Gehhilfen, die man anziehen kann

Nach Schlaganfällen oder bei bestimmten Krankheiten können viele Menschen nicht mehr gut gehen. Abhilfe schaffen könnten neu entwickelte Gehhilfen, die man wie ein Kleidungsstück anziehen kann.

Auf seinen zwei Beinen bewegt sich der Mensch mühelos durch seine Umwelt, solange er gesund und unversehrt ist. Nach einem Schlaganfall aber kann die einfache Bewegung zur täglichen Herausforderung werden. Teilweise Lähmungen erschweren das Gehen, der Körper wird schief. Und selbst wenn sich Patienten wieder komplett erholen und vollständig beweglich sind, wird der Gang selten so wie früher.

Die Studie

„A soft robotic exosuit improves walking in patients after stroke“, Science Translational Medicine, 26.7.2017

Laut den Forschern um Louis N. Awad von der Harvard University schränkt dies das Leben der Betroffenen stark ein, sie können an vielen Aktivitäten nicht mehr teilnehmen und haben ein höheres Risiko zu stürzen.

Wie ein Kleidungsstück

Technische Hilfsmittel könnten helfen, diese Probleme zumindest zu mildern. Weltweit arbeiten Forscher an intelligenten und tragbaren Konstruktionen, sogenannten Exoskeletten. Bis jetzt werden sie vor allem in der klinischen Praxis und in der Rehabilitation genützt. Langfristig sollen sie auch im Alltag zum Einsatz kommen: Roboter, die man wie Kleidung einfach anziehen kann.

Tragbare elektronische Gehhilfe

Awad et al., Science Translational Medicine (2017 )

Die neue tragbare Gehhilfe

Das Team um Awad arbeitet an einem leichten und weichen Anzug, der Schlaganfallpatienten mit teilweiser Lähmung hilft, wieder normal zu gehen. Tests hatten bereits gezeigt, dass man damit beim Gehen bzw. Laufen weniger Energie verbraucht.

Bei Schlaganfallpatienten geht es nicht nur um den Energieverbrauch, sondern um den Gang. Denn durch die Lähmungen entwickeln sie häufig Kompensationsmechanismen. Selten gehen sie gerade, z.B. ziehen sie die eine Seite nach oder führen den Fuß in einer kreisförmigen Bewegung nach vorne.

Effizientere Bewegung

Auch diesen Asymmetrien soll das neue Modell entgegenwirken und so den Energieverbrauch weiter verringern. Dafür wird die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit einzelner Gliedmaßen von außen unterstützt. Die Stromversorgung steckt in einem Hüftgürtel. Getestet wurde die Apparatur an sieben Schlaganfallpatienten am Laufband.

Forschervideo zur neuen Gehhilfe

Tatsächlich veränderte sich ihr Gang. Mit dem Exoskelett konnten die Probanden kräftiger auf den Boden treten, und sie bewegten sich wieder direkter in Gehrichtung. Das Gehen wurde dadurch auch weniger anstrengend. Weitere Gehversuche auf normalen Boden verliefen laut den Forschern ebenfalls erfolgversprechend.

Mit dem Modell könnte man in Zukunft die individuellen Schwächen einzelner Betroffener im Alltag gezielt ausgleichen. Idealerweise sollten die Patienten die Hilfstechnologie von Beginn an tragen, also schon in der Rehabilitation, wie die Forscher schreiben. Dann würden manche ineffizienten Bewegungsmuster erst gar nicht entstehen.

Schwieriges Gehen

Ganz ähnliche Ziele verfolgt eine weitere, jetzt vorgestellte High-Tech-Apparatur. Zielgruppe sind in diesem Fall Kinder und Jugendliche, die an einer angeborenen Bewegungsstörung leiden, der Zerebralparese.

Bei dieser Erkrankung ist die Motorik in Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung gestört. Die Betroffenen erkennt man häufig an ihrem Gang, der typischerweise etwas geduckt ist, eingeknickt in Hüfte, Knie oder Knöchel. Sie können meist nur langsam und in kleinen Schritten gehen, schwanken dabei und treten nur schwach auf.

Apparatur zum Gehtraining

Jiyeon Kang and Sunil K. Agrawal

Die Apparatur für das Gehtraining wird einem Probanden angelegt

Die nun entwickelte Gerätschaft soll die Haltung und den Gang von jungen Patienten und Patientinnen verbessern. Sie trainiert die Koordination und kräftigt die Muskeln, besonders die Streckmuskeln, allen voran den Musculus soleus im Unterschenkel. Dieser ist laut den Forschern um Sunil Agrawal von der Columbia University beim Stehen und beim Gehen zentral, den er hält oder bringt den Schenkel in die richtige Position. Seine Schwäche sei eine der Hauptgründe für die Gehprobleme der Betroffenen.

Stärke und Koordination

Bei dem elektronischen Trainingsgerät tragen die jungen Patienten einen Hüftgürtel, über den mechanische Kräfte auf den Körper wirken - dadurch wird der Körper gefühlt schwerer. Auf diese Weise sollen die Muskeln gestärkt werden, ohne dass ein zusätzliches äußeres Gewicht die Koordination stört - was bei bisherigen Methoden oft das Problem war.

Video: Proband vor und nach dem Training

Die Forscher testeten das Robotik-System auf einem Laufband mit sechs Kindern. Sechs Wochen lang absolvierten sie jeweils 16-minütige Trainingseinheiten. Danach waren die Muskeln messbar stärker, die Körperposition und -koordination sowie der Gang insgesamt hatten sich sichtbar gebessert.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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