Bienengift: Neue Belege bestätigen Schädlichkeit

Seit Jahren streiten Hersteller, Agrarverbände und Naturschützer über die Gefährlichkeit von Neonicotinoiden. Zwei neue Studien bestätigen, dass das Insektizid für Bestäuber wie Bienen und Hummeln schädlich ist.

Für Randolf Menzel ist die Sache ziemlich klar: Neonicotinoide schaden Bienen und Hummeln. Der Neurobiologe von der FU Berlin hat fast sein ganzes Wissenschafterleben der Erforschung dieser Insekten gewidmet. In mehreren Untersuchungen hat er gezeigt, dass die Substanzen unter anderem die Navigationsleistung der Insekten stören und ihr Gedächtnis beeinträchtigen.

Hummel auf Blüte

Jeremy T. Kerr ]

Hummel auf Blüte

Mit dieser Meinung ist er in der Fachwelt nicht allein. Studien, die negative Auswirkungen fanden, gibt es zuhauf. So sollen Neonicotinoide die Fruchtbarkeit männlicher Honigbienen verringern und deren Lebensspanne senken. Außerdem zeigen Studien, dass Bienen behandelte Pflanzen nicht meiden, sondern sogar bevorzugt ansteuern. Und auch viele Umweltschützer und Imker fürchten, dass diese Insektizide das Überleben der für die Menschen so wichtigen Bestäuberinsekten gefährden.

Fakten

Neonicotinoide sind synthetisch hergestellte Insektengifte. Sie binden an einen Rezeptor auf Nervenzellen und stören so die Weiterleitung von Nervenreizen. Häufig werden sie als Saatgutbeizmittel eingesetzt, beim Wachsen verteilt sich das Gift in der Pflanze - bis in Pollen und Nektar. So können Bienen und Hummeln die Stoffe aufnehmen.

Für drei demnach besonders bienenschädliche Neonicotinoide besteht in der EU seit 2013 ein daher ein Teilverbot, das deren Anwendung der drei als besonders gefährlich erachteten NNI in der EU stark einschränkt: Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin. Kritiker des Moratoriums bemängeln, die Studien seien nicht unter realistischen Bedingungen durchgeführt worden, Belastungen der Insekten viel höher als im Freiland zu erwarten. Über die Verlängerung wird daher derzeit heftig gestritten. Die EU-Kommission hat sich vor Kurzem sogar für eine Ausweitung des Verbots ausgesprochen. Eine Entscheidung wird voraussichtlich im Herbst fallen.

Geringerer Fortpflanzungserfolg

Zwei im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studien aus Großbritannien und Kanada geben den Kritikern nun erneut Recht: Sie kommen zu dem Schluss, dass die Insektizide die Gesundheit von Bienen und Hummeln beeinträchtigen.

Ben Woodcock vom britischen Natural Environment Research Council führte Freilandversuche in drei Ländern durch, in Deutschland, Ungarn und in Großbritannien. Finanziert wurde diese Studie von Bayer CropScience und Syngenta, den jeweiligen Herstellern der getesteten Neonicotinoide Clothianidin und Thiamethoxam.

Die Wissenschaftler setzten in den drei Ländern Honigbienen, Erdhummeln und Rote Mauerbienen neben Rapsfeldern aus. An allen Standorten wuchsen auf einem Teil der Felder Pflanzen, deren Samen unter anderem mit Neonicotinoide behandelt worden war. Ein Ergebnis: In Großbritannien und in Ungarn sank die Überwinterungsfähigkeit der Honigbienen neben den diesen Feldern.

In Deutschland fanden die Forscher diesen Effekt nicht. Warum, können sie nicht genau erklären. Sie vermuten, dass verschiedene Umweltbedingungen in den einzelnen Ländern die Unterschiede hervorrufen. Denkbar sei auch, dass der Gesundheitszustand der deutschen Bienen insgesamt besser ist, sie damit nicht so empfindlich auf eine Neonicotinoid-Belastung reagieren. In allen drei Ländern schmälerten Rückstände in den Nestern den Fortpflanzungserfolg der Hummel und der Wildbienen-Art.

Klare Effekte auf Bienen

Unabhängige Fachkollegen bewerten die erste Studie in Teilen problematisch. Es gebe methodische Schwächen, die gemessenen Parameter seien sehr grob. „Die Menge an Neonicotinoiden, die in der Studie ausgebracht wurden, variieren und es ist auch unklar, warum verschieden hohe Saatgutkonzentrationen ausgebracht wurden, beziehungsweise, wie realistisch die sind“, sagt etwa der Ökotoxikologe Carsten Brühl von der Universität Koblenz-Landau.

Hummel auf Blüte

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Dennoch zeige die Studie klare Effekte sowohl auf Honig- als auch auf Wildbienen. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)in Leipzig ergänzt: „Die Studie scheint mir bezüglich des Versuchsaufbaus nicht angemessen gut vorbereitet worden zu sein.“

Eine Ansicht, die der Berliner Forscher Menzel teilt. Er findet es aber immerhin erstaunlich, dass erstmals negative Auswirkungen in einer Arbeit mitgeteilt werden, die durch die Hersteller finanziell unterstützt wurde.

Pollen stark belastet

In der zweiten Studie hatten kanadische Forscher um Nadia Tsvetkov von der York University in Toronto die Neonicotinoid-Belastung in Kolonien von Honigbienen gemessen, die neben landwirtschaftlichen Feldern oder fernab davon lebten. In den Kolonien neben den Feldern fanden sie deutlich häufiger Rückstände der Insektizide und andere Chemikalien - in den Tieren selbst sowie in Pollen und im Honig.

Am stärksten belastet waren die Pollen, und zwar erstaunlicherweise zumeist die von Wildpflanzen. Dies deute daraufhin, dass sich die wasserlöslichen Substanzen von den Feldern in die Umgebung ausbreiten. Sie zeigten außerdem, dass unter anderem das Hygieneverhalten der Bienen beeinträchtigt wurde und dass Fungizide die toxische Wirkung der Neonicotinoide verstärken.

Argumente für Neubewertung

Alles in allem scheinen die beiden Studien die Vorbehalte zu bekräftigen. „Beide Studien liefern keinerlei Anhaltspunkte für eine Entwarnung, ganz im Gegenteil“, sagt etwa Menzel. Die Studien zeigten erneut die negativen Auswirkungen auf blütenbesuchende Insekten, was in politische Entscheidungen zum vollständigen Neonicotinoidverbot in der EU einbezogen werden sollte, sagt auch Brühl.

Ob die wissenschaftlichen Daten in absehbarer Zeit zu einem dauerhaften Verbot der Substanzen führen, ist indes offen. Eine endgültige Bewertung durch die Zulassungsbehörden steht aus, ebenso wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu einer Klage von Bayer CropScience und Syngenta gegen die Anwendungsbeschränkung.

Ohne Bienen und andere Insekten, soviel steht fest, bekommt der Mensch ein Problem: Die kleinen Brummer sind als Bestäuber unserer Kulturpflanzen kaum zu ersetzen. Allein Bienen bestäuben 71 der 100 Feldfrüchte, aus denen 90 Prozent der Nahrungsmittel weltweit erzeugt werden, schreibt etwa die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) unter Berufung auf Angaben der Welternährungsorganisation (FAO).

science.ORF.at/APA/dpa

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