Software findet Verbindung von Physik und Mathe

Quantenphysikalische Phänomene entziehen sich oft der menschlichen Logik. Physiker haben deshalb ein Programm entwickelt, das unvoreingenommen nach Antworten sucht. Gefunden hat es eine Verbindung zwischen Quantenphysik und einer Mathe-Theorie.

Ausgangspunkt für die Entwicklung des Computerprogramms „Melvin“ war das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung. Dabei bleiben zwei Teilchen über beliebige Distanzen hinweg miteinander verbunden. Misst man eines dieser Teilchen, passiert völlig ohne Zeitverzögerung auch an dem anderen etwas. Könnte man etwa zwei „Quantenmünzen“ miteinander verschränken und bei einer davon nachschauen und sehen, dass Kopf oben liegt, würde augenblicklich auch die andere Münze Kopf zeigen.

Tatsächlich verschränken die Physiker Lichtteilchen, und zwar nicht nur zwei, sondern mehrere - und das nicht nur in zwei (Kopf oder Zahl), sondern in mehreren Dimensionen. Könnte man etwa zwei Spielwürfel verschränken, wären diese - wegen der sechs Möglichkeiten - in sechs Dimensionen verbunden.

Die richtigen Fragen stellen

Weil die Forscher aber nicht wussten, wie sie solche speziellen Zustände erzeugen sollen, hatte Mario Krenn vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vor eineinhalb Jahren die Idee, sich den völlig unvoreingenommenen Zugang eines Algorithmus zunutze zu machen. Er entwarf ein entsprechendes Programm und das fand tatsächlich ein unerwartetes Resultat, das sich als sinnvolle Lösung für die damalige Fragestellung herausstellte.

Im vergangenen Jahr hat sich der Physiker viel mit „Melvin“ beschäftigt und das Programm auch für andere Fragestellungen erweitert. „Wir haben in dieser Zeit gelernt, wie wir die Anzahl an Lösungen drastisch reduzieren können, ohne dabei potenziell interessante Sachen wegzuwerfen, vor allem aber, welche Fragen man stellen muss, um unerwartete Resultate zu bekommen“, sagt Krenn zur APA.

Herausstechende Lösung

Im aktuellen Fall haben die Forscher nach höchstdimensionalen Zuständen von mehreren Teilchen gesucht. Das von ihnen untersuchte System besteht aus drei Photonen, die in jeweils drei Dimensionen verschränkt waren. Deshalb gingen sie davon aus, dass es in dem System eine Verschränkung in maximal neun Dimensionen geben kann. „‚Melvin‘ rechnete mehrere Monate lang an dem Problem und produzierte eine Liste von Lösungen, aus der eine heraus stach, die wir nicht erwartet hatten “, so Krenn. Das Programm fand für das System nämlich auch die Möglichkeit eines zehndimensionalen Zustands.

Krenn dachte zunächst an einen Programmierfehler, doch „Melvins“ Lösungsansatz erwies sich als überraschend praxistauglich und ließ sich experimentell bestätigen. Doch er entzog sich dem menschlichen Verständnis völlig und „zeigte, dass schon die Idee des Limits falsch war und wir etwas falsch verstanden hatten“.

Die Wissenschaftler versuchten daher, „Melvins“ Lösungsweg zu verstehen. Bei der Analyse stießen sie auf Elemente, die bisher nur in der sogenannten Graphentheorie bekannt waren. Dabei handelt es sich um ein Teilgebiet der Mathematik, mit dem man Netzwerke wie das Internet oder neuronale Netze beschreiben kann.

Nähe zur Graphentheorie

In weiterer Folge zeigte sich, dass es eine große Übereinstimmung zwischen der experimentellen Quantenphysik und der mathematischen Graphentheorie gibt. „Grundsätzlich hätte man das schon vor Jahren sehen könnte, aber niemand hat daran gedacht“, sagte Krenn.

Vor allem die Verschränkungseigenschaften von Quantenexperimenten mit Photonen würden sich durch die Graphentheorie erklären lassen. „Wir können die Eigenschaften der Experimente mit dieser mathematischen Theorie berechnen und umgekehrt Fragestellungen der Graphentheorie in Quantenexperimenten beantworten“, so der Physiker. Wie allgemein die Übereinstimmung zwischen den Bereichen sei, „wissen wir noch nicht“.

Auch der Quantenphysiker Anton Zeilinger, in dessen Gruppe Krenn arbeitet, zeigt sich in einer Aussendung „sehr überrascht, dass es zwischen Quantenphysik und Mathematik einen neuen tiefen Zusammenhang gibt“. Es sei zu erwarten, dass diese Erkenntnis für die Entwicklung beider Gebiete künftig von großer Bedeutung sein wird.

science.ORF.at/APA

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