Quantenprojekt muss Hürden überwinden

Das neue Flaggschiffprojekt der EU zur Quantentechnologie nimmt langsam Form an. Jedoch geht das nicht ohne Probleme: So finden sich noch kaum Investoren, und auch der Brexit könnte zum Stolperstein werden.

Viele äußerten sich erstaunt, als die EU-Kommission Mitte 2016 verkündete, dass das neue EU-Flaggschiffprojekt zur Quantentechnologie realisiert und mit einer Milliarde Euro finanziert werden soll. Nicht so für den Quantenphysiker Tommaso Calarco, der ein Hauptautor des Quantenmanifests ist - jenes Dokument, das den Anstoß für das Megaprojekt gegeben hat. Über die Schwierigkeiten der Umsetzung, den Beitrag der österreichischen Forschung und die Bedeutung des Brexit sprach der Italiener bei den Technologiegesprächen in Alpbach.

science.ORF.at: Das neue Flaggschiffprojekt läuft nun an. Wie muss man sich diese Phase vorstellen? Gibt es schon konkrete Forschungsvorschläge?

Tommaso Calarco: Die Forschungsanträge werden voraussichtlich ab November einreichbar sein. Jetzt im Moment bilden sich bereits Konsortien aus Forschungsgruppen und der Industrie. Das ist wichtig, denn schließlich muss die Quantentechnologie das Labor verlassen und konkret angewendet werden.

Zur Person

Tommaso Calarco forscht und lehrt an der Universität Ulm. Er gilt als einer der Hauptinitiatoren des neuen Flaggschiffprojektes der EU, das mit einer Milliarde Euro gefördert wird.

Im Moment finden sich solche Ökosysteme aber noch zufällig zusammen. Das wollen wir ändern und die unterschiedlichen Beteiligten systematisch zusammenbringen. Beispielsweise organisieren wir Mitte September einen Workshop in Paris. Viele aus Alpbach haben mir gesagt, dass sie ebenfalls teilnehmen werden. Auf diese Art wollen wir sicher gehen, dass mit Ende der Einreichfrist im Februar 2018 wirklich die besten Projekte mit den größten Aussichten ausgewählt werden können.

Der Quantenphysiker Tommaso Calarco bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2017

Hans Leitner, ORF

Calarco weist dem EU-Quantenprojekt den Weg

Sie sind mit dem Flaggschiffprojekt einen ungewöhnlichen Weg gegangen: Mit dem „Quantenmanifest“ haben Sie einen europaweiten Wettbewerb umgangen und direkt den Zuschlag von einer Milliarde erhalten. War es Ihnen von Anfang an klar, dass es eine derartige Durchschlagskraft haben wird?

Calarco: Ja, denn wir haben den Prozess bereits vor 15 Jahren mit dem klaren Ziel begonnen, etwas Großes auf EU-Ebene zu schaffen. Das Manifest war also nur die sichtbare Krönung dieses langen Prozesses, bei dem wir die gesamte Forschungsexzellenz mobilisiert und auch die jeweiligen Mitgliedsländer miteinbezogen haben. Etwa in dem Konsortium Era Net, in dem sich 32 Förderstellen aus 26 Mitgliedsstaaten - wie etwa die FFG und der FWF in Österreich - zusammengeschlossen und für das Projekt nun eine Fördersumme von 34 Millionen ausgeschrieben haben. Das sind mehr Fördergelder, als von den Mitgliedstaaten im Rahmen von ERA-NET an die beiden EU-Forschungsflaggschiffe davor geflossen sind.

Da das Projekt so gewachsen ist und von den Mitgliedstaaten mitgetragen wird, hat es mehr Trägheit und Kraft, als andere Flaggschiffe zuvor, die sich in einem Wettbewerb durchgesetzt haben. Die EU-Kommission hat letztlich aufgrund des Druckes von unten anerkannt, dass es ein wichtiges Thema ist, und darauf reagiert. Aus diesem Grund wurden wir aufgefordert, eine Vision zu skizzieren. Das war das Manifest.

Die Quantenphysik war schon 2013 beim letzten Wettbewerb um ein Flaggschiffprojekt mit dabei, wo letztlich das Graphen- sowie das Human-Brain-Projekt den Zuschlag bekommen haben. Das Quantenprojekt ist dabei nicht einmal in die Endphase gekommen ist. Wie ist dieser plötzliche Sinneswandel seitens der EU zu erklären?

Calarco: Damals waren wir kein eigenes Flaggschiffprojekt. Es hieß Quantum ICT Challenge und war alles Mögliche aus den Bereichen der Informationstechnologie mit ein bisschen Quanten. Das war nicht solide und hätte nicht funktionieren können. Jetzt ist das anders.

