Österreich ist nicht krisenfest

Um angemessen auf Herausforderungen wie den Klimawandel zu reagieren, müssten Bund, Länder und Sozialpartner in Österreich besser zusammenarbeiten, meint Systemwissenschaftler Harald Katzmair: Derzeit sei das Land bewegungs- und lernunfähig.

Sich nicht unterkriegen lassen, die Krise als Chance sehen und sie mit neuen Ideen überwinden. Das beschreibt in der Psychologie, vereinfacht gesagt, Menschen die „resilient“ sind. Das trifft auch auf Staaten und ihre Bevölkerung zu, so die These von Harald Katzmair. Im Interview erklärt der Systemwissenschaftler, was Staaten krisenfest macht. "Es geht weniger darum, dass Krisen uns stärker machen, das halte ich für einen Unsinn. Krisen fordern Veränderung – darauf muss man sich einlassen, sonst gelangt man in eine Sackgasse.“

science.ORF.at: Sie beschäftigen sich mit der Resilienz von Staaten. Die offensichtlichste Frage zu Beginn: Wie „resilient“ ist Österreich?

Harald Katzmair: Resilienz bedeutet grundsätzlich, neue Ideen nicht nur zu haben, sondern sie auch implementieren können. Darüber hinaus geht es darum, Bewährtes zu festigen. Das heißt, Resilienz erfordert einerseits Robustheit, im Sinne einer Widerstandsfähigkeit und Agilität gemäß einer Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit.

Ob das der Fall ist, wird sichtbar, wenn man eine Netzwerkanalyse macht. Dabei lassen sich die Beziehungen der zentralen Stakeholder zueinander darstellen - also beispielsweise zwischen Bund, Ländern, Zivilgesellschaft und Industrie. Aus ihnen analysieren wir, wie lern- und entwicklungsfähig die Beziehungen sind.

Veranstaltungshinweis

Harald Katzmair hält am Donnerstag, den 16.3. um 18:00 Uhr im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mut zur Nachhaltigkeit“ in Wien einen Vortrag zur Frage, wie resilient Österreich ist. Veranstalter der Vortragsreihe ist das Umweltbundesamt.

Wo stehen wir hier? Sie schreiben, bei einer Pandemie ist Österreich krisenfest, wenn es um die Finanzkrise und um den Klimawandel geht, nicht. Warum zum Beispiel beim Klimawandel nicht?

Das liegt an unterschiedlichen Dingen. Vor allem aber am Disconnect der Akteure, die hier zusammenarbeiten müssten, um das Problem zu lösen und eine ganze Bevölkerung über den Berg zu bringen.

Wir haben in unserer Analyse 24 Stakeholder unterschieden - angefangen von Industrie, Gemeinden, den Blaulichtorganisationen, den Sozialpartnern, Medien, Zivilgesellschaft wie NGOs usw. Dabei wurde ein Problem schnell deutlich, was nicht sonderlich überrascht: Es gibt zwischen den Sozialpartnern, den Bundesländern und dem Bund eine Lücke - das heißt, hier fehlt Großteils die Fähigkeit, miteinander zusammenzuarbeiten.

Wie macht sich das konkret bemerkbar?

Real sehen wir gute Initiativen und Bewegung auf lokaler Ebene, allerdings übersetzt sich das nicht auf die Sozialpartner- und Bundesebene. Das macht sich dadurch bemerkbar, dass hier in der Netzwerkanalyse wenige Verbindungen bzw. Striche in Richtung Bund und Sozialpartner gehen. Wenn man Probleme, wie den Klimawandel, wirklich in den Griff bekommen möchte, bräuchte es aber eine viel bessere Zusammenarbeit zwischen der lokalen und der Bundesebene.

Wir haben das Problem, dass wir drei verschiedene Verwaltungen aufgebaut haben und dass diese drei nicht in dem Maße miteinander verbunden sind, damit sie den Lernzyklus in Gang setzen könnten, der resilient und veränderungsfähig macht - sprich, dass man Wissen vertieft, Neues gemeinsam erkundet etc.

Wie sollen diese Ihrer Meinung nach zusammenfinden, ohne dabei die Autonomie von Bund und Ländern beispielsweise einzuschränken?

Autonomie ist wichtig, sie darf aber nicht andere ausschließen. Leider gibt es die Tendenz, dass Bund, Land und Sozialpartner abgeschlossene Systeme sind und auf ihren Interessen beharren.

Wir brauchen Orte, wo diese unverbundenen Pole zusammenkommen und projektbezogen arbeiten und voneinander lernen zu können. Zudem wäre es natürlich notwendig, über eine Verwaltungsreform nachzudenken. Nicht nur, um das vorhandene Wissen zusammenzuschließen, sondern auch, um hier gebundene öffentliche Gelder frei zu machen und in neue Projekte investieren zu können.

Wie soll das konkret aussehen - ein neues Plenum, wo Bundespolitiker, Landespolitiker und Vertreter der Arbeiter- oder Wirtschaftskammer sich beraten?

Im Endeffekt ja, es kann aber viele Möglichkeiten geben. Die Zivilgesellschaft gehört ebenso dazu wie die Industrie. Es braucht die unterschiedlichen Sichtweisen, nur so wird man krisenfest. Die Idee dahinter ist relativ einfach: Hat man selbst nicht die Lösung für ein Problem, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass jemand anderes sie hat, der anders denkt. Hierfür brauchen wir einen starken Staat, eine starke Wirtschaft und eine starke, selbstorganisierte Zivilgesellschaft haben, die zusammenarbeiten.

Es geht nicht darum, das Parlament abzuschaffen oder eine Konkurrenz zum Nationalrat aufzubauen. Aber es braucht Orte, wo man sich fragt, wie wir das Wissen und die Erfahrungen besser für Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse nutzen können.

Sie kritisieren unter anderem das klassische Wahlprozedere – was ginge hier anders und welche Auswirkungen hätte das?

Man kann nicht einfach vom einen auf den anderen Tag das Wahlprozedere ändern. Es braucht zunächst Orte und Labs, wo man demokratiepolitische Prozesse neu denken und ausprobieren kann.

Man könnte darüber nachdenken, je nach Thema Punkte an Parteien zu vergeben, anstatt nur Schwarz-Weiß eine Partei zu wählen oder nicht. Wir wählen immer noch so wie vor 100 Jahren. Das ist meiner Meinung nach überholt und hilft uns nicht, in die nächste Phase zu kommen, wo wir mehr zusammenarbeiten müssen.

Eine Ihrer Thesen ist es, dass Staaten nur resilient sind, wenn sie vernetzt sind. Ein starkes Argument für die Europäische Union!?

Unter den Voraussetzungen, dass die Beziehungen lernfähig sind. Ich sehe die EU so: Wir haben hier 28 Länder. Das heißt, es gibt 28 Möglichkeiten, um voneinander zu lernen - nur passiert das nicht. Es gibt keinen permanenten Austausch zwischen Paris, Wien und Dublin beispielsweise - das passiert nur peripher, es ist keine Selbstverständlichkeit.

Man müsste das Selbstverständnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten überdenken und sie als Weggefährten verstehen, die sich gegenseitig ihre blinden Flecken abdecken. Das ist etwas anderes, als zu sagen, wir sind aus wirtschaftlichen Gründen oder Sicherheitsaspekten zusammen. Das bedeutet aber auch: Griechenland kann nicht Deutschland werden.

Ruth Hutsteiner, science.ORF.at

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