„Wir müssen neue Dinge ausprobieren“

Der Wissenschaftsfonds FWF wurde 1968 eingerichtet, um Grundlagenforschung in Österreich gezielt zu fördern. Die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt zieht zum Jubiläum ein Resümee: Der FWF helfe, Neues auszuprobieren, komme dabei aber zunehmend unter Druck.

Genau genommen wurde der Wissenschaftsfonds FWF bereits am 4. März 1968 gegründet. Dieses Jubiläum feiert der Fonds jetzt mit einem Wissenschaftsfestival in Wien, das in 18 Pavillons zum Mitreden und Mitentdecken einlädt. Die ganze Bandbreite exzellenter Forschung in Österreich soll dabei präsentiert werden, von der Medizin über die Astronomie bis hin zur Klimaforschung. Die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt von der Universität Wien erklärt indes im Interview die größten Errungenschaften des FWF und spricht über aktuelle Herausforderungen.

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Diesem Thema widmet sich auch das Mittagsjournal am 7.9.

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science.ORF.at: In Deutschland wurde 1951 die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ DFG und ein Jahr später in der Schweiz der „Schweizerische Nationalfonds“ SNF gegründet, um Forschung zu fördern. In Österreich dauerte es nach dem Krieg gut 20 Jahre, bis mit dem FWF eine vergleichbare Einrichtung gegründet wurde. War Forschung in Österreich weniger wichtig?

Ulrike Felt: Ich denke, dass Wissenschaft nicht oberste Priorität war, sondern der Wiederaufbau und überhaupt das Neudenken von Österreich: Welche Rolle hat Österreich, wer ist Österreich und wie können wir uns als Land positionieren?

Man muss sich in der Nachkriegszeit die Situation in Österreich außerdem wie folgt vorstellen: Österreich hat extrem viel Humankapital seit dem Anschluss an Nazideutschland verloren. Viele der besten Forscher waren weg. Das ganze System musste sich erst aufrappeln. Zudem war die ganze Finanzlage extrem komplex.

Das hat man auch in den internationalen Verhandlungen zum CERN-Beitritt Österreichs im Jahr 1959 gesehen. Hier musste man eine Preisreduktion verhandeln, weil wir es uns gar nicht hätten leisten können, solche Mitgliedschaften einzugehen. Es war viel im Umbruch und Aufbau, und es war unklar, wie man überhaupt mit der Forschungsfinanzierung umgehen soll.

Dass Österreich im Vergleich zu anderen aber deutlich weniger in die Forschung investierte, wurde letztlich auch international im Rahmen des OECD-Berichts im Jahr 1963 kritisiert. Manche sehen diesen Bericht als wesentlichen Anstoß für die Gründung des FWF. Hat es diesen internationalen Druck gebraucht?

Felt: Internationale Vergleiche spielen nach dem Zweiten Weltkrieg eine immer wichtigere Rolle, davor gab es diese viel weniger. Man hat also tatsächlich begonnen, sich mit der österreichischen Forschung im Vergleich zu anderen Ländern neu zu positionieren.

Insgesamt muss man aber sagen, dass die 60er und 70er Jahre in vielen Ländern eine Veränderung brachten und einige Länder auch erst da einen Forschungsfonds eingerichtet haben. Zudem wurden zu dieser Zeit in den meisten Ländern eigene Wissenschafts- und Forschungsministerien eingeführt - auch in Österreich.

Das heißt, die 60er und 70er Jahre waren insgesamt ein weichenstellender Moment in der Forschungsförderung. Und Österreich hat hier halt auch zaghaft den ersten Schritt gemacht mit einem Gesetz 1967, das die Forschungsförderung regelt, und dann dem FWF für die Grundlagenförderung eingerichtet.

Wenn man auf diese 50 Jahre des FWF zurückblickt, wo sehen sie die größte Errungenschaften?

Felt: Ich glaube, man kann das auf verschiedenen Ebenen ansiedeln. Zum einen war er derjenige, der sehr stark für eine gesunde Förderung der Grundlagenforschung aufgetreten ist. Das ist nicht selbstverständlich, weil in dem Wettbewerb um Innovation anwendungsorientierte Forschung ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Zudem hatte der FWF eine Vorreiterrolle, wie Qualitätssicherung aussehen muss. Er hat die Qualität immer schon durch die Begutachtung von Fachkollegen aus dem Ausland sichern lassen. Damit wird sichergestellt, dass die heimische Forschung auf internationalem Niveau ist.

