Fruchtfliegen überleben ohne Schlaf

Manchen reichen ein paar Stunden, andere tun fast nichts anderes. Fix ist: Alle Tiere schlafen. Ist Schlaf deshalb lebensnotwendig? Nicht unbedingt, meinen nun Forscher: Zumindest Fruchtfliegen können auch gut ohne auskommen.

Während Giraffen mit knapp zwei Stunden auskommen, schlafen Faultiere fast den ganzen Tag, nämlich 15 bis 20 Stunden. Delfine schlafen hingegen immer nur mit einer Gehirnhälfte und wechseln alle ein bis zwei Stunden die Seiten. Insgesamt schlafen sie ähnlich lang wie Menschen, die mit ihren durchschnittlich sechs bis acht Stunden in der Mitte liegen. Bei vielen Arten gibt es zudem Individuen, die mit sehr wenig Schlaf auskommen, andere brauchen hingegen übermäßig viel. So unterschiedlich Schlafdauer und -gewohnheiten auch sein mögen - alle Tiere schlafen. Experten sind sich daher weitgehend einig: Schlaf ist biologisch notwendig, also genauso wichtig wie etwa Essen.

Ein junges gähnendes Faultier

RAUL ARBOLEDA / AFP

Ein junges gähnendes Faultier

Ob das wirklich der Fall ist, lässt sich laut den Forschern um Quentin Geissmann vom Imperial College London nur sehr schwer verifizieren. Dafür müsste man nämlich eine fundamentale Frage eindeutig beantworten: „Kann ein Tier ohne Schlaf überleben?“ Das klingt brutal und ist es mitunter auch, wie die wenigen in der Vergangenheit durchgeführten Experimente zur Klärung der Frage verdeutlichen.

Grausame Tierversuche

Schon Ende des 19. Jahrhunderts hielt etwa die russische Forscherin Maria Mikhaïlovna Manasseina Hundewelpen durch Daueraktivität vom Schlafen ab. Die Tiere verstarben nach wenigen Tagen. Dass dauerhafter Schlafentzug wahrscheinlich zum Tod führt, unterstrich auch eine weitere eher qualvolle Studie an Ratten aus den 1980ern. Der US-Schlafforscher Allan Rechtschaffen platzierte die Tiere dafür auf einer von Wasser umgebene Drehscheibe. Sobald sie im Begriff waren einzuschlafen, setzte sich die Scheibe in Bewegung. Nur durch Laufen konnten sich die Nager vor dem Wasser retten. Nach zwei, drei Wochen waren sie tot.

Die einzigen Tiere, die Schlafentzug bis jetzt mehr oder weniger schadlos überstanden bzw. überlebt haben, sind Tauben, schreiben die Autoren um Geissmann in ihrer aktuellen Studie. In allen anderen Fällen sei aber nach wie vor unklar, ob es tatsächlich der Schlafmangel war, der bei den Versuchen zum Tod der armen Kreaturen führte. Der könnte nämlich genauso gut eine Folge der belastenden experimentellen Interventionen gewesen sein, wie Kritiker schon früher anmerkten. Um einen derartigen Fehlbefund zu vermeiden, versuchten die britischen Forscher ihre aktuellen Experimente mit der Fruchtfliege Drosophila melanogaster möglichst schonend anzulegen.

Männchen schlafen doppelt so lange

Zuallererst galt es zu klären, wie viel der Modellorganismus (etwa 60 Prozent der Fliegengene kommen beim Menschen in ähnlicher Form vor, Anm.) eigentlich schläft. Dafür wurden 881 Weibchen und 485 Männchen mit Videotracking rund um die Uhr überwacht. Das durch maschinelles Lernen unterstützte System erkennt selbst kleinste Bewegungen, z.B. beim Eierlegen oder beim Fressen.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 21.2., 13:55 Uhr.

Wie erwartet war die Schlafdauer sehr unterschiedlich, bei den weiblichen Tieren waren es knapp 300 Minuten am Tag, bei den männlichen mehr als 600. Bei den Weibchen fanden sich zudem zahlreiche Kurzschläferinnen: Etwa die Hälfte verschlief weniger als ein Fünftel des Tages; bei sechs Prozent waren es noch weniger, nämlich etwas mehr als eine Stunde. Die drei Negativ-Rekordhalterinnen schliefen sogar nur 15, 14 und vier Minuten am Tag. Zusätzliche Analysen ergaben, dass jene Tiere, die von Natur aus eher wenig schlafen, nicht - wie man erwarten könnte - früher sterben, und Langschläfer auf der anderen Seite nicht länger leben.

Schlaflos ohne Folgen

Dass manche Individuen offenbar fast ohne Schlaf auskamen, hat die Forscher jedenfalls einigermaßen überrascht. Ob es sich dabei um einzelne Ausreißer handelt oder ob im Prinzip jede Fruchtfliege mit wenig oder ohne Schlaf zurechtkommen könnte, wurde in einem weiteren Experiment untersucht: Dafür musste die Tiere ihr gesamtes Leben in kleinen Röhren verbringen. Sobald die mehr als 20 Sekunden keine Vibrationen mehr von sich gaben, wurden sie gedreht.

Animation zu