„Big Data erklärt die Gesellschaft“

Wenn es nach dem MIT-Professor Alex Pentland geht, ist Gesellschaft schnell erklärt. Dazu brauche es nur Daten – sehr viele Daten. Diese „Big Data“ von Kreditkarten, Handy oder Reisen würden Menschen zeigen, wie sie wirklich sind und sich in Zukunft verhalten werden.

Die Idee, mit der sich Alex Pentland vom MIT in Boston beschäftigt, ist eigentlich nicht neu: Soziophysik, der Versuch mit Daten und Statistik das Verhalten einer Gesellschaft zu verstehen und vorherzusagen. Doch im Unterschied zu den Wissenschaftlern vor 200 Jahren hat Pentland für seine Arbeit einen entscheidenden Vorteil: Big Data.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist die Welt miteinander vernetzt. Daten darüber liegen in einer unfassbar großen Menge vor. „Die Daten, die wir für unsere Forschung verwenden, zeigen nicht, wie sich Menschen auf Social Media präsentieren wollen, sondern, was sie tun, wohin sie gehen, wo sie ihr Geld ausgeben und wo sie ihre Zeit verbringen,“ sagte Pentland bei den Alpbacher Wirtschaftsgesprächen gegenüber science.ORF.at.

Ähnlich wie in der Physik Energie in Bewegung umgewandelt wird, untersuche er mit Social Physics, wie neue Ideen in neuen Verhaltensweisen münden. Big Data würden das menschliche Verhalten und sozialwissenschaftliche Theorie in eine praktische Wissenschaft zusammenführen.

“Wir sind keine rationalen Individualisten“

Pentland wurde vom „Forbes Magazine“ zu einem der sieben einflussreichsten „data scientists“ der Welt gewählt, doch er eckt mit seiner Arbeit auch an. Beispielsweise mit seiner Aussage, wonach Adam Smith falsch gelegen ist.

Wir seien keine bloß rationalen Individualisten, wie dies der schottische Begründer der klassischen Nationalökonomie angenommen hat, so Pentland. „Denn wir sprechen miteinander, wir kopieren einander, wir lernen voneinander. Smiths dominierendes Modell kann also nicht stimmen.“

Im Gegensatz zu Smith zielt die Forschung von Pentland auf die Gemeinsamkeiten von Menschen ab. „Wenn wir mittels Big Data Menschen analysieren, suchen wir nach ähnlichen Präferenzen. Wenn sie in denselben Geschäften einkaufen, in dieselben Restaurants gehen und ihre Zeit ähnlich verbringen, merken wir, dass sie einander in vielen Dingen ähneln. So bekommt man ein besseres Bild als durch Wissen über Alter oder Einkommen.“

“Menschen sind messbar wie Atome“

Social Physics untersucht also gesamtgesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen. Man könne mit Hilfe von Big Data nicht herausfinden, was eine einzelne Person denkt oder tun wird, aber man könne einen guten Eindruck davon bekommen, wie sich die meisten Menschen künftig verhalten werden: „Man kann Atome mit Menschen vergleichen, weil Atome genau wie Menschen nicht hundertprozentig messbar sind. Aber man kann voraussagen, was Atome in ihrer Gesamtheit tun, zum Beispiel, wie Wasser fließt, oder wie stark Eisen ist.“

Durch die Vielfalt an Daten, die durch Big Data verfügbar sind, wird Social Physics in den unterschiedlichsten Bereichen angewendet. So gibt es Projekte, die die Kriminalität in Städten erfolgreich bekämpfen. Auch die Verbreitung von Krankheiten kann mithilfe von Big Data minimiert werden: „Die meisten Epidemien überträgt der Mensch durch Interaktion. Wenn wir also herausfinden, wohin die Menschen gehen, kann man auch herausfinden, an welchen Orten sie sich anstecken“, sagt Pentland. Um Epidemien einzudämmen, sind deshalb Daten von Mobilfunkbetreibern nützlich, da sich das Handy alle paar Minuten in unterschiedliche Sendemasten einwählt.

Datenschutz muss noch geklärt werden

Um Krankheiten zu bekämpfen, sind also nicht die Daten von einzelnen Individualisten interessant, sondern Daten der breiten Masse, die zeigen, wo sich die Krankheit ausbreitet. Pentland versteht aber Datenschützer, die Bedenken haben. „Es gehört noch viel getan für den Datenschutz, aber die Entwicklungen in Europa sind ein erster wichtiger Schritt.“ Ab 2018 kommt in der EU eine neue Datenschutz-Grundverordnung. Darin ist unter anderem ein Recht auf Vergessen geregelt.

Für Pentland befindet sich der Datenschutz erst in den Kinderschuhen. Transparenz sei hier entscheidend. Menschen müssten das Recht haben, zu wissen, was mit ihren Daten passiert: „Ich denke, es braucht eigene Institutionen, die helfen Daten zu managen oder zu verwalten. Eine Institution, die Menschen hilft, ihre Interessen gegen Regierungen und Organisationen durchzusetzen, eine Art Bank für Daten, die anstelle von Geld Daten verwaltet.“

Sophie-Kristin Hausberger, Aktueller Dienst Ö1 aus Alpbach

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