Außerdem hat er maßgeblich dazu beigetragen, die Rolle von Dissertanten neu zu definieren. Heute sind Dissertanten selbstverständlich Teil des Forschungssystems, und man weiß, dass Forschung ohne sie nicht möglich ist. Das war früher nicht so. Als ich dissertiert habe, war die Dissertation halt Teil der Ausbildung, wurde aber so gut wie nie über Projekte finanziert.

Generell hat der FWF viele neue Instrumente geschaffen, wie man junge Forscher fördern kann – sei es über den Startpreis, die Herta-Firnberg- und die Elise-Richter-Stipendien für Frauen bis hin zu den Doktoratskollegs, wo Doktoranden aus unterschiedlichen Fragestellungen zusammengebracht werden. Darüber hinaus hat der FWF auch neu eingeführt, dass Dissertanten statt 40 nur 30 Stunden arbeiten müssen, aber trotzdem das volle Gehalt bekommen. Damit entstand ein gewisser Freiraum, indem sie sich für ihre Dissertation Zeit nehmen können. Das waren weichenstellende Maßnahmen, die auch von den Unis übernommen wurden.

Wesentlich neu war mit dem FWF letztlich auch die projektgebundene Finanzierung. Wie sah Forschungsfinanzierung denn davor aus?

Felt: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man einen Professor für eine Position ausgewählt und ist davon ausgegangen, dass er - Frauen gab es so gut wie keine - die Mittel von der Institution zur Verfügung gestellt bekommt - hauptsächlich um seine Forschung zu betreiben. Das heißt, hier hatten wir eine sehr personenbezogene Förderung der Wissenschaft. Hier schafft der FWF 1968 eine Bruchlinie und sagt, er möchte die Ideen einer Person fördern und keine Person an sich oder eine Institution. Ganz trennbar ist es natürlich nicht. Aber es spielt keine so zentrale Rolle mehr.

Ist das das ideale System, um Grundlagenforschung zu fördern – über Projekte, die meistens maximal über drei Jahre gehen?

Felt: Grundsätzlich ermöglicht dieses System unglaublich vielen jungen Menschen, in die Wissenschaft hineinzuschnuppern. Es werden tausende Dissertationen über den FWF finanziert. Auf der anderen Seite muss man aber sehen, dass das Universitäts- und Forschungssystem nicht wirklich mitgewachsen ist. Das heißt, es gibt im Verhältnis sehr viel mehr Projektförderstellen als feste Stellen an den Unis. Die jungen Menschen kommen so in diesen Loop von Projektförderungen, bis sie irgendwann doch aus dem Wissenschaftsbetrieb herausfallen, weil sich für sie keine Gelegenheitsfenster mehr bieten und jüngere Kollegen und Kolleginnen nachrücken. Ich glaube, mit der Diskussion um die Universitätsmilliarde geht es ja auch darum, diese Balance vielleicht ein Stück weit wiederherzustellen.

Was bedeutet dieses Ungleichgewicht für die Grundlagenforschung?

Felt: Wenn Personen nach längerer Zeit aus dem Wissenschaftsbetrieb ausscheiden, nehmen sie ja auch einen großen Teil ihres Wissens und ihrer Erfahrung mit. Vieles der Erfahrung und des gesammelten Wissens lässt sich eben nicht in Studien und wissenschaftlichen Beiträgen erfassen.

Sie haben vorhin den Freiraum des FWF angesprochen, Forschung in seinem Sinne unabhängig zu fördern. Wie hat sich dieser Freiraum des FWF in den 50 Jahren verändert? Vor allem unter dem Druck, dass Wissenschaft Anwendungen und Produkte hervorbringen und so die Wirtschaft ankurbeln soll.

Felt: In vielen Förderschienen wird man heute als Forscher aufgefordert, stark zu spekulieren, wo die Forschung hinführen wird. Bei FWF-geförderter Forschung spielt das eine wesentlich geringere Rolle.

Obwohl - wenn ich meine eigenen Erfahrung aus den frühen 90er Jahren mit heute vergleiche - werden wir auch hier als Forscher schon sehr viel klarer dazu aufgefordert, uns zu deklarieren, wozu wir glauben, dass die Forschung über das Projekt hinaus beitragen könnte. In den frühen 90er Jahren wurde man dazu weder in den Antragsformularen, noch außerhalb dazu aufgefordert. Auch wenn der FWF nach wie vor die Grundlagenforschungsförderungseinheit in Österreich ist, kann man seit den 1990er Jahren diese Veränderungen erkennen.

Hinzu kommt, dass der FWF in letzter Zeit notorisch unterfinanziert war, was problematisch ist. Denn gerade die Grundlagenforschung kann nicht so einfach auf industrielle Fördermittel zurückgreifen, wir haben keine Stiftungen und auch Fördermittel der Europäischen Union sind hier wenig geeignet. Letztere sind ja noch stärker auf Infrastrukturen oder anwendungsnahe bzw. -gebundene Forschung ausgerichtet.

Muss Grundlagenforschung demnach heute einen unmittelbaren Nutzen haben, um gefördert zu werden?

Felt: Wissenschaft ist aus meiner Sicht ein Kulturgut, und in einer Welt, in der wir so stark auf wissenschaftliches Wissen und Technologien setzen, müssen wir es uns einfach erlauben, auch einmal in Dinge zu investieren, bei denen wir nicht direkt wissen, was sie bringen. Nur so können wir auch Unerwartetes generieren.

Man muss sich das Wissenschaftssystem wirklich als Ökosystem vorstellen, wo verschiedenen Elemente unterschiedlich schnell wachsen. Hier muss man auf die Balance achten. Wir müssen also neue Dinge ausprobieren können und so die Ressourcen für die nächsten Jahrzehnte schaffen, damit wir dann das Wissen haben, um auf neue Probleme zugehen zu können. Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, das zu fördern, was gegenwärtige Probleme löst, dann haben wir in ein paar Jahrzehnten einfach nicht die Grundlage, die wir brauchen, um Neues zu entwickeln.

Ich verstehe aber schon, dass das manchmal politisch etwas schwierig ist, wenn man ständig rechtfertigen muss, wofür man das Geld ausgegeben hat und ob das jetzt auch wirklich so viel gebracht hat. Viele Dinge kann man aber kurzfristig eben nicht so einfach einschätzen, was die richtige Investition ist und was nicht. Da muss der FWF weiterhin die Sensibilität haben dürfen, in Bereiche zu investieren, bei denen nicht von Vorneherein völlig klar ist, dass wir das in nächster Zeit brauchen können.

Manche verlangen, dass Grundlagenforschung von all den offenen Fragen sich zumindest mit den grundlegenden Fragen auseinandersetzen muss, die für die Gesellschaft von Bedeutung sind. Sehen Sie das auch so?

Felt: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Wissenschaftler besser hineinhören, was denn eigentlich vonseiten der Gesellschaft erwartet wird. Der FWF macht ja diesbezüglich auch viele Kommunikationsaktivitäten. Mir ist noch nicht so ganz klar, wen man damit wirklich erreicht, weil die Diskussionen schon sehr hoch angesiedelt sind.

Ich denke aber, dass wir nicht nur vermitteln müssen, wie faszinierend Wissenschaft ist oder was Wissenschaft schon alle geleistet hat. Vielmehr müssen wir den Menschen klarmachen, worum es bei Grundlagenforschung generell geht und warum sie wichtig ist. Auch sollte man bewusst gegen die naive Vorstellung wirken, wonach bei jeder Investition der Ertrag sofort sichtbar sein sollte. Hier ist die Wissenschaftspolitik manchmal etwas ungeduldig geworden.

Wissenschaft braucht Zeit. Man kann das Beispiel der Quantenphysik hernehmen. Sie ist glücklicherweise zu einer Zeit gefördert worden, wo sie als eher esoterisch angesehen worden ist. Heute sieht man sehr viele Anwendungen für die Quantenphysik. Das wäre nur ein Beispiel. Oder damit wir heute CDs abspielen können, müssen wir auf 50 oder mehr Jahre zurückliegende Erkenntnisse zurückgreifen. Dies zu kommunizieren muss schon in der Schule beginnen.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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