Wie man gut musiziert

Wann verdient eine Interpretation einer Klaviersonate von Chopin ein „Sehr gut“ und wann nur ein „Gut“ oder „Befriedigend“? Eine Studie der Musikuniversität Wien untersucht, wonach Professoren ihre Musikstudenten beurteilen.

Improvisieren gehört zum Jazz ebenso wie ein paar schiefe Töne zu einem Rockkonzert. Diese Freiheit haben Studierende der klassischen Musik nicht, weiß die Soziologin Rosa Reitsamer vom Institut für Musiksoziologie an der Musikuniversität Wien.

Bei Beethoven und Haydn ist jede Note und jede Pause vorgegeben. Allein Florence Foster Jenkins - kürzlich überzeugend dargestellt von Meryl Streep - vermochte sich darüber hinwegzusetzen und trotzdem erfolgreich zu sein. Es geht in der klassischen Musik aber nicht nur darum, die richtigen Töne zu treffen. Vielmehr schreibt sie auch klare Regeln vor, wie eine bestimmte Sonate interpretiert werden muss und welcher Ausdruck an welcher Stelle erforderlich ist. Sich hier eine vielfältige Repertoirekenntnis aufzubauen, ist Teil des Studiums. „Es geht darum, die stark konventionalisierten Ausdrucksnormen zu erlernen, um zu wissen, welche Emotionen und Gefühle ich überhaupt darstellen darf auf der Konzertbühne“, erklärt Reitsamer.

Ö1 Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung „Dimensionen Magazin“ am 3.2. um 19:05.

Was wird beurteilt?

In Rahmen einer Studie ging die Soziologin der Frage nach, worauf Lehrende an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien bei ihren Studierenden achten und woran sie letztlich ihren musikalischen Fortschritt festmachen. 32 Professoren der MDW haben dies anhand von Videoaufzeichnungen ihrer konzertierenden Studenten genau erklärt - konkret ging es dabei um Klassenabende: „Das sind öffentliche Auftritte von Studierenden, die einmal im Semester stattfinden", erklärt Reitsamer.

Die richtige Emotion zu Beethovens erster Klaviersonate oder Mozarts Flötenkonzert in D-Dur müssen die Musikstudenten und Studentinnen nicht nur bis ins Detail im Schlaf kennen, sondern auch jedes Mal so reproduzieren, als wäre es eine spontane Momentaufnahme. „Sie müssen den Eindruck vermitteln, dass sie diese Musik im Moment der Performance auch verkörpern und emotional darstellen. Auch das wird bewertet von den Lehrenden.“

Typische Bewegungen

Die andere Frage ist allerdings, welche Gestik und Mimik lässt das Instrument überhaupt zu? Denn der Bewegungsspielraum am Konzertflügel ist ein anderer als mit einer Querflöte in der Hand, wo die Arme fest vor den Körper an das Instrument gebunden sind. Hier können die richtige Kopfbewegung, ein an der richtigen Stelle herausfordernder oder verträumter Blick sowie eine offene Körperhaltung zum Publikum hin für die Beurteilung entscheidend sein, meint Reitsamer. „Es wird auch so etwas wie habitualisierte Körpersprache beurteilt und die ist höchst instrumentenspezifisch. Bei Konzertpianisten spielen die Bewegung mit den Händen, dem Oberkörper und dem Kopf sowie die Blickrichtung eine große Rolle, wie die Musik vom Publikum rezipiert wird.“

Viele von diesen Bewegungen haben die Musikerinnen und Musiker schon in jungen Jahren mithilfe ihrer ersten Musiklehrer antrainiert. Im Studium geht es nun darum, die Darbietungen auf der Bühne zu verfeinern und zu professionalisieren. Auch wenn die Vorgaben hier streng sind, wollen die Musikprofessoren keine musizierenden Klone. Vielmehr ist es Teil ihrer Beurteilung, wie die Studenten es schaffen, aus diesem strengen Gerüst auszubrechen und kreativ werden. Wobei Kreativität hier im Sinne von Individualität verstanden wird, „die in einem sehr kleinen, höchst spezifischen Bereich oszilliert zwischen Reproduktion und etwas Eigenes finden.“

Suche nach der „Künstlerpersönlichkeit“

Kritisch betrachtet wird darüber hinaus, wie jemand die Bühne betritt, wie der Musiker sein Instrument aufhebt und bedient. Selbstbewusstsein, Charisma und nicht zuletzt Persönlichkeit spielen auf fast allen Musikbühnen eine wichtige Rolle - auch in der Klassik. Deshalb achten die Lehrenden der Musikuni bereits bei den Aufnahmeverfahren auf eine sogenannte Künstlerpersönlichkeit - wobei nicht klar zu sein scheint, was diese Persönlichkeit im Detail ausmacht.

„Es gibt insofern keine Anleitung, die 20 Punkte auflistet, die man am besten abarbeitet. Ich denke nicht, dass das funktioniert.“ Reitsamers Analyse zeigt jedoch, dass die Lehrenden beim Aufnahmeverfahren durchaus nach einem Grundbestand von Persönlichkeitsmerkmalen suchen. Dazu zählt unter anderem „eine hohe intrinsische Motivation, Lernbereitschaft, Kreativität im Umgang mit Kompositionen, die Bereitschaft der Bewerberinnen mit und durch Musik kommunizieren zu wollen und letztlich auch die Hingabe zur Musik“.

Der Musiker-Habitus

Eine Möglichkeit, diese Persönlichkeit zu beurteilen, ist die Überprüfung oder besser gesagt die Beobachtung des Habitus, erklärt die Musiksoziologin. Also die Art und Weise, wie jemand spricht, sich bewegt, denkt und fühlt. Dabei machen sich das jahrelange Üben sowie etwaige Konzerterfahrungen im Habitus ebenso bemerkbar, wie die soziale Herkunft, Erfolge und Misserfolge.

Dass bei der Beurteilung der Persönlichkeit - und nicht nur dieser - letztlich auch Sympathie und manchmal Aussehen eine Rolle spielen, scheint unbestritten. „Der wichtige Punkt ist aber, dass sich die Lehrer bewusst werden müssen, dass es diesen Sympathieeffekt gibt und wie sie diesen Effekt einfließen lassen in ihre Bewertungspraxis.“ Wie weit die Lehrenden in diesem Reflexionsprozess sind, bleibt offen. Auch inwieweit die Musikstudierenden selbst wissen, worauf ihre Lehrenden im Detail achten. Dieser Frage möchte sich die Musikuniversität in einer Folgestudie widmen.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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