„Mehr militärische Sturmgewehre“

Rund 80 Millionen legale Waffen soll es laut Schätzungen der EU-Kommission in der Europäischen Union geben. Und in den vergangenen Jahren ist es auch einfacher geworden, an illegale Handfeuerwaffen zu kommen, wie Forscher berichten.

Diese Entwicklung betrifft besonders militärische Sturmgewehre, so ein Fazit des Forschungsprojekts SAFTE, durchgeführt von Friedens- und Konfliktforschungsinstituten in Belgien, Kroatien, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Rumänien und Großbritannien.

Der Soziologe und Politologe Nils Duquet vom Flemish Peace Institute ist der Projektleiter: „In den vergangenen Jahren konnten wir beobachten, dass militärische Sturmgewehre häufiger illegal in die EU geschmuggelt werden. Die meisten davon gelangen vom Westbalkan zu uns.“

Kunden: Organisierte Kriminalität …

Der Zufluss ist eine Folge der eher halbherzig erfolgten Entwaffnung nach den Balkankriegen in den 1990er Jahren. Pro Tour würden meist nicht mehr als fünf Stück geschmuggelt. Das Problem sei, dass die Waffen jahrzehntelang verwendbar bleiben – daher vergrößert sich der Pool illegaler Waffen in der EU konstant.

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Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 18.4., 18:00 Uhr.

„Das bedingt, dass die Preise sinken und der Zugang einfacher wird“, so Nils Duquet. Die Westbalkan-Schmuggelroute führt auch durch Österreich. Das Ziel der Sturmgewehre sind allerdings die Niederlande und Belgien, EU-Hauptumschlagplätze für illegale Drogen. „Ich vermute aber, dass einige Waffen dann auch in Österreich bleiben“, sagt Duquet.

Ein weiterer Hotspot ist die südfranzösische Hafenstadt Marseille, wo Waffen aus Nordafrika und dem Nahen Osten günstig zu bekommen sind. Ein Sturmgewehr kostet dort nur noch wenige hundert Euro, heißt es in der SAFTE-Studie. Die Waffen sind im organisierten Drogenhandel und unter Motorradgangs besonders stark verbreitet, gefolgt von Waffensammlern.

… und Terroristen

Das SAFTE-Forschungsprojekt wurde im Auftrag der EU-Kommission durchgeführt. Einer der Gründe: Bei verschiedenen Terroranschlägen in den vergangenen Jahren wurden meist illegale Waffen verwendet. So etwa bei dem Attentat auf einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar 2015. Dabei verwendete der Terrorist zwei Schreckschussgewehre aus der Slowakei, die wieder zu scharfen Waffen umgebaut worden waren.

Die Waffen stammten ursprünglich aus Armeebeständen. Auch jene Terroristen, die für den Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo im Jänner 2015 verantwortlich waren, und jene, die den Anschlag auf Konzertbesucher des Pariser Konzertsaals Bataclan durchführten, verwendeten illegal beschaffte Waffen, darunter viele der serbischen Marke Zastava.

Die Forscherinnen und Forscher haben auch analysiert, von welchen bewaffneten extremistischen Gruppen derzeit besonders viel Gefahr ausgeht: „Das sind nach wie vor dschihadistische Netzwerke, vorausgesetzt, sie verfügen über Kontakte zu kriminellen Gruppen, die sie mit Waffen versorgen“, so Nils Duqet. Er weist darauf hin, dass sich diese Kontakte oft während Gefängnisaufenthalten ergeben, bei denen sich Kleinkriminelle mitunter ideologisch radikalisieren würden.

Rechtsextreme Kontakte zum Militär

Im SAFTE-Endbericht sind aber nicht nur religiös motivierte Gruppen Thema, sondern auch rechts- und linksextreme, sowie andere Gruppierungen.

Nils Duquet: „Der auffallendste Unterschied ist, dass die Waffen der rechtsextremen Gruppen, beispielsweise in Deutschland, oft aus legalen Beständen stammen, während linksextreme Terroristen kaum Handfeuerwaffen verwenden. Rechtextreme kommen zunehmenden einfacher an Waffen. Sie verfügen auch öfter über Kontakt zu Polizei und Militär und haben so besseren Zugang zu Waffen und Trainings. Diese Entwicklung beobachten wir mit Sorge.“

Neben illegaler Waffeneinfuhr ist der organisierte Diebstahl von legalen Waffen innerhalb der EU ein Problem. So sind in Frankereich allein im Jahr 2015 mehr als 10.500 Handfeuerwaffen gestohlen worden. Insgesamt ist in der EU der Verbleib von mehr als einer halben Million Waffen ungeklärt.

„Nationale Schlupflöcher sind EU-Problem“

Das SAFTE-Forschungsteam hat eine Reihe von Empfehlungen an die Europäische Union. Diese betreffen mehrere Bereiche. Unter anderem müsse das Monitoring des Schwarzmarktes für Waffen und der Datenaustausch zwischen den EU-Mitgliedsländern weiter intensiviert werden.

Außerdem müsse man sich darum bemühen, Schlupflöcher in den nationalen Gesetzgebungen zu schließen. Ein Beispiel dafür seien Schreckschusswaffen, die sich recht einfach wieder zu scharfen Waffen umbauen lassen würden und in einigen EU-Ländern einfach zu erwerben sind.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft

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