Hinzu kommt, dass China und die USA in der Zwischenzeit sehr viel Geld investiert haben und auch in Europa die Industrie immer mehr auf den Zug aufgesprungen ist. Langsam, aber glücklicherweise nicht zu spät, erkennen nun auch die Mitgliedstaaten und die EU, dass wir den Zug verpassen, wenn wir es jetzt verschlafen zu investieren. Wie mit dem Internet, wo die Kompetenz in Europa entstanden ist und der Profit damit in den USA gemacht wurde. Das wollen wir nicht wiederholen.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell, 28.8.

Dennoch kommt nun viel Kritik aus anderen Disziplinen, die damals schon näher dran waren, das neue EU-Flaggschiffprojekt zu werden. Können Sie das nachvollziehen?

Calarco: Ich kann es nicht nur nachvollziehen, es überrascht mich auch nicht, dass alle anderen sagen: „Wir machen auch wichtige Dinge. Wir wollen auch eine so große Finanzierung und sind enttäuscht.“ Ich war selbst in der Lage und wünsche mir natürlich, dass die Kommission mehr solche Flaggschiffe zusammenstellt.

Man muss aber auch sehen, dass hier ein neuer Prozess entstanden ist, der kollektiver und komplexer ist, als die Begutachtung durch einige Leute, so wie es das letzte Mal war. Es ist durchdachter. Man muss einfach weiterhin an seiner Sache basteln, damit die Ergebnisse kommen und dann überzeugend dargelegt werden können.

Der Quantenphysiker Tommaso Calarco bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2017

Hans Leitner, ORF

Calarco in Alpbach mit der Biorobotikerin Maria Chiara Carozza

Das heißt, Sie schlagen Ihren Kollegen vor, nun ähnlich vorzugehen; sich zusammen zu tun und so politischen Druck zu erzeugen? Ist das der neue Weg, um an solche Gelder zu gelangen?

Calarco: Das ist sicherlich etwas, das ziemlich produktiv ist. Nicht, weil ich das sage, sondern weil es auch zunehmend von Regierungen und den Förderinstitutionen gefordert wird. Es ist auch wichtig, der Öffentlichkeit kommunizieren zu können, worum es überhaupt geht und warum gerade hier investiert werden soll.

Das wäre uns vor zehn Jahren noch nicht so möglich gewesen, auch weil wir noch nicht so darüber im Klaren waren, welche Relevanz Quantentechnologie hat. Damals existierte das Phänomen nur in der Wissenschaft, inzwischen, wo auch die Industrie dazugekommen ist, ist die Vision viel klarer. Wir wissen nun, was wir tun müssen und was die Ziele sind. Das ist also wichtig, in diesem Sinne eine Strategie zu entwickeln und das kollektiv und länderübergreifend zu machen.

Technologiegespräche Alpbach

Von 24. bis 26. August fanden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

Wie genau war das bei Ihnen?

Calarco: Als ich dieses Manifest entwickelt hatte, ist mein Computer mehrmals kollabiert – das war natürlich kein Quantencomputer, sondern ein ganz gewöhnlicher. Der Grund war, dass 120 Autoren das Dokument digital via Track Change mitbearbeitet haben; jeder hat sich eingeklinkt und an Formulierungen gefeilt. Aus diesem Grund gab es dann auch am Ende 3.600 Unterschriften von Physikern, die das Projekt unterstützten. Das heißt, uns kann so etwas wie beim Human-Brain-Projekt nicht passieren, wo hunderte Neurowissenschaftler schriftlich erklärten, dass das Projekt gestoppt oder stark umstrukturiert werden soll.

In unserem Fall war das auch notwendig, weil das Quantenprojekt letztlich aus einigen größeren Teilbereichen besteht. Das heißt aber auch, dass wir weiterhin koordiniert vorgehen müssen. Hierfür wird es Koordinierungsmaßnahmen geben, damit sichergestellt wird, dass alle Meilensteine erreicht werden und alles Notwendige vorhanden ist.

Sie gehen davon aus, dass der Aufbruch ins neue Zeitalter nun in der EU stattfinden wird. Was macht Sie da so sicher, wo doch vor allem USA und China schon mehrere Schritte voraus sind?

Calarco: Es gibt keine Garantie. Es kann nur passieren, wenn wir jetzt investieren. Ich kann jedoch optimistisch sein, weil die Politiker bereit sind und alles noch rechtzeitig ist, immerhin ist die wissenschaftliche Kompetenz noch in Europa. Der Forscher, der das Quantensatelliten-System in China realisiert hat, Pan Jian-Wei, hat bei Anton Zeilinger promoviert. Das Knowhow ist von hier nach dort getragen worden.

