Patentstreit: Die Folgen des Urteils

Um die revolutionäre Gentech-Methode CRISPR/Cas9 ist ein Patentstreit unter Forschern entbrannt. Das amerikanische Broad-Institut hat nun einen Etappensieg errungen - doch die Auseinandersetzung ist damit nicht beendet. Was bedeutet das Urteil für die Wissenschaft?

Berkeley gegen Broad, das grenzt an Brutalität, könnte man mit einem alten Wort von Helmut Qualtinger sagen. Der Patentstreit war in der Tat resolut geführt, die Fachmagazine „Nature“ und „Science“ schreiben gar von einer „Schlacht“, die sich da auf rechtlichem Terrain zugetragen habe.

Auf der einen Seite die beiden Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, vertreten durch die Anwälte der University of California in Berkeley. Auf der anderen Seite der Neurowissenschaftler Feng Zhang, ebenfalls durch eine Elite-Institution der amerikanischen Forschungslandschaft vertreten, das Broad-Institut in Cambridge, Massachusetts.

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Über dieses Thema berichtet heute auch das Ö1-Mittagsjournal, 24.2., 12 Uhr.

Die Ausgangslage: Doudna und Charpentier gelten als Entdeckerinnen der Genschere CRISPR/Cas9, die in wenigen Jahren die Biologie revolutioniert hat. „Revolution“ ist in diesem Fall nicht zu hoch gegriffen: Die Methode ist so einfach und präzise, sodass sie heute praktisch jeder verwendet, der Gene in irgendeiner Form verändern möchte. Die beiden Forscherinnen haben in den USA auch als erste ein Patent für dieses Werkzeug eingereicht.

Zhang wiederum wies nach, wie man die Methode auch auf Zellen mit echtem Zellkern (also potenziell auch auf Versuchstiere, Nutzpflanzen, Menschen) anwenden könnte - und wollte sich diese Erkenntnis ebenfalls patentrechtlich schützen lassen. Das empfand die Gegenpartei als Ideenklau und rief das US Patent and Trademark Office (PTO) zur Klärung der Priorität an.

Urteil: Broad erhält Patent

Doch Zhang bekam nun in erster Instanz Recht. Das PTO urteilte letzte Woche, dass seine Entdeckung eigenständig genug sei und bewilligte seine Patente. Doudna und Charpentier warten indes noch auf die Bearbeitung ihres - noch breiter angelegten - Antrags. Dass die beiden Forscherinnen über die PTO-Entscheidung nicht erfreut sind, liegt auf der Hand.

Doudnas Kommentar: Das Broad-Institut „hat nun das Patent auf grüne Tennisbälle. Wir aber werden ein Patent auf alle Tennisbälle bekommen. Ich finde nicht, dass das einen Sinn ergibt.“

Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier (l.) vor einem DNA-Bild

REUTERS/Eloy Alonso

Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier (l.) vor der Verleihung des Prinzessin-von-Asturien-Preises

Hinter der Auseinandersetzung stehen handfeste wirtschaftliche Interessen. Die Wissenschaftler haben alle Anteile an Biotech-Firmen, die mit den zu erwartenden Lizenzgebühren Millionen verdienen könnten. Am Patent von Berkeley ist übrigens auch die Uni Wien beteiligt - Charpentier hat, bevor sie zum internationalen Wissenschaftsstar avancierte, einige Jahre am Vienna Biocenter geforscht, die patenrechtliche Verbindung rührt aus dieser Zeit - siehe dazu: CRISPR - die Österreich-Connection.

„Lizenzen kein Problem für Forschung“

Die Wiener Patentanwältin Gerda Redl betrachtet das Urteil als „fair“. Dass für ähnliche Entdeckungen mehrere Patente erteilt werden, sei durchaus Usus, auch in Europa. Und das war erst der Anfang: Im Fall von CRISPR warten mittlerweile insgesamt 1.000 Patentanträge von Forschern aus aller Welt auf ihre Bearbeitung. Das könnte durchaus bedeuten, dass Nutzer in Zukunft „zwei, drei, vielleicht sogar zehn Lizenzen zu zahlen haben“, so Redl.

Theoretisch. Denn die Firmen, die jetzt um die Rechte der Technologie streiten, bieten die Produkte, mit denen sie einmal Geld verdienen wollen, noch gar nicht an. Sie haben weder zugelassene Therapien für erbliche Krankheiten entwickelt noch optimierte Nutzpflanzen.

Feng Zhang vom Broad-Institut des MIT und Harvard

AP Photo/Susan Walsh

Feng Zhang vom Broad-Institut des MIT

Was es bisher als Produkt gibt, sind Tests für die Diagnostik und Reagenzien für die Grundlagenforschung. Wobei letztere laut dem (im österreichischen Patenrecht nur indirekt verankerten) „Forschungsprivileg“ von Lizenzgebühren ausgenommen sind, sofern die Versuche, wie es im Juristendeutsch heißt, keinem „betriebsmäßigen“ Nutzen dienen.

Falls die österreichischen Unis und Forschungszentren in Grenzfällen dennoch Lizenzen zu zahlen haben, dann wird das wohl nicht die Welt kosten. Laut Redl könnten sie im Bereich von fünf bis zehn Prozent des Preises der benötigten Enzyme und Moleküle liegen: „Ich sehe hier kein großes Problem für die Forschungswelt.“

PCR: Die Geschichte wiederholt sich

Vor 30 Jahren gab es bereits einen ähnlich gelagerten Fall. Damals fand der Amerikaner Kary Mullis eine erstaunlich einfache Methode namens PCR, mit der man DNA vervielfältigen konnte. Auch dieses Verfahren wurde innerhalb weniger Jahre zum weltweiten Standard und löste einen Boom aus. Die Zahl der monatlich eingereichten Patente ging zwischenzeitlich in die Hunderten, sagt der Wiener Patentanwalt Daniel Alge. „Damals gab es Befürchtungen, das könnte die Forschung behindern. Doch das war nicht der Fall.“

Mullis erhielt für seine Entdeckung 1993 den Chemie-Nobelpreis, finanziell sollte sie ihm nicht viel einbringen. Er wurde von der Biotech-Firma Cetus, bei der damals arbeitete, mit 10.000 Dollar abgefunden. Der Pharmariese Roche erwarb das Verfahren inklusive Patent später um 300 Millionen.

Hier endet die Analogie zu CRISPR/Cas9: Die Forscher wollen neben der Ehr’ - alle drei gelten als Anwärter/innen auf den Nobelpreis - auch ihr Stück vom Kuchen. Um wieviel Geld es hier langfristig geht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer zu sagen, Hunderte Millionen Dollar sind laut Experten als Größenordnung nicht zu hoch gegriffen.

Der Keim des Streits

Wie das Fachblatt „Science“ kürzlich in einem Rückblick festhielt, herrschte in der Frühzeit der CRISPR/Cas9-Forschung ein durchaus kooperativer Geist. Noch vor fünf Jahren arbeiteten die heutigen Kontrahenten zusammen und versuchten die vielversprechende Methode gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Gemeinschaft kollabierte erst, als Venture-Kapital floss und Firmenkonstrukte errichtet wurden. Dann übernahmen die Anwälte das Sagen. „Ich wünschte, es wäre anders gelaufen“, sagt Doudna.

Noch ist es möglich, dass die beiden Parteien einen Vergleich schließen. Gleichwohl ist selbst in diesem Fall mit weiteren rechtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen. Die Patentlawine ist in Bewegung, Doudna, Charpentier und Zhang sind nicht die einzigen, die sich ihre Entdeckungen schützen lassen wollen. Mittlerweile gibt es auch einige alternative Methoden, die sich als ähnlich leistungsfähig wie CRISPR/Cas9 erweisen könnten.

Robert Czepel, science.ORF.at

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