Kunst und Widerstand im Ghetto

Die Nationalsozialisten haben im Ghetto Theresienstadt zehntausende Juden und Jüdinnen ermordet. Welche Rolle Kunst und Widerstand in dem Ghetto gespielt haben, beschreibt die Historikerin Rosemarie Burgstaller in einem Gastbeitrag.

Die Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“ im Wiener Volkskundemuseum zeigt künstlerische Arbeiten, die in der Zeit von 1941 bis 1945 im Ghetto Theresienstadt entstanden sind. Zahlreiche der ausgestellten Grafiken und Malereien stammen von Verfolgten, die aus Österreich oder aus ihrem Zufluchtsort in der Tschechoslowakei deportiert wurden. Es werden siebenundzwanzig Kunstschaffende dokumentiert. Lediglich acht von ihnen haben die Shoah überlebt.

Porträtfoto von Rosemarie Burgstaller

kollektiv fischka, kramar, Volkskundemuseum

Über die Autorin:

Rosemarie Burgstaller ist Zeithistorikerin und Kuratorin der Ausstellung „Das Herz so schwer wie Blei“ Kunst und Widerstand im Ghetto Theresienstadt.

Der Titel der Ausstellung, die noch bis zum Sonntag, 16. Dezember 2018 zu sehen ist, ist eine Reverenz an die tschechische Schriftstellerin Ilse Weber. Weber wurde nach Theresienstadt deportiert und 1944 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Werke tschechischer und größtenteils unbekannte Werke österreichischer Ghettoinsassen. Zu sehen sind Schilderungen der Gewalt und der verheerenden Bedingungen im Lager, aber auch offizielle Darstellungen eines „Muster-Ghettos“, wie sie auf Anweisung der SS hergestellt werden mussten.

In diesem Spektrum finden sich künstlerische Arbeiten, die von fragilen Momenten des inneren Rückzugs berichten, von Erinnerungen und von Hoffnung. Die Erzählstränge der Ausstellung sind fragmentiert und entwickeln sich aus den individuellen Bildsprachen von Menschen, die sich im Ausnahmezustand zu orientieren versuchten. Unter anderem sind Werke zu sehen von: Alfred Bergel, Felix Ferdinand Bloch, Charlotta Burešová, Zdenka Eismannová, Karel Fleischmann, Bedřich Fritta, Leo Haas, Wilhelm Konrad, Bedřich Lederer, Helga Pollak, Gisela Rottonara, Malva Schalek, Frederick Terna und Otto Ungar.

Karel Fleischmann: Zählung im Bauschowitzer Kessel, 11.11.1943,

Gedenkstätte Theresienstadt, PT 13150

Karel Fleischmann: Zählung im Bauschowitzer Kessel, 11.11.1943

Zehntausende ermordet

Die rund 60 Kilometer nördlich von Prag gelegene historische Festungsanlage aus der Zeit Kaiser Joseph II. diente lange Zeit als Militärstützpunkt. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei am 15. März 1939 wurde die sogenannte „Kleine Festung“, eine zweite Anlage des Festungskomplexes, ab Juni 1940 als Gefängnis der Gestapo verwendet. Im Oktober 1941 wurde die Errichtung eines Ghettos in Theresienstadt als Durchgangslager der SS für die Vernichtungslager im Osten beschlossen.

Die Lebensumstände im Ghetto Theresienstadt waren verheerend. Durch die immense Überfüllung – die Stadt hatte ursprünglich rund 7.000 Einwohner, phasenweise mussten später bis zu 60.000 Menschen hier leben –, die schlechten hygienischen Bedingungen und die unzureichende Ernährung starben alleine im Lager rund 35.000 Menschen an Krankheiten und Epidemien. Von den rund 15.000 aus Österreich nach Theresienstadt Deportierten waren dies mehr als 6.000 Menschen. Neben Hunger und Krankheiten bestimmte die ständige Angst vor der Deportation das Leben und den Alltag der Menschen im Ghetto. Von den rund 140.000 in das Ghetto Deportierten wurden 87.000 weiter in Vernichtungslager wie Maly Trostinec, Treblinka oder Auschwitz-Birkenau deportiert, lediglich 3,5 Prozent von ihnen überlebten die Shoah.

Zdenka Eismannová: Unterkunft auf dem Dachboden

Gedenkstätte Theresienstadt, PT 12310

Zdenka Eismannová: Unterkunft auf dem Dachboden

Zynische NS-Propaganda

Unter den Zehntausenden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, befanden sich viele, die zuvor in der Wissenschaft, in Bildungs- und Kulturbereichen und als Kunstschaffende tätig gewesen waren. Um sich selbst und anderen psychischen Halt zu geben, entstand aus der Initiative der Häftlinge heraus und den katastrophalen Bedingungen zum Trotz ein Kultur- und Bildungsprogramm, das von Vorträgen über Theateraufführungen und Konzerten bis hin zu Ausstellungen reichte.

Die improvisierten kulturellen Aktivitäten im Lager passten in das von der NS-Propaganda entworfene Bild, das Theresienstadt gerne als Ort blühenden jüdischen Lebens inmitten des in Europa tobenden Kriegs inszenierte. Der über die Sommermonate des Jahres 1944 im Ghetto gedrehte Propagandafilm, der angesichts der längst beschlossenen „Endlösung“ allen realen Verhältnissen Hohn sprach, stellte die Häftlinge als glückliche Bewohner eines „Potemkinschen Dorfs“ mit Kaffeehaus, Kindergarten und einem Musikpavillon dar.

In diesem Streifen mit dem euphemistischen Titel „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“, der nie öffentlich gezeigt wurde, sind auch Zeichnungen und Malereien von Inhaftierten zu sehen. Um den Ort als friedlich anmutendes Idyll zu inszenieren, wurde die bildende Kunst intensiv für die NS-Propaganda herangezogen.

Bedřich Fritta: Transport, 1941–1944, Gedenkstätte Theresienstadt

Daniel Haas, David Haas, Ronny Haas, Michal Foell, PT 6268

Bedřich Fritta: Transport, 1941–1944, Gedenkstätte Theresienstadt

Kunst als Möglichkeit einer inneren Flucht

Doch die Insassen malten nicht zum Vergnügen. In den künstlerischen Werkstätten der SS mussten von den Häftlingen neben kunstgewerblichen Gegenständen und Fälschungen alter Meister auch unzählige idealisierende Bilder vom Ghetto gezeichnet werden. Einige, der im Zeichensaal eingesetzten Häftlinge arbeiteten, wie auch andere, im Geheimen an Blättern, die die realen Verhältnisse im Lager unmissverständlich festhielten. Viele der überlieferten Bildwerke aus Theresienstadt zeigen Menschen, die entweder in dem Ghetto eintreffen oder weiter deportiert werden. Kunstschaffende gaben die Anspannung dieser Menschen wieder, suchten deren Ohnmacht und Angst auszudrücken und vermittelten die Leere, die nach deren Deportation im Ghetto zurückblieb.

Neben den dokumentarischen Arbeiten sind auch viele Bilder von Insassen überliefert, die in ihrer künstlerischen Tätigkeit gerade nicht die tatsächliche, erschreckende Umgebung wahrzunehmen und darzustellen suchten. So bot die Kunst die Möglichkeit einer inneren Flucht, eines Sich-Sammelns und Orientierens.

Bedřich Lederer: In der Zelle, 1945, Gedenkstätte Theresienstadt

Eli Lev, PT 9692

Bedřich Lederer: In der Zelle, 1945, Gedenkstätte Theresienstadt

Unter dem NS-Terror bedeutete Kunst ein Mittel der Selbstbehauptung, das von den Häftlingen den Demütigungen und der Gewalt der SS entgegengehalten wurde. Kunst und Kultur waren Widerstand und geistiges Überlebensmittel: „Kunst war unsere Lebensenergie. [...] Das heißt, unsere Kultur [...] war unser Lebensraum. Woher kam die Energie? Von dem Bewusstsein, dass die Form, in der wir lebten, die Lebensform wichtig wäre, nicht das System, unter welchem wir lebten. Und ich glaube, dass dies uns erlaubte, weiterhin zu schaffen, Musik, Zeichnen. Hungrig, ja, Schmerzen, ja, Gewalt ja, aber das Leben ist im Geist, nicht in der Physik“, so der heute in New York lebende Maler Frederick Terna, ein Überlebender des Ghettos Theresienstadt.

Literaturauswahl

H. G. Adler, Thersienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Göttingen 2005 [1955].
Institut Theresienstädter Initiative, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Theresienstädter Gedenkbuch. Österreichische Jüdinnen und Juden in Theresienstadt 1942–45, Prag 2005.
Gedenkstätte Theresienstadt (Hg.), Kultur gegen den Tod, Buch zur Dauerausstellungen der Gedenkstätte Theresienstadt in der ehemaligen Magdeburger Kaserne, Prag 2002.

Mehr zum Thema Nationalsozialismus: