Nicht überall ist Technik ein „Männerfach“

Was als klassischer „Männerberuf“ oder „Frauenberuf“ gilt, ist nicht überall auf der Welt gleich. Das könnte erklären, warum es in Ländern mit geringer Gleichberechtigung relativ viele Technikerinnen gibt.

Seit Jahren bemüht man sich hierzulande, mehr Frauen in die Technik zu bekommen und trotzdem sind von den Studierenden, die in einem MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) abschließen, nicht einmal ein Viertel Frauen. Das liegt an der mangelnden Gleichberechtigung, so eine naheliegende Vermutung. Eine international angelegte Studie zeigte aber kürzlich das Gegenteil: In Ländern mit weniger Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern studieren durchschnittlich mehr Frauen sogenannte MINT-Fächer.

Algerien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate liegen im Spitzenfeld: Um die 40 Prozent der Absolventinnen und Absolventen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind Frauen. Nur 20 Prozent sind es dagegen in Norwegen und Finnland. Sieht man sich die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nach dem Global Gender Gap Index an, sind Norwegen und Finnland ganz vorne mit dabei, die erwähnten arabischen Staaten liegen weit abgeschlagen.

Nicht global: Der männliche Techniker

Dass es nicht die Nord- und Mitteleuropäerinnen sind, die es in die Technik zieht, kann man auch an der Technischen Universität Wien beobachten: Dort kommen 40 Prozent der studierenden Frauen nicht aus Österreich, sondern aus Südeuropa, Osteuropa, aus arabischen Staaten, der Türkei und dem Iran, sagt Brigitte Ratzer, technische Chemikerin und Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der Technischen Universität Wien.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 8.3., 13:55 Uhr.

Dass Technik etwas für Männer ist, sei kein weltweites Stereotyp, sagt Ratzer: „Wenn man Studentinnen aus Ägypten oder dem Iran fragt, warum sie sich als Frau für ein technisches Fach entschieden haben, dann verstehen sie die Frage nicht. Für sie ist das kein Widerspruch. Die ‚männliche‘ Technik ist definitiv ein mitteleuropäisches und wahrscheinlich auch ein US-amerikanisches Thema“ Es hänge mit unserer Kultur zusammen, in der uns das Bild vermittelt wird, dass Techniker immer Männer sind, so Ratzer. In vielen Ländern seien technische Fächer dagegen eine „klassische Studienwahl für Frauen“.

Dieses Bild ist aber nicht stabil: Welche Berufe Männern zugeschrieben werden und welche Frauen, verändert sich ständig, sagt Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie an der Uni Wien: „Das zeigt sich bei uns am Beispiel des Lehrers. Das war früher ein sehr hoch angesehener Beruf, der von vielen Männern ausgeübt wurde. Heute sind Lehrpersonen mehrheitlich Frauen.“ Und hier kommt der Status ins Spiel: „Zumindest in den OECD-Ländern zeigt sich, dass statushohe Berufe mehr von Männern ausgeübt werden und auch, dass Männer fast völlig aus einem Beruf hinausgehen, wenn der Frauenanteil zu hoch wird.“

Status und Risiken der Geisteswissenschaften

In Spanien und Portugal etwa gibt es mehr Frauen mit technischen Abschlüssen als in Nord- und Mitteleuropa, dort genießt Technik aber nicht den hohen Status, den sie bei uns hat. Und auch in Österreich waren Naturwissenschaften und Informatik nicht immer so angesagt wie heute. Spiel dazu: „Der Status der Geisteswissenschaften im Kulturland Österreich war ein sehr hoher und hat erst in den letzten Jahrzehnten gegenüber der Technik eingebüßt.“

Status könnte auch in der arabischen Welt eine Rolle spielen, vermutet sie: „Dort ist Religion sehr wichtig und Männer, die etwas Religiöses und damit Geistiges verkörpern, sind hoch angesehen.“ Es könnte also sein, dass Geisteswissenschaften einen höheren Status genießen als Technik, mutmaßt Spiel. Studien zum Ansehen der einzelnen Fächer in den arabischen Staaten fehlen aber.

Fragt man die arabischen Studentinnen an der TU Wien, dann geben sie allerdings Status und Einkommen als Hauptgründe für die Studienwahl an. „Im arabischen Raum haben Technik und Naturwissenschaften ein hohes Prestige und sie versprechen ein sicheres Einkommen“, sagt Ratzer. Dass in Staaten mit wenig sozialer Absicherung eher zu etwas „Handfestem“ gegriffen wird, vermuten auch die Autoren der Studie, die Psychologen Gijsbert Stoet und David Geary.

Um die Unterschiede zwischen Europa und dem arabischen Raum gänzlich zu klären, müsse man sich auch ansehen, welche anderen Berufsmöglichkeiten es in den jeweiligen Ländern abseits der Technik gibt, sagt Spiel. Ratzer dazu: „Technik ist politisch vergleichsweise neutral.“ Sozial- und Geisteswissenschaften, die zum kritischen Denken anregen, könnten in vielen Staaten eventuell politisch heikel werden.

MINT nicht die erste Wahl

An der Begabung oder dem Interesse an MINT-Fächern liegt die Absolventinnen-Schere jedenfalls nicht. Denn sie wurden von den Studienautoren auch erhoben und es zeigte sich, dass auch in Europa die 15- bis 16-jährige Mädchen mit den Burschen in MINT-Fächern fast gleichauf liegen. Warum also studieren sie dann nicht Physik oder Mathematik? Weil sie oft in anderen Fächern noch besser sind, etwa im Lesen, und sich dann für Studienfächer entscheiden, die ihrem besten Fach entsprechen, vermuten die Studienautoren. Dem kann auch Christiane Spiel etwas abgewinnen: „Mädchen haben oft eine breitere Palette aus Fächern, aus denen sie auswählen können.“ Sie haben insgesamt bessere Noten, weil es sich leichter mit ihrer Geschlechtsidentität vereinen lässt, fleißig zu sein, „während Burschen keine Streber sein wollen, damit sie von der Peergroup anerkannt werden.“

MINT-Fächer sind also nicht immer die erste Wahl, sagt Spiel: „In Finnland zum Beispiel bewerben sich die Besten der Besten eines Jahrgangs darum, Lehramt zu studieren, weil der Lehrberuf so hoch angesehen ist. Es gibt ein komplexes Auswahlverfahren und nur zehn Prozent werden genommen.“ Das könnte auch ein Grund dafür sein, warum sich dort wenige Frauen für Technik und Naturwissenschaften entscheiden.

Nur an der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern liegt es also nicht. MINT-Fächer müssen für Frauen auch attraktiv sein, sagt Ratzer: „Nicht die Frauen haben ein Problem, sondern die Technik. An der Uni fühlen sich Studentinnen oft isoliert und nicht in Netzwerke eingebunden.“ Solange sich die Technik - so wie hierzulande - als Männerfach begreift, tut sie sich schwer, Frauen zu integrieren.

Katharina Gruber, Ö1-Wissenschaft

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