Chemienobelpreis für „coole“ Mikroskopie

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Pioniere der Mikroskopietechnik: den Schweizer Jacques Dubochet, den in Deutschland geborenen Amerikaner Joachim Frank und an den Briten Richard Henderson.

Die drei Forscher werden laut Nobeljury für die Entwicklung der Kryoelektronenmikroskopie ausgezeichnet, die hochauflösende Bilder von Biomolekülen ermöglicht. Die - im wörtlichen Sinne - „coole“ Methode habe die Biochemie revolutioniert, hieß es in der Begründung.

Bei dieser Variante der Mikroskopie werden die untersuchten Moleküle nämlich schockgefroren und dann mit einem Elektronenstrahl durchleuchtet. Aus Zigtausenden Einzelbildern lässt sich dann die dreidimensionale Struktur des Moleküls bestimmen.

Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson

Claudio Bresciani/TT News Agency via AP

Die Laureaten des Jahres im Fach Chemie

Mit Hilfe der Kryoelektronenmikroskopie wurden im Verlauf der letzten Jahre Aufbau und Funktionsweise wichtiger Moleküle aufgeklärt: etwa die eines Proteins, das die innere Uhr steuert (eine Forschungsthema, das heuer im Fach Medizin ebenfalls mit dem Nobelpreis bedacht wurde), oder jene des Zika-Virus, das seit 2015 zu einer Häufung schwerer Erkrankungen in Lateinamerika geführt hat.

Zoom in die lebende Zelle

„Wir verstehen nun, wie die Bestandteile der Zelle aufgebaut sind und wie sie als Gemeinschaft agieren. Eine Revolution kommt auf uns zu“, sagte Sara Snogerup Linse, Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie.

Wie der Wiener Strukturbiologe David Haselbach betonte, könne man mit dieser Methode viel größere Moleküle analysieren, als es früher möglich war. Nebst ganzen Viren, die bis zu einem Mikrometer groß sind, sei es nun etwa möglich, Ribosomen „bei der Arbeit zuzusehen“. In diesen Zellbestandteilen wird die Erbinformation in Proteine übersetzt.

Kryoelektronenmikroskope sind riesig, „so groß wie ein Raum“, erklärte Nobeljuror Peter Brzezinski in einem Interview. Die Technik ist eine Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie, die bereits Anfang der 1930er Jahre geschaffen wurde. Ernst Ruska bekam dafür 1986 den Nobelpreis für Physik. Lange Zeit glaubte man, dass Elektronenmikroskopie sich nur für unbelebte Materie eigne, weil der starke Elektronenstrahl biologisches Material zerstört. Dass das ein Irrtum ist, bewiesen die drei diesjährigen Preisträger.

Forscher findet keine Worte

Der Anruf des Nobelkomitees hat den neuen Chemienobelpreisträger Joachim Frank so überwältigt, dass er sich am Telefon ständig wiederholte. „Das sind wundervolle Neuigkeiten - diesen Satz habe ich wieder und wieder gesagt“, berichtete der 77-Jährige nach Verkündung des Preises in Stockholm. „Ich dachte, die Chancen seien winzig.“ In diesem Fall habe es ihn nicht gestört, früh aus dem Bett geklingelt zu werden.

Der praktische Nutzen der Entwicklung sei „immens“, sagte Frank. Bis sie in der Medizin genutzt werde, werde es wahrscheinlich noch mehrere Jahre dauern. Nobeljuror Peter Somfai ist diesbezüglich optimistisch. Er sagte nach der Preisvergabe in Stockholm: „Wir werden neue Medikamente auf einem komplett anderen Level entwerfen können.“

Zoom in den Mikrokosmos: Protein in unterschiedlicher Auflösung

Martin Högbom/The Royal Swedish Academy of Sciences

Die Auflösung von Molekülbildern hat sich in den letzten Jahren extrem verbessert - bis hin zu Atomen

Laut Somfai kennen die drei Preisträger einander gut. Als sie von ihrer Auszeichnung erfuhren, hätten sie sich gefreut, den Preis miteinander zu teilen. „Sie schienen wie eine fröhliche, nette Familie von Chemikern.“

Seit 1901 wurde der Chemienobelpreis an 177 verschiedene Forscher vergeben. Einer von ihnen, der Brite Frederick Sanger, erhielt ihn sogar zweimal. Unter den Preisträgern waren bisher vier Frauen, etwa Marie Curie 1911, die die radioaktiven Elemente Polonium und Radium entdeckt und ihre Eigenschaften untersucht hatte.

Favoritensieg für Gravitationswellen-Forscher

Am Montag wurde bekannt, dass die Auszeichnung in Medizin in diesem Jahr an die US-Forscher Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young geht. Sie werden für Arbeiten zur Funktion und Kontrolle der inneren Uhr geehrt.

Am Dienstag wurden drei US-Forscher als Nobelpreisträger benannt, die bedeutende Vorarbeiten zur Entdeckung der Gravitationswellen geleistet hatten: der in Deutschland geborene und vor den Nazis geflohene Forscher Rainer (Rai) Weiss sowie Kip Thorne und Barry Barish.

Auch die Träger des Literatur- und des Friedensnobelpreises werden noch in dieser Woche bekanntgegeben: am Donnerstag in Stockholm und am Freitag in Oslo. Die Wirtschaft ist am kommenden Montag dran. Verliehen werden die mit je neun Millionen Kronen (rund 940.000 Euro) dotierten Preise am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel.

Im vergangenen Jahr erhielten der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa den Chemienobelpreis. Sie haben aus nur wenigen Molekülen unter anderem eine Art Lift, künstliche Muskeln und ein Miniauto hergestellt.

science.ORF.at/dpa/APA

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