Warum ist die KPÖ in Graz erfolgreich?

Am Sonntag steht in Graz die Gemeinderatswahl an. In der Stadt feiert die KPÖ seit den 1990er Jahren atypische Wahlerfolge und stellt derzeit die zweitgrößte Gemeinderatsfraktion. Wie es dazu kam, erklärt der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher in einem Gastbeitrag.

Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen sind etablierte Akteure in vielen Ländern Westeuropas. Österreich ist hierbei ein Sonderfall, Graz liegt jedoch im westeuropäischen Trend. Während die Grazer KPÖ im Jahr 1983 bei nur 1,8 Prozent Stimmenanteil noch im politischen Niemandsland war, erreichte die Partei in jüngster Zeit zwei Mal rund 20 Prozent (2003 und 2012).

Manès Weisskircher

privat

Über den Autor

Manès Weisskircher ist Politikwissenschaftler am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Seine Interessensgebiete sind soziale Bewegungen, politische Parteien und Demokratie. Sein Artikel „The Electoral Success of the Radical Left. Explaining the Least Likely Case of the Communist Party in Graz, Austria” erscheint demnächst in der Fachzeitschrift Government & Opposition.

Trotz dieser Erfolge wurde nur selten ein analytischer Blick auf die KPÖ Graz geworfen – möglicherweise auch deshalb, weil es an der Grazer Karl-Franzens-Universität kein eigenständiges Politikwissenschafts-Institut gibt.

Aufstieg wider alle Erwartungen

Die jüngste Geschichte der KPÖ Graz weicht von vielen politikwissenschaftlichen Erwartungshalten zu „radikalen Linksparteien“ ab. Typischerweise erreichen Vertreterinnen dieser Parteienfamilie nur dann einen signifikanten Anteil an WählerInnen, wenn sie in ihrem politischen System historisch verankert sind. Zwar war die KPÖ in der Steiermark immer etwas weniger erfolglos als in anderen Regionen des Landes – sie überlebte nicht nur bis 1970 im steirischen Landtag, sondern erzielte auch danach noch lokale Erfolge (in Eisenerz gewann sie unter Karl Fluch im Jahr 1990 (!) über 20 Prozent der Stimmen). Nichtsdestotrotz blieben politische Kräfte links der Sozialdemokratie und der Grünen in der Steiermark, und noch um vieles mehr in Gesamtösterreich, eine politische Randerscheinung.

Ebenso zeigt die politikwissenschaftliche Forschung, dass grüne und rechtsradikale Mitbewerber die Erfolgschancen von linken Alternativen minimieren. Doch obwohl beide Parteienfamilien im Grazer Gemeinderat vertreten sind, erzielt die KPÖ Graz regelmäßig hohe Stimmenanteile. Des Weiteren bezeichnen sich die stimmenstärksten „Linksparteien“ Westeuropas zumeist nicht mehr als kommunistisch. Hier bildet die KPÖ Graz abermals eine bemerkenswerte Ausnahme. Selbiges gilt für die Regierungsbeteiligung der Partei: Während linke Parteien in westeuropäischen Regierungen im Regelfall mit WählerInnenschwund kämpfen und nur wenige inhaltlich linke Spuren hinterlassen, erzielte die KPÖ Graz ihre besten Ergebnisse seit der Partizipation in der Stadtregierung und setzte in einzelnen kommunalpolitischen Bereichen ihre politischen Vorstellungen durch.

Welche Faktoren erklären die Wahlerfolge?

Der Aufstieg der KPÖ Graz beruht hauptsächlich auf zwei Faktoren: Erstens konzentrierte sich die Partei auf das langfristige Bearbeiten und Besetzen kommunalpolitisch relevanter Themen, vor allem im Bereich Wohnen. Zweitens zogen ihre PolitikerInnen dabei Vorteil aus den günstigen institutionellen Gegebenheiten des lokalen politischen Systems. Diese sind die Abwesenheit einer Sperrklausel und das Prinzip der Proporzregierung, aber auch die Möglichkeit für direkte Demokratie „von unten“.

Auf Grund der Abwesenheit einer Sperrklausel auf lokaler Ebene erreichte die KPÖ Graz bei Gemeinderatswahlen seit 1945 ausnahmslos mindestens ein Mandat und verschwand nie vollständig von der politischen Bühne. Bei einer hohen Prozenthürde für den Einzug in das Stadtparlament wären die KommunistInnen wohl dem Effekt der wahrgenommen „verlorenen Stimme“ für Kleinparteien zum Opfer gefallen.

Doch selbst im Jahr 1983, mit 1,8 Prozent am Tiefpunkt angelangt, fiel die Partei nicht aus dem Gemeinderat. Ernest Kaltenegger blieb nach seiner ersten Wahl als Listenerster weiterhin Abgeordneter – das Mandat hatte er zwei Jahre zuvor von Ferdinand Kosmus, 1981 tödlich verunglückt, übernommen. Ein Detail am Rande: Franz Voves, der Vater des späteren Landeshauptmannes, verzichtete damals darauf.

Grazer Geminderatswahl 2017: Wahlplakate auf der Straße

APA/Erwin Scheriau

Wahlkampf in Graz 2017

Engagement in Wohnungspolitik

Ab den 1980er Jahren kam es nach und nach zu einem Umdenken innerhalb der Partei, die nicht nur mit lokaler Irrelevanz, sondern auch mit dem Nieder- und Untergang des Realsozialismus konfrontiert war. Die gezogene Konsequenz war das langfristige Bearbeiten lokalpolitischer Themen, insbesondere von Wohnungspolitik. Anstöße waren der hohe Anteil an Substandardwohnungen in der steirischen Landeshauptstadt, Kalteneggers private Erlebnisse bei einer Vielzahl an Umzügen, sowie Kontakte zur KP im französischen Lille, die unter anderem eine Notrufstelle für MieterInnen betrieb.