Ich bin optimistisch, wenn hier jetzt auch investiert wird, passiert die Innovation in Europa. Ich spüre sehr viel Engagement von Seiten der Politik auf nationaler wie auf EU-Ebene. Und ja, wenn wir nicht optimistisch wären, können wir sofort aufgeben.

Der Quantenphysiker Tommaso Calarco bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2017

Hans Leitner, ORF

Beim Vortrag im Rahmen der Technologiegespräche

Was ist mit der Unterstützung der privaten Investoren? Zuletzt hieß es, diese zögern noch.

Calarco: Die Industrie in Europa braucht heutzutage zwei, drei Jahre Maximum, um Geld zurückzubekommen. Man hat zu wenig Kapital, um wirklich langfristig in Projekte zu investieren. Das ist den USA anders. Microsoft hat gerade drei Forschungsgruppen aus Delft, Kopenhagen und Zürich abgekauft. Dort soll die Grundlagenforschung zu Quantencomputer umgesetzt werden. Der Zeithorizont ist dabei zehn, fünfzehn Jahre.

Es ist also nicht so, dass die Industrie hier weniger visionär wäre oder dass sie nicht versteht, dass hier die Zukunft liegt. Es gibt das Geld schlichtweg nicht. Das wollen wir ändern. Die Gewinne sollen wieder hier in Europa eingefahren werden. Aber um das wieder in Gang zu setzen, braucht es die öffentlichen Investitionen. Es geht wirklich darum, damit diese Lücke zu schließen, damit auch die Industrie kommt und Vorteile erkennen kann.

Wie wollen Sie die Industrie jetzt mobilisieren?

Calarco: Indem wir mit jenen Technologien beginnen, die schon in nächster Zeit einen Return-of-Investment liefern können. So ist etwa in der Quantenkommunikation und in einiger Zeit auch in der Sensorik mit konkreten Profiten zu rechnen. Damit wird die Industrie motiviert, auch weiter in Quantencomputer zu investieren. Es gibt aber durchaus einige Großunternehmen, die auf den Zug bereits aufspringen, wie etwa Bosch und Siemens, aber auch Intel in Delft und IBM in Zürich werden investieren.

Mit IBM und Intel gehen aber Teile des Profits und der Patente nicht erst recht wieder in die USA?

Calarco: Es wird im Flaggschiff-Projekt eine besondere Regelung benutzt. Diese gibt es zwar im EU-Rahmenprogramm Horizon 2020 bereits, sie ist aber nur selten zur Anwendung gekommen. Demnach muss die EU-Kommission zustimmen, wenn ein Investor das Knowhow aus der EU schaffen will. Wenn diese Firmen teilnehmen wollen, müssen sie sich daran halten. Wir haben schon gesehen, dass trotz dieser Regelungen ein ziemlich großes Interesse besteht.

Welche Rolle spielt nun der Brexit für das Quantenprojekt? Nach dem Votum muss das Vereinigte Königreich die EU bis zum Jahr 2019 verlassen.

Calarco: In der dreijährigen Anfangsphase ändert sich für das Flaggschiff-Projekt zunächst nichts, da die Gelder in diesem Rahmenprogramm bereits gesichert sind und die britische Regierung auch bestätigt hat, dass alle Projekte, die vor dem Inkrafttreten des Brexit anlaufen, weiter unterstützt werden. Das heißt, bis Ende 2021 ist die Finanzierung gesichert.

Und danach?

Calarco: Hier hat man nun unterschiedliche Modelle – ein Vorbild ist etwa die Schweiz. Sie sind nicht bei der EU, zahlen aber ihre Beiträge und beteiligen sich an der Forschung wie ein EU-Mitgliedstaat. Nach dem Referendum gegen die Personenfreizügigkeit im Jahr 2014 hat sich die Schweiz dann aus der Finanzierung von Horizon 2020 zurückgezogen. Hier gilt nun das Pay-as-you-go-Prinzip: Das heißt, die Schweizer Kollegen sind in Konsortien mitbeteiligt, werden aber nicht von der EU bezahlt, sondern von der Schweizer Regierung.

Am Ende war es eine Win-Win-Situation, denn die EU hatte Schweizer Topforscher, musste dafür aber nicht bezahlen. Für die Schweizer Forscher war es auch gut, weil sie natürlich jeder dabeihaben wollte, und für die Schweizer Regierung auch, weil sie ebenfalls weiterhin von der Verzahnung der Forschung profitieren konnten. Das ist auch ein Modell, das denkbar wäre.

Selbst im Falle eines harten Brexit, wo auch diese Form der Beteiligung nicht unterstützt wird, könnte man denken, dass das britische Nationalprogramm „UK National Quantum Technology Programme“ die britische Forschung unterstützt, wodurch immer noch ein Kooperieren und Wechselwirken mit den Kollegen möglich wäre.

Interview: Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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