Skandal um Fake-Artikel

Sollte man Männer wie Hunde trainieren, um Vergewaltigungen zu verhindern? Und die neue Sportart „Fat Body Building“ einführen, damit sich Dicke wohler fühlen? US-Forscher plädieren dafür – freilich in Fake-Artikeln, die nun einen großen Skandal ausgelöst haben.

Denn die absichtlich unseriös und zum Teil skurrilen Artikel wurden in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht, vornehmlich im Bereich der Gender Studies. Die Artikel stammen von der Mittelalterforscherin Helen Pluckrose, dem Mathematiker James A. Lindsay und dem Philosophen Peter Boghossian. Sie wollten damit beweisen, mit welcher Beliebigkeit und Sorglosigkeit bestimmte Disziplinen mit der Kategorie „wissenschaftlich“ und „publikationswürdig“ umgehen. Sie trieben ihr Spiel in den „Jammerstudien“, wie sie sie despektierlich nennen, dabei oft sehr weit. Etwa, wenn sie in einem Artikel, der gegen neoliberalen Feminismus argumentiert, ein komplettes Kapitel aus Hitlers „Mein Kampf“ einbauten.

Auch die Hundestudie hätte eigentlich für Kopfschütteln der Reviewer sorgen können: Darin werden gewalttätige Kopulationsversuche von Hunden in einer Hundezone beschrieben. Die Herrchen und Frauchen würden demnach viel öfter bei homosexuellen Hundekontakten einschreiten als bei heterosexuellen. Der Schluss der Studie nach einigen argumentativen Schlangenlinien: Ähnlich wie Hunden könne man auch Männern trainieren, um sie von Vergewaltigungen abzuhalten.

YouTube-Video der Forscher, das „Making-Off“ ihrer Arbeit

Dass Pluckrose, Lindsay und Boghossian bei ihrer Arbeit offensichtlich auch Spaß hatten, geht aus vielen Details hervor. So haben sie die für identitätspolitische Texte typische Eigenschaft, die eigene Sprecherposition offenzulegen, beim Hundeartikel auf die Spitze getrieben, indem die (erfundene) Autorin schreibt: „Aufgrund meiner eigenen Situiertheit als Mensch, statt als Hund, erkenne ich meine Grenzen bei der Einschätzung an, ob es sich bei Hundekopulation um Vergewaltigung handelt.“ Und auch der Artikel, in dem ihr Schwindel selbst zum Argument wird, lässt auf gute Laune bei der Produktion schließen. Dieser sei, so der im „Journal of Gender Studies“ eingereichte, aber abgelehnte Text, „akademisches Bullying gegenüber den Gender Studies“.

Wie damals bei Sokal

20 solcher Artikel und „Studien“ haben die drei Forscher in knapp einem Jahr geschrieben und sich dabei stets aus dem Arsenal postmoderner, queer-feministischer und identitätspolitischer Ideologie bedient. Die Texte haben sie an renommierte Fachzeitschriften des Bereichs geschickt und vor Kurzem ihre Bilanz im Magazin „Aero“ präsentiert: Sieben Studien wurden demnach akzeptiert, vier von diesen bereits veröffentlicht, sieben Studien stecken noch im Peer-Review-Prozess und sechs wurden abgelehnt.

Pluckrose, Lindsay und Boghossian haben einen klassischen Hoax produziert, der an die Sokal-Affäre von 1996 anknüpft. Der Physiker Alan Sokal hatte damals einen Artikel geschrieben, in dem er postmodernen Relativismus mit Befunden der Quantenphysik zu untermauern versuchte. Der Artikel wurde in einer kulturwissenschaftlichen Zeitung abgedruckt – es war die Zeit vor dem allgegenwärtigen Internet – kurz danach klärte Sokal die Öffentlichkeit auf, dass es sich um einen Hoax gehandelt hat, mit dem er auf die Beliebigkeit der Cultural Studies aufmerksam machen wollte. Im aktuellen Fall sprechen manche bereits von „Sokal zum Quadrat“.

Mangel an Methodenkenntnissen

Seit Tagen wird auf US-Webseiten und in den Sozialen Medien darüber diskutiert, Lutz Musner zeigt sich gegenüber science.ORF.at vom Zeitpunkt der Debatte nicht überrascht. „Spätestens seit der Jahrtausendwende herrscht an den US-Unis ein Krieg der Fakultäten sowie der konservativen und den fortschrittlichen Kräfte“, sagt der ehemalige stellvertretende Direktor des Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien, einer wichtigen Institution für jene Disziplinen, die nun in der Kritik stehen. „Dort wird die Selbstbezüglichkeit der Cultural Studies kritisiert, aber vor allem jene Akteure, die theorielastig und methodenschwach verfahren. D.h. sie nehmen ihre Bezugspunkte aus ihrer eigenen Primär- und Sekundärliteratur und schauen nicht so sehr auf den Gegenstand.“

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 12.10., 13:55 Uhr.

Das sei auch an den Artikeln von Pluckrose, Lindsay und Boghossian gut nachzuverfolgen. „Bei der Hundestudie etwa wäre ich zu Biologen gegangen und hätte gefragt, was man über das Verhalten von Hunden weiß. Sich einfach in einen Park zu setzen und die Hunderln zu beobachten, wie das die Autoren der Studie vorgegeben haben, funktioniert nicht, wenn man die Beobachtungsmethoden nicht beherrscht.“ Vielen mangle es an Kenntnissen von Verfahren, mit denen man Forschungsannahmen widerlegen kann. „Ich kann nicht einfach nur Hypothesen aufstellen, die meist aus der Literatur stammen und nicht aus der Erfahrung, und nur das suchen, was meine Annahmen bestätigt, das ist keine Wissenschaft.“

Zeitknappheit und Publikationsdruck

Musner kritisiert, dass sich die Cultural Studies in manchen Ausprägungen weit von ihren Ursprüngen entfernt hätten, die über ein solides Wissen über die Grenzen der Interdisziplinarität verfügten. Die Szene sei mittlerweile extrem ausdifferenziert und kleinteilig. Die mittlerweile zurückgezogene Fake-Studie zum Bodybuilding für Dickleibige, das für ein positiveres und nicht normiertes Körperbild sorgen soll, ist etwa in einem Journal namens „Fat Studies“ erschienen. Ob man ein solches braucht, wenn es zig andere zu Ernährungswissenschaften mit interdisziplinärem Ansatz gibt, ist die Frage. „Die Cultural Studies brauchen die empirischen Wissenschaften als Korrektiv“, ist Lutz Musner überzeugt. Benachbarte Disziplinen, etwa in den Sozialwissenschaften, hätten einen Methodenvorsprung, und daran zeigten sich die Vertreter und Vertreterinnen der Cultural Studies oft wenig interessiert.

Als weitere Ursachen des aktuellen Skandals sieht der Kulturwissenschaftler die Veränderung der Publikationspraxis in den letzten Jahren – Monographien zählen für die Karriere kaum noch, Artikel in Fachzeitschriften umso mehr – sowie die allgemeine Zeitknappheit aller Beteiligten. „Alle stehen unter enormen Publikationsdruck, und selbst manche arrivierte Kollegen und Kolleginnen finden sich in dem Wildwuchs an Journalen nicht mehr zurecht“, so Musner.

“Jammerstudien“ korrumpieren Wissenschaft

Pluckrose, Lindsay und Boghossian wollen sich derweil weder über die Cultural Studies im Allgemeinen noch über die Gender Studies im Besonderen lustig machen. Was bestimmte Ausprägungen aber betrifft, ist ihr Anliegen sehr ernst. „Jammerstudien“, die auf radikalem Sozialkonstruktivismus und Skeptizismus beruhen, hätten zu einer ideologisch gefärbten „Korruption der Wissensproduktion“ geführt. Dadurch seien nicht nur die Legitimität und der Ruf der Hochschulen in Gefahr, sondern das sei auch politisch gefährlich. Denn damit liefere man auch der „rechtsradikal-reaktionären Opposition“ Argumente, die sich gegen jene Minderheiten richten, für die sich die Studienrichtungen eigentlich einsetzen.

Die drei Forscher empfehlen daher eine genau Untersuchung von Disziplinen wie Gender Studies, Critical Race Theory und Postkolonialismus-Studien, um „Wissensproduktion von Sophistik“ zu unterscheiden. Studien zu ihren Inhalten – Geschlecht, Ethnie, Sexualität und Kultur – seien „enorm wichtig – und gerade deshalb sollten sie mit der größtmöglichen akademischen Sorgfalt betrieben werden.

Anlass für Schadenfreude von Seiten anderer Wissenschaftsdisziplinen gibt es übrigens keine. Auf der – nach Eigenangaben noch unvollständigen – Webseite Retraction Database, die zurückgezogene mangelhafte Studien sammelt, finden sich nur 34 Artikel aus der Philosophie, 386 aus der Soziologie, aber über 1.800 aus der Biochemie und über 3.000 aus der Mathematik.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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