Was Erdöl mit Kunst zu tun hat

Kunst als Vehikel staatlicher Ideologien - das ist das Forschungsthema der Sozialanthropologin Melanie Sindelar. In einem Gastbeitrag beschreibt sie, wie die Kunstszene in den Vereinigten Arabischen Emiraten gleichzeitig gefördert und instrumentalisiert wurde.

Wenn man Tourist/innen fragt, warum sie in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Urlaub machen, dann hört man meist von schönen Stränden oder gutem Essen. Denn Kultur gäbe es dort ja keine, wie oft in einem Nachsatz betont wird. Ob es sich um Reisende oder um in den VAE wohnende „Expats“ handelt, das Gerücht der fehlenden Kultur hält sich hartnäckig.

Melanie Sindelar

privat

Zur Person

Melanie Sindelar ist Doktorandin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt am IFK Wien untersucht sie das Verhältnis zwischen Nationenbildung und Kunstproduktion in den arabischen Golfstaaten.

Dabei hat sich Dubai in den letzten zehn Jahren zu einem Hotspot der visuellen Kunst gewandelt. Mittlerweile gelten Städte wie Dubai oder Sharjah als Epizentren der nahöstlichen Kunstszene, auch wenn manche Kunstexpert/innen aus Beirut, Istanbul oder Kairo das so wohl nicht gerne unterzeichnen würden.

Nicht zu übersehen ist jedoch der große Andrang internationaler Kunstexpert/innen bei Kunstmessen, der Bau imposanter Museen und die wachsende Präsenz emiratischer oder in den Emiraten lebender Künstler/innen am Weltmarkt.

Dabei stellen der Bau des Guggenheims oder des Louvre in Abu Dhabi, sowie die Ansiedelung großer Auktionshäuser wie Christie’s nur die Spitze des Eisbergs dar. In den VAE, ein Land, das aus sieben Emiraten mit jeweils einer regierenden Scheich-Familie besteht, wird der Großteil der Kunstszene – nicht nur ein oder zwei Museen – durch den Staat gefördert.

Kunst und das „Wir-Gefühl“

Genau diese Instrumentalisierung der Kunst durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stellt mein Forschungsvorhaben in den Mittelpunkt. Das Projekt untersucht vor allem die Beziehung zwischen kontemporärer Kunstproduktion und Nationenbildung am Arabischen Golf.

Kunstmesse in Dubai: Innenaufnahme der Ausstellungsräume

Melanie Sindelar

Kunstmesse Art Dubai

Nicht zu verwechseln ist Nationenbildung mit Staatenbildung – es geht nicht darum zu verstehen, wie einzelne Staatsinstitutionen aufgebaut wurden oder noch werden, sondern vielmehr, wie eine „Nation“ überhaupt entsteht und aufrecht erhalten wird. Gemeint ist die Produktion eines „Wir-Gefühls“, einer Identität, mit welcher sich Staatsbürger/innen identifizieren sollen. Als relativ junger Staat, der erst 1971 von Großbritannien unabhängig wurde, investierten die VAE viel in den Aufbau einer emiratischen Identität – auch wenn es mit dem Aufbau allein nicht getan ist.

Nationenbildung ist kein Projekt mit klarem Anfang und definitivem Ende, sondern ein konstanter Prozess der Bekräftigung nationaler Identitäten, in welchem ein Staat versucht, die Deutungshoheit zu bewahren.

Instrument staatlicher Ideologie

Nationale Narrative sind seitens des Staats oft schwer zu kontrollieren. Daher fördert der Staat gewisse Narrative verstärkt und macht sie der Kunstszene schmackhaft. Die Kunst stellt ein mächtiges Instrument in diesem Zusammenhang dar. Leicht zu verbreiten und zu konsumieren, sind an der Kunst nicht nur Eliten, sondern ein breites Publikum interessiert.

Gewisse Thematiken, auch mit propagandistischen Botschaften, können durch die Kunst unterschwellig, aber auch ganz offensiv ins öffentliche Bewusstsein gerufen werden. Dies geschah zum Beispiel im Kalten Krieg, in welchem die USA einen abstrakten Expressionismus förderten, welcher die USA als liberales und fortschrittliches Land im Vergleich zum sozialistischen Realismus kennzeichnen sollte, eine von den Kommunisten unterstützte Stilrichtung. Die Kunst spielt daher eine zentrale Rolle für die Erschaffung und Aufrechterhaltung staatlicher Ideologien.

Nationale Identität, Öl und die Rolle der Kunst

Doch wie genau fördert der Staat nun die Kunst in den VAE? Dies geschieht zum Beispiel durch gezielte Förderung von Künstler/innen, die sich mit der vom Staat propagierten nationalen Identität auseinandersetzen, durch Gruppenausstellungen und durch ganze Kunstmessen, wie die sogenannte SIKKA, in welcher Künstler/innen Kunstwerke produzieren, die oft das emiratische kulturelle Erbe thematisieren.

Kunststudenten im Atelier

Melanie Sindelar

Kunstschule: Campus Art Dubai

Dieses Erbe ist jedoch reichhaltiger und auch komplexer, als es momentan vom Staat vermarktet wird. Das vom Staat favorisierte Idealbild stützt sich vor allem auf Beduinen, welche in den harschen Wüsten der arabischen Halbinsel nicht nur über-, sondern auch gelebt haben und welche durch ihre Anpassung an diesen Lebensraum eine reichhaltige materielle sowie ideelle Kultur geschaffen haben.

Um aber das Bild einer nationalen Kontinuität zu erzeugen, muss dieses Beduinen-Narrativ natürlich mit den futuristischen Städten und dem extravaganten Lebensstil heutiger Emiratis vereinbar sein.

Dies geschieht vor allem über Einbeziehung eines zentralen Punktes in der Geschichte des arabischen Golfes: die Ölentdeckung, welche – wie betont wird – durch charismatische und erfolgreiche Scheichs zum Wohle des Landes vorangetrieben wurde. Jedoch lässt diese Version des Erfolgs der VAE nach dem Öl-Boom einige Lücken in der Erzählung offen.

Künstler als Kritiker des Systems

Das ist auch der Knackpunkt in der Vermarktung des kulturellen Erbes, der Idee der Nation und der Geschichte des Landes. Durch eine Gruppe aus jungen und engagierten Künstler/innen, die selbst migrantischen Hintergrund aufweisen, wird genau diese Art von Nationenbildung in Frage gestellt. In den VAE ist es heutzutage fast unmöglich, eine Staatsbürgerschaft zu erhalten, egal ob man in dem Land als Kind von Migranten geboren wurde oder auch sein ganzes Leben dort verbracht hat.

Qasr al Hosn Festival in Abu Dhabi: Männer in weißen Gewändern

Melanie Sindelar

Qasr al Hosn Festival in Abu Dhabi

Die Narrative des Staates bilden gleichzeitig eine emiratische nationale Identität, in der gar kein Platz für Migrant/innen vorgesehen ist. Obwohl es früher Einbürgerungen gab, ist dies heute nicht mehr der Fall. In den sogenannten Heritage-Festivals, wie zum Beispiel dem Qasr al Hosn Festival in Abu Dhabi, wird ein Großteil der Geschichte des Landes einfach ausgeblendet: nämlich jener, der mit Handel, Migration und dem daraus entstehendem Reichtum des Landes in Verbindung gebracht werden könnte.

Genau dagegen jedoch wehren sich manche Künstler/innen. Sie problematisieren in ihren Kunstwerken den Herrscherkult der Scheichs und sie hinterfragen kritisch die selektive Geschichtserzählung des Landes. Sie rufen jedoch auch die unsichtbaren Arbeiter aus Ostafrika und Südasien, die auf den Baustellen Dubais oder in den eleganten Häusern putzen, durch ihre Kunstwerke in das Gedächtnis jener, die zu den Ausstellungen gehen oder den Kunstteil der Zeitungen lesen.

Zensur, Fortschritt, Wandel

Obwohl es in der Vergangenheit ein paar Zensurfälle gab, herrscht in den Galerien und Kunstmessen der VAE Meinungs- und Kunstfreiheit. Doch es gibt Grenzen. Gewisse religiöse Provokationen in der Kunst führten zum Beispiel bei der Sharjah Biennale zu öffentlichem Protest einiger Emiratis, wodurch ein Kurator entlassen wurde.

Solche Fälle sind indes selten, und auch ähnlich jener in anderen sozial oder religiös konservativen Ländern, wie zum Beispiel den USA. Dort führte ein religiös-provokatives Kunstwerk von Chris Ofili im Brooklyn Museum 1999 dazu, dass der damalige Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, dem Museum mit dem Entzug öffentlicher Gelder drohte.

Es gibt in den Reihen der Scheich-Familien der VAE auch einige versierte Kunstsammler, die progressiver und kritischer Kunst Tür und Tor öffnen. Daher bleibt es weiterhin spannend zu beobachten, wie nicht nur staatliche Kulturbehörden versuchen, die Kunstszene zu beeinflussen, sondern auch wie Künstler/innen und Kunstpatronen umgekehrt auf die Nationenbildung des Staates Einfluss nehmen.

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