ursachenforschung bemüht, sahen sich Park und Kollegen auch die Lage der Krankenhäuser im Vergleich zum Nordpol an - die Distanz zur Arbeitsstätte hätte ja auch ein Grund für die Absenzen von Santa Claus sein können, aber nichts dergleichen, auch hier wurden die Forscher nicht fündig.

Sehr wohl scheint das Geld eine Rolle zu spielen. Krankenhäuser, die in armen Vierteln lagen, wurden vom Weihnachtsmann häufiger vergessen. Fazit der Wissenschaftler: „Dies ist nach unserem Wissen die erste Studie, die den Mythos widerlegt, der Weihnachtsmann käme nur zu braven Kindern. In Wirklichkeit entscheiden sozioökonomische Ursachen über einen Besuch.“ Nachsatz: „Wir wollen, dass zu Weihnachten alle Kinder glücklich sind.“

Was Kaviar mit Risiko zu tun hat

Einen auf den ersten Blick lukullischen Forschungsansatz hat Anders Huitfeldt von der Stanford University gewählt. Seine Arbeit trägt den ungewöhnlichen Titel: „Is caviar a risk factor for being a millionaire?“ Leider handelt es sich um keine doppelblind randomisierte Kaviarverkostung, sondern um theoretische Erörterungen rund um den Begriff „Risikofaktor“.

Der Begriff ist relativ jung, er wird erst seit den 60er-Jahren in der medizinischen Fachliteratur verwendet. Allerdings mit unterschiedlichen Bedeutungen, wie Huitfeldt uns aufklärt. Das macht in manchen Fällen kaum Probleme, etwa beim Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs, in anderen Fällen indes schon. Zur Verdeutlichung dessen greift Huitfeldt auf den Kaviar zurück. Theoretisch könnte man aus der Beobachtung Fischeier essender Millionäre schließen, dass Kaviarkonsum ein „Risikofaktor“ für Reichtum sei, schreibt der amerikanische Mediziner.

Weihnachtsmann erledigt neben Londoner Telefonzelle sein Geschäft

Peter Nicholls/Reuters

Das „British Medical Journal“ berichtet unter anderem über den Einfluss von Spargel auf den Wasserhaushalt

Nur müsse man angeben, ob man damit einen aktuellen Zusammenhang feststellen, eine Prognose abgeben oder Ursachenforschung betreiben will. Das seien nämlich unterschiedliche Paar Schuhe - Widersprüche in der Fachliteratur entstehen laut Huitfeldt durch Begriffsverwirrung, nämlich dann, wenn Forscher das Gleiche sagen, aber etwas anderes meinen. So viel zur Sophistik medizinischer Methodenlehre, Huitfeldts Beitrag wurde übrigens in der Rubrik „Food for Thought“ abgedruckt.

Spargel: Die Sache mit dem Urin

Ebenda beantworten Forscher um Lorelei Mucci die drängende Frage, warum nicht jeder Spargelgeruch im Urin erkennen kann. Zur Erinnerung: Nach dem Verzehr von Spargel bekommt der Urin einen recht eigentümlichen Duft, Ursache dafür sind Abbauprodukte, die bei der Verdauung des Gemüses entstehen (Methanethiol und S-Methyl-Thioester, für jene, die es genau wissen wollen).

Mucci hat mit ihren Mitarbeitern im Erbgut von knapp 7.000 Frauen und Männern nach genetischen Ursachen geforscht - und wurde auf Chromosom 1 fündig. Dort liegen offenbar jene Genvarianten, die den Geruchssinn mit der entsprechenden Sensibilität ausstatten.

Wie so oft in der Grundlagenforschung wirft die gefundene Antwort eine neue Frage auf. Frauen sind nämlich normalerweise mit einem feineren Geruchssinn als Männer ausgestattet, bei der Wahrnehmung des Spargeldufts war es aber umgekehrt. Hypothese der Forscher: Vielleicht hat die unterschiedliche Toilettenposition von Frauen und Männern Einfluss auf die Geruchsentfaltung.

Tipper, Spam und Pokémon

Die weiteren Weihnachtsstudien im Schnelldurchlauf: Tipp- und Rechtschreibfehler sind auch in der wissenschaftlichen Literatur gang und gäbe. Wer nach Fachbegriffen sucht, tut gut daran, auch Falschvarianten in die Suchmaske von Datenbanken einzutippen - in der Pharmakologie wird man so in immerhin 1,17 Prozent aller Fälle fündig, unterrichtet uns Robin Ferner aus Birmingham.

Als Suchbegriff war auch „Pokémon Go“ in diesem Jahr ganz groß (Rang zwei bei deutschen Google-Nutzern), in medizinischer Hinsicht hatte der Hype aber keine allzu großen Auswirkungen. Wie Katherine Howe von der Harvard School of Public Health vorrechnet, macht ein durchschnittlicher Pokémon-Spieler auf der Suche nach den „Taschenmonstern“ in der ersten Woche bloß 955 zusätzliche Schritte. Nach sechs Wochen ist der Spuk vorbei, da fällt die Bewegungsfreude wieder aufs Anfangsniveau. Physisch betrachtet hält sich die Erweiterung der erweiterten Realität also in Grenzen.

Über eine Unsitte im Wissenschaftsbetrieb berichten neuseeländische Forscher: unerwünschte Einladungen zur Teilnahme an Kongressen oder Einreichung von Manuskripten. Die Teilnehmer der Studie von Andrew Grey und Co. bekamen satte 312 einschlägige Emails pro Monat, die meisten davon (83 Prozent) hatten wenig bis nichts mit dem Forschungsgebiet der Empfänger zu tun. Grey nennt das Ganze „akademischer Spam“, das Problem gab es freilich auch schon vor der Internetära.

Der britische Nobelpreisträger Francis Crick etwa wurde seiner Prominenz wegen zeitlebens mit Anfragen und Einladungen belästigt. Weswegen er die Korrespondenz etwas straffen musste: Crick antwortete auf unerwünschte Zusendungen grundsätzlich mit einer Universalpostkarte. Darauf waren alle möglichen Nein-Varianten vorgedruckt - der Empfänger durfte sich dann aussuchen, welche am besten zu ihm passt.

Robert Czepel, science.ORF.at

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