Warum das menschliche Gehirn so groß ist

Im Vergleich zu seinen tierischen Verwandten besitzt der Mensch ein riesiges Gehirn. Die verantwortlichen Gene haben nun Forscher entdeckt - ihre Resultate zeigen: Für sein hohes Hirnvolumen zahlt der Mensch mitunter einen hohen Preis.

Die meisten Tiere tragen im Erbgut das Gen NOTCH2: Es enthält Informationen zum Bau von Proteinen, die beim Embryo eine entscheidende Rolle bei der Gehirnentwicklung spielen. Die menschliche Variante des Gens - NOTCH2NL - sorgt offenbar dafür, dass das Gehirn des Embryos länger wächst als etwa bei Menschenaffen, so das Resümee zweier Studien im Fachblatt „Cell“.

David Haussler von der University of California in Santa Cruz hatte Versuche an Modellgehirnen in der Petrischale durchgeführt - und nachgewiesen: Die NOTCH2NL-Gene, die normalerweise in dreifacher Ausfertigung vorliegen, regen die Teilung von Stammzellen an und verzögern ihre Reifung zu Nervenzellen. Mehr Stammzellen bedeuten letztlich mehr Nervenzellen und damit ein größeres Gehirn. Dieser Vorgang spielt sich vor allem in jenem Areal ab, in dem sich die Großhirnrinde entwickelt.

Mehr Stammzellen, mehr Hirnvolumen

Zu ganz ähnlichen Befunden kommen auch Forscher um Pierre Vanderhaeghen von der Université Libre in Brüssel. „Einer der Heiligen Grale von Forschern wie uns ist es herauszufinden, was während der menschlichen Entwicklung für ein größeres Gehirn, insbesondere die Großhirnrinde, verantwortlich ist“, sagt Vanderhaeghen. Seine Gruppe fand insgesamt 35 Gene, die nur beim Menschen vorkommen und bei der Entwicklung des Gehirns aktiv sind. Doch nur von NOTCH2NL ist weitgehend klar, was es bewirkt.

Gehrivolumen: Homo sapiens und Menschenaffen im Vergleich

I. Fiddes et al./Cell 2018. (Foto/Materialien: Gary Mantalas, Richard Baldwin)

Organvergleich: Das Gehirn des Menschen ist etwa dreimal so groß wie jenes des Schimpansen

Haussler und Kollegen vermuteten auch einen Zusammenhang mit Fehlentwicklungen im Gehirn: Das Fehlen jenes Chromosomenabschnitts 1q21.1, auf dem NOTCH2NL-Gene zu finden sind, geht häufig mit einem kleinen Gehirn und Autismus einher. Umgekehrt kann eine Verdopplung des Abschnitts ein vergrößertes Gehirn und Schizophrenie zur Folge haben. Die Forscher untersuchten das Erbgut von je drei Patienten mit einem zu kleinen und einem zu großen Gehirn: Bei der ersten Gruppe fanden sie nur zwei NOTCH2NL-Gene, bei der zweiten Gruppe hingegen vier.

Die Schattenseite: Entwicklungsstörungen

Haussler und Kollegen betonen, dass genetische Veränderung in der menschlichen Evolution ein zweischneidiges Schwert sei: „Die Entstehung von menschenspezifischen NOTCH2NL-Genen könnte zur raschen Entwicklung der größeren menschlichen Großhirnrinde beigetragen haben, Dadurch ging aber auch die Stabilität des Erbguts am 1q21.1-Abschnitt verloren.“ Und das, so Haussler, führe mitunter zu neurologischen Entwicklungsstörungen.

Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck ist von den Resultaten sehr angetan: „Beide Studien sind bahnbrechend in der systematischen Suche nach human-spezifischen Proteinen, welche das im evolutionären Maßstab gemessene rasante Tempo der menschlichen Gehirnentwicklung erklären könnten“, wird er in einer Mitteilung des Science Media Center zitiert. In derselben Mitteilung betont Katrin Amunts vom Forschungszentrum Jülich: „Die Befunde der beiden Studien bestätigen und ergänzen sich. Sie untermauern die Schlüsselrolle der NOTCH2NL-Gene für die evolutionäre Expansion der Hirnrinde des Menschen.“

science.ORF.at/dpa

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