Der „Anschluss“ als 24-Stunden-Doku

Der Tag, der in die Katastrophe führte: Das multimediale Projekt „Zeituhr 1938“ rekonstruiert die ersten 24 Stunden des „Anschlusses“ in Echtzeit - und zeigt, mit welchen Mitteln die Nazis ihr Terrorregime errichteten.

18:00 Uhr, 11. März 1938: Soeben sagt Bundeskanzler Kurt Schuschnigg auf Druck Adolf Hitlers und Hermann Görings die geplante Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit ab. Doch Hitler und Göring reicht das nicht. Sie fordern: Der Nationalsozialist Seyß-Inquart muss neuer Bundeskanzler werden, andernfalls marschieren die an der Grenze bereitstehenden Truppen der Wehrmacht ein.

19:47 Uhr: Während die SA das Bundeskanzleramt bereits umstellt, gibt Schuschnigg nach – und seinen Rücktritt bekannt.

Das Ergebnis dieser Ereignisse ist bekannt. Doch wie nüchtern und zugleich erbarmungslos, wie geplant und zugleich chaotisch, wie entschlossen und zugleich verheerend die ersten 24 Stunden der Errichtung des NS-Terrorregimes in Österreich abliefen, wurde bisher nur unzureichend beleuchtet. Das multimediale Projekt „Zeituhr 1938“ will dies im Gedenkjahr 2018 nun ändern.

Projektion am Ballhausplatz, Ticker im Web

Unter der wissenschaftlichen Leitung von Heidemarie Uhl, Historikerin an der Akademie der Wissenschaften, und konzipiert vom österreichisch-britischen Filmemacher Frederick Baker lässt das Projekt am 11. März (Beginn 18.00 Uhr) und 12. März Interessierte vor Ort am Wiener Ballhausplatz an jenen 24 Stunden des Jahres 1938 teilhaben, in denen die Nationalsozialisten über Nacht ihr Regime errichteten: Die Dokumentation wird als überdimensionale Projektion auf die Fassade des Bundeskanzleramts zu sehen sein, als Live-Ticker im Internet, sowie in Form digitaler Ansichtskarten für Handys.

Rund 220 Schlüsselereignisse des „Anschlusses“ werden mit historischen Dokumenten wie Videos, Zeitungsartikeln, diplomatischen Korrespondenzen, Tagebuchauszügen und privaten Aufzeichnungen sowie neuen Interviews mit Zeitzeug/innen in einer chronologischen Abfolge minutiös dargestellt. Langfristig wird „Zeituhr 1938“ auf dem Webportal des Hauses der Geschichte Österreich zugänglich sein.

Schwerpunkt an Universitäten

Auch die Medizin-Uni Wien und Uni Wien gedenken der dunklen Stunde der österreichischen Geschichte: Sie veranstalten am 12. März im Van-Swieten-Saal der Meduni eine internationale Tagung, die sich mit den Nachwirkungen des „Anschlusses“ auf Medizin und Gesellschaft beschäftigt. Unter den Referenten befinden unter anderem der Zeithistoriker Oliver Rathkolb sowie der britische Medizinhistoriker Paul Weindling (Oxford Brookes University). Am 13. März wird dann um 18.00 Uhr die Ausstellung „Die Wiener Medizinische Fakultät 1938 bis 1945“ im Josephinum eröffnet.

Am 12. März verleiht die Uni Wien außerdem die Ehrendoktorwürde an den Chemiker Robert A. Shaw sowie den Biochemiker und Immunologen Isaac P. Witz. Beide Wissenschaftler wurden in Wien geboren und mussten vor dem NS-Regime nach England bzw. Palästina flüchten. Am Tag darauf wird im Beisein der beiden Forscher an der Fakultät für Chemie eine neue Gedenkwand enthüllt, die an die Schicksale von während der NS-Herrschaft verfolgten, vertriebenen und ermordeten Chemiker erinnert.

An der Universität Graz widmen sich Veranstaltungen am 14., 15. und 21. März unter dem Titel „Flagrante Violacion“ dem Protest Mexikos beim damaligen Völkerbund gegen den „Anschluss“.

science.ORF.at/APA

Mehr zu diesem Thema: