Manche sagen niemals „Danke“

Geben und Nehmen hält Gesellschaften zusammen. Ein Blick auf verschiedene Kulturen zeigt: Das ist so selbstverständlich, dass man seine Dankbarkeit gar nicht ausdrücken muss. In manchen Sprachen gibt es nicht einmal ein Wort für „Danke“.

Mit „Wie heißt das Zauberwort?“ oder „Sag schön ‚Danke!‘“ versuchen viele Eltern, ihren Kindern schon früh beizubringen, dass es zum höflichen Umgang einfach dazu gehört, „Bitte“ bzw. „Danke“ zu sagen. Studien geben den Erziehungsmethoden recht. So meinen etwa manche Evolutionstheoretiker, die Erfahrung von Dankbarkeit sei gewissermaßen der „Klebstoff“ menschlicher Gesellschaften. Sie motiviere zu wechselseitigem Geben und Nehmen und stärke den Zusammenhalt.

Die Studie

„Universals and cultural diversity in the expression of gratitude“, Royal Society Open Science, 23.5.2018

Außerdem werden ihr zahlreiche positive Nebeneffekte zugeschrieben: Wer dankbar ist, ist weniger aggressiv, hat bessere Beziehungen, mehr Selbstbewusstsein und schläft sogar besser. Wie die Forscher um Simeon Floyd vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen in einer vor Kurzem erschienenen Studie schreiben, geht man üblicherweise davon aus, dass man die Dankbarkeit auch ausdrücken muss, damit sie tatsächlich dem Wohlbefinden hilft. Für manche Psychologen sei „Danke“ daher mehr als ein Wort des Anstands. Vielmehr könne es glücklich und zufrieden machen - ein Rat, der sich auch in Selbsthilfebüchern wiederfindet.

Dankbarkeit im Alltag

Das klingt recht logisch und nachvollziehbar, nur: Die schöne Idee hat einen nicht unwesentlichen Haken, wie die Studienautoren um Floyd finden. Die meisten Untersuchungen zum „Dankesagen“ stammen nämlich aus westlichen bzw. englischsprachigen Gesellschaften. Meist basieren sie zudem auf Laborexperimenten.

Um herauszufinden, wie es sich mit verbalisierter Dankbarkeit tatsächlich verhält, hat das Team weltweit Alltagssituationen in Bild und Ton aufgezeichnet, in acht Sprachen auf fünf Kontinenten. Neben Englisch, Italienisch, Russisch und Polnisch waren das vier kleine Sprachen: Cha’palaa (Ecuador), Lao (Laos), Murrinhpatha (Australien) und Siwu (Ghana). Ganz nebenbei entstand für drei der Minisprachen so die größte bisher gesammelte Datenbasis.

Stillschweigendes Abkommen

Tausende Situationen rund um einfache Alltagsanfragen wie „Kann ich mal das Salz haben?“ und „Wäscht du das Geschirr ab?“ wurden dokumentiert. Die Auswertung zeigt: Den Bitten wird in der Regel nachgekommen, egal aus welcher Kultur die Sprecher stammen; nur in einem von sieben Fällen wurden sie abgewiesen.

Der Ausdruck von Dankbarkeit ist allerdings viel weniger selbstverständlich, als man annehmen könnte. Nur in fünf Prozent der Fälle hat sich der Bittsteller für die Hilfeleistung mit „Danke!“ oder einer vergleichbaren Paraphrase wie „Gut gemacht!“ bedankt. In Cha’palaa konnte die Forscher keine einzige Danksagung dokumentieren. Etwas häufiger bedankten sich im Schnitt die englischen und italienischen Muttersprachler, nämlich in 13 bis 14 Prozent der Fälle.

Gemessen an den westlichen Höflichkeitsstandards ist das laut den Forschern aber immer noch recht wenig. Das heiße aber nicht, dass die meisten Menschen unhöflich oder ungehobelt sind bzw. niemals Dankbarkeit empfinden. Es zeige nur, dass die gegenseitige Unterstützung im familiären oder vertrauten Kontext völlig selbstverständlich ist, sozusagen eine stillschweigende Übereinkunft.

„Danke“ gibt’s nicht

Mancherorts könnte ein explizites „Danke“ in alltäglichen Situationen sogar unverschämt bzw. unpassend wirken, etwa bei Sprechern von Lao und Siwu. In diesen Sprachen ist der Ausdruck von Dankbarkeit für besondere Anlässe reserviert, beispielsweise wenn einem das Leben gerettet wurde.

Angesichts der seltenen Dankesäußerungen ist es nicht überraschend, dass sehr viele kleine Sprachen wie z. B. Cha’palaa gar kein Wort für „Danke“ haben. Laut den Forschern braucht man die formalisierte Dankbarkeit letztlich eher im Austausch mit Fremden oder in offiziellen und formalen Situationen. In typisch westlichen Gesellschaften ist ein gewisses Höflichkeitstraining also vielleicht sogar sinnvoll - in Lebensalltag vieler kleiner Gruppen ist „Danke“ hingegen überflüssig.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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