Entscheid zu „Genschere“ bremst Forschung

Pflanzen, die mit der „Genschere“ Crispr/Cas verändert werden, gelten als „gentechnisch verändert“ - so lautete vor Kurzem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Dies behindere die Forschung zu nötigen klimaresistenten Sorten, kritisierten nun Experten in Wien.

Laut Prognosen bedroht der Klimawandel, je nach Temperaturanstieg, zehn bis 50 Prozent der weltweiten Ernten. Mit jedem Grad Celsius, das die Temperatur im globalen Mittel steigt, verliert die österreichische Landwirtschaft etwa sechs Prozent des Ertrages bei Weizen. Eine Lösung für dieses Problem könnte Getreide sein, das mit weniger Wasser auskommt, oder Gemüse, das trotzt Hitze gedeiht. Doch solche Nutzpflanzen müssen erst gezüchtet werden.

Schnelle Erfolge ohne Genschere?

Ob europäische Institutionen in diesem Forschungsbereich erfolgreich sein können, wurde am Donnerstag bei einem Symposion über „New Breeding Technologies“ an der Universität für Bodenkultur von Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Industrie diskutiert.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“: 7.9., 13.55 Uhr.

Im Mittelpunkt der Diskussion über neue Züchtungstechnologien steht die Genschere Crispr/Cas. Bei diesem Verfahren wird das Erbgut einer Pflanze gezielt bearbeitet, ohne dabei fremdes Erbgut einzubringen. Doch laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs zählen Lebewesen mit durch Crispr/Cas erzeugten Mutationen zu den Gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und müssen ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen.

Freilandversuche stark eingeschränkt

Für Hermann Bürstmayr, den Leiter der Abteilung für Pflanzenzüchtung an der Universität für Bodenkultur in Wien, war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ein Rückschlag für die Forschung an widerstandsfähigeren Nutzpflanzen. Denn für eine erfolgreiche Forschung brauche es immer auch Freilandversuche, und die seien, weil es sich bei der Genschere jetzt um Gentechnik handle, mit sehr hohen Auflagen verbunden.

„Das macht solche Freilandversuche unheimlich teuer und daher werden sie kaum durchgeführt werden“, ist Bürstmayr überzeugt. Ohne Freilandversuche könnten die Wissenschaftler allerdings nicht feststellen, ob eine neue Sorte tatsächlich die gewünschten Eigenschaften für die Landwirtschaft mitbringe.

Mutation durch Bestrahlung erlaubt

Erst vor wenigen Tagen hat Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger angekündigt, in die Züchtung und Erforschung widerstandsfähigerer Sorten investieren zu wollen. Im Rahmen eines dreijährigen Projektes, das gemeinsam mit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) und der Interessensvertretung Saatgut Austria durchgeführt wird, sollen resistente Sorten gezüchtet werden, die Erträge auch unter extremeren Wetterbedingen sicherstellen.

Das soll allerdings ohne den Einsatz neuer Züchtungstechnologien passieren. Das sei auch möglich, sagt Bürstmayr. „Seit der Wiederentdeckung der Mendel-Gesetze haben wir mit Kreuzung, Selektion oder auch Mutationsauslösung tragfähige und nützliche Werkzeuge in der Pflanzenzüchtung“, so der Biotechnologe. Denn Saatgut zu bestrahlen oder chemisch zu behandeln und so Mutationen im Erbgut auszulösen, die zu resistenteren oder ertragreicheren Pflanzen führen könnten, ist, anders als die Genschere, in Europa erlaubt.

Methodische Unterschiede nicht berücksichtigt

Diese etablierten Verfahren seien allerdings wesentlich aufwändiger, sagt der Generalsekretär der Europäischen Saatgut-Vereinigung Garlich von Essen. „Das kann selbstverständlich erfolgreich sein, aber es dauert eben sehr lange“, so Von Essen. Hier stelle sich die Frage, ob diese Verfahren am Ende wirtschaftlich seien. „Und wir müssen uns fragen, ob es den Fortschritt in der Zeitspanne bringt, den wir eigentlich benötigen“, so der Vertreter der Saatgutindustrie.

Von Essen plädiert dafür, die aktuelle Gesetzeslage zu überdenken. Denn der Europäische Gerichtshof habe mit seiner aktuellen Entscheidung die Unterschiede zwischen den verschiedenen Züchtungstechnologien, die als Gentechnik zusammengefasst werden, nicht berücksichtigt. Die österreichische Bevölkerung sieht den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft jedoch allgemein skeptisch, wie Umfragen seit 20 Jahren zeigen. Einer der Hauptgründe ist, dass es keine Studien zu den Langzeitfolgen für Mensch und Umwelt gibt.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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