Dementsprechend erfolgten in den 1990er Jahren unter anderem folgende wohnungspolitische Schritte: das Anbieten des „Mieternotrufs“, die Finanzierung juristischer Auseinandersetzungen von MieterInnen mit VermieterInnen und das verstärkte Streben nach medialer Öffentlichkeit, um Missstände im Wohnungswesen anzuprangern.

Die Partei wuchs nach und nach: Bereits im Jahr 1993 stellte sie nach dem besten Wahlergebnis seit vier Jahrzehnten (4,2 Prozent) zwei Abgeordnete. Neben Kaltenegger zog Elke Kahr in den Grazer Gemeinderat ein. Bei der nächsten Wahl, im Jahr 1998, erreichte die Partei 7,9 Prozent – das Prinzip der Proporzregierung eröffnete der KPÖ daraufhin die Möglichkeit, ein Mitglied der Grazer Stadtregierung zu stellen. Die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung war jedoch nicht zwingend verlockend. Als Stadtrat gab es für Kaltenegger, ohne Koalitionsbeteiligung in der parlamentarischen Minderheit, keinerlei Garantie für die Umsetzung politischer Inhalte.

Eine Wahlurne mit Wahlzetteln

ORF.at/Peter Pfeiffer

Politischer Druck durch direkte Demokratie

Damals profitierte die KPÖ Graz auch von der Entscheidung der Konkurrenz, den KommunistInnen das Wohnungsressort zu überlassen. Dabei konnte die Partei darauf setzen, auch durch direktdemokratische Instrumente, inklusive der Volksbefragung, politischen Druck auszuüben. Hierfür genügen in Graz 10.000 UnterstützerInnen. Bereits vor 1998 sammelte die KPÖ Graz mehr als 15.000 Unterschriften für die Einführung der Mietzinszuzahlung, die noch ohne Volksbefragung erfolgte.

In der Regierung organisierte die Partei eine Volksbefragung gegen die Privatisierung der Gemeindewohnungen – die Unterstützung der KPÖ-Position war, bei äußerst geringer Wahlbeteiligung, deutlich. Die bekannteste Kampagne der KPÖ betraf die Renovierung von Gemeindewohnungen ohne adäquate Badezimmer. Deren Finanzierung konnte nach wirkungsvoller Öffentlichkeitsarbeit durchgesetzt werden, direkte Demokratie blieb dabei ein nicht angewandtes Druckmittel.

Ein weiterer zentraler Aspekt der KPÖ-Politik war Kalteneggers Verzicht auf wesentliche Teile seines Gehalts als Stadtrat. Diese Praxis wurde später auch von seiner Nachfolgerin Kahr und den steirischen KP-Landtagsabgeordneten übernommen. Mit dem gesammelten Betrag unterstützt die Partei Menschen mit finanziellen Problemen.

Über die Jahr relativ stabil

Diese Beispiele illustrieren, dass sich die KPÖ Graz trotz parlamentarischer Minderheitsposition auch in Regierungsfunktion zu helfen wusste. Schlussendlich nutzten die handelnden PolitikerInnen die günstige Konstellation, für ein Ressort zuständig zu sein, ohne dabei der gesamten Regierungspolitik zustimmen zu müssen. Im Jahr 2003, bei der ersten Wahl nach Regierungseintritt, erreichte die Partei das Rekordergebnis von 20,8 Prozent. Zwei Jahre später schaffte die Partei nach 35 Jahren den Wiedereinzug in den steirischen Landtag, wo sie jedoch nur eine kleine Oppositionspartei blieb, aber immerhin bis heute parlamentarisch überlebte.

In Graz stürzte die KPÖ im Jahr 2008 auf 11,2 Prozent ab, fünf Jahre später erhielt die Partei jedoch erneut 19,9 Prozent der gültigen Stimmen. Die langfristige Stabilität an der Wahlurne, die wachsende Zahl junger AktivistInnen und die letztjährige Wahl Kahrs zur Vizebürgermeisterin deuten darauf hin, dass die KPÖ in der zweitgrößten Stadt des Landes weiterhin eine bedeutende Rolle spielen wird. Ende 2016 sahen Umfragen sie als drittstärkste Kraft, weiterhin vor der SPÖ und den Grünen, aber hinter der FPÖ.

Grazer Gemeinderatswahl 2012 Ergebnisse

ORF/APA/Techt

Potenzial für eine linke Partei jenseits der Steiermark?

Gemessen an den ultimativen Zielen kommunistischer Parteien sind die Erfolge in Graz gering. Gemessen an der Realität linker Politik in Westeuropa sind sie jedoch beachtlich. Führende VertreterInnen der Partei betonen, dass es andernorts mehr als eine simple „Kopie“ ihrer Ansätze benötigt. Die KPÖ Graz offenbart jedoch zumindest, dass das langfristige Verknüpfen von Kapitalismuskritik mit Themen, die allgemeine Interessen konkret berücksichtigen, sowohl zu Wahlerfolgen als auch zum Erreichen inhaltlicher Ziele führen kann.

Auch in Österreich muss der Niedergang des politischen Zentrums also nicht automatisch überwiegend die FPÖ begünstigen. Umsichtige Akteure können selbst in ungünstigen gesamtpolitischen Kontexten wichtigen Handlungsspielraum finden. In Graz regierte von 1973 bis 1983 ein freiheitlicher Bürgermeister: Damals erwartete niemand die späteren Erfolge der KPÖ.

Mehr zu dem Thema: