90 Jahre Stadtfilmgeschichte online

Aus historischen Filmaufnahmen kann man einiges über eine Stadt erfahren. Ein Forschungsprojekt hat Filme aus europäischen Städten digitalisiert, auch aus Wien. Damit werden rund 90 Jahre europäische Film- und Stadtgeschichte sicht- und vergleichbar.

Verkehrschaos auf der Opernkreuzung in Wien. Dutzende Fußgänger bewegen sich über die Kreuzung vor der Wiener Staatsoper, und durchkreuzen den Auto-, Moped- und Schienenverkehr. Unterdes springen Polizisten in die Kreuzung und versuchen verzweifelt, den Verkehr zu regeln. Es ist ein Werbefilm der Stadt Wien aus dem Jahr 1957, gedreht von der Austria Wochenschau. Der Film soll den Spatenstich für die Opern-Passage ankündigen, der die Fußgänger zum Teil unter die Straße umleitete.

Die Wiener Opernkreuzung - 6 Filme, 1896-1957 (Kompilation) Copyright: Österreichisches Filmmuseum und Wiener Stadt- und Landesarchiv

Wie es dazu kam? Auch das ist auf der Online-Plattform von "I Media Cities“ nachzuvollziehen. Für science.ORF.at wurden einige Aufnahmen in einem Film zusammengefasst. Dieser zeigt die Entwicklung der Opernkreuzung seit dem Jahr 1896. Auch damals schon war der Platz ein Hotspot, wenngleich noch Kutschen und Fahrräder durch das Bild fuhren und alles einem gemächlicheren Tempo folgte. „Zehn Jahre später - aus dem Jahr 1906 - gibt´s einen Film der Pathé Brüder, in dem die Kamera mobil wird. Man sieht auch, wie die Pferdetramway bereits verdrängt wurde durch zum Teil elektrifizierte Straßenbahnen und wie der Verkehr weiter zugenommen hat“, erklärt der Historiker Ingo Zechner vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft. In der nächsten Sequenz aus den 1930er Jahren fahren dann bereits die ersten Autos in Wien. Abgesehen davon zeigt der Zusammenschnitt auch den Leichenzug Karl Renners 1951 und ein antisemitisches Plakat vor der Oper aus dem Jahr 1938.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch das Mittagsjournal am 14.12.

Veranstaltungshinweis

Von 13.-14.12. sind die Projektpartner von „I Media Cities“ in Wien auf der Konferenz „Mapping City FilmsKonferenz und Filmpräsentation“ zu Gast. Veranstaltet vom Österreichischen Filmmuseum und dem Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft.

Insgesamt 80 Filme aus Wien haben der Forscher und seine Kollegen analysiert und für das I-Media-Cities-Projekt digitalisiert. Dasselbe machten Historiker, Filmarchive und Techniker in acht weiteren europäischen Städten - darunter Bologna, Brüssel, Frankfurt, Kopenhagen und Stockholm. Die in Summe 1.200 Stadtfilme mit Aufnahmen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre werden demnächst auf die Homepage imediacities.eu gestellt. Hier kann man sie mit Schlagworten durchsuchen. „Es ist eine Datenbank im Hintergrund, die es dann erlaubt, nach bestimmten Stichworten nach bestimmten Orten und Ereignissen zu suchen und die entsprechenden Bilder aufzurufen.“

Frauenautorennen auf der Hauptallee

Wer etwa „Auto“, „Wien“ und „Prater“ eingibt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf ein Frauenautorennen aus dem Jahr 1923 in der Prater Hauptallee stoßen. Veranstaltet wurde das Rennen von der „Wiener motorsportlichen Herrenfahrer-Vereinigung“, erklärt der Medienwissenschaftler Vrääth Öhner vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft. Es war das erste und vermutlich auch letzte Rennen mit weiblicher Beteiligung. Das lässt zumindest ein Artikel in der „Allgemeinen Automobilzeitung“ vom 15.11.1923 vermuten. „Zwei Wochen nach dem Rennen spricht diese sich nämlich dafür aus, den Motorsport aufgrund seiner Gefährlichkeit dem „starken Geschlecht“ zu überlassen.“ Die Höchstgeschwindigkeit von 140 Kilometer pro Stunde erreichte übrigens Olga Frühwald. Sie brauchte für die Strecke der Hauptallee 54 Sekunden.

„Das Rennen der Damen, 1923“ Copyright: Österreichisches Filmmuseum

Vorerst wird die Suche nur auf Englisch möglich sein, später sollen auch andere Sprachen wie Deutsch hinzukommen, so Zechner. Möglich machte die umfangreiche wie detaillierte Suche letztendlich aber nicht nur die genaue Filmanalyse und Recherche der Forscherinnen und Forscher, sondern auch ein eigens entwickeltes Programm, mit dem die Filme automatisch nach Menschen, Fahrzeugen und anderen „Gegenständen“ durchsucht wurden. „Der Einsatz von automatisierten Verfahren erlaubt es, dass man einen schnelleren und einfacheren Zugriff auf Bildmaterialien aus einer großen Menge an Filmen bekommt“, erläutert der Historiker.

Solche Beschreibungen sowie Hinweise, vom wem die jeweilige Aufnahme stammt, werden während des Abspielens der Videos wie ein Quasi-Untertitel am Rande angezeigt. Soweit diese Details zumindest bekannt sind. Denn die Filmaufnahmen stammen größtenteils aus Archiven, wie etwa dem Österreichischen Filmmuseum und dem Wiener Stadt- und Landesarchiv. Damit beinhalten sie neben professionellen Aufnahmen auch Amateurfilme, die etwa bei Familienausflügen gedreht oder von Touristen aufgenommen wurden. „Das Ziel des Projektes ist es, Filme, die normalerweise nur in Archiven für Profis zugänglich sind, einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und der Öffentlichkeit auch die Mittel in die Hand zu geben, die Filme damit selbst zu untersuchen.“

Auch haben interessierte Bürger sowie Forscherinnen die Möglichkeit, die Filme mit weiteren Informationen zu ergänzen, erklärt Zechner. Voraussichtlich Ende des Jahres werden die Filme auf der Homepage veröffentlicht. Sich über das EU-Projekt informieren kann man sich dort schon jetzt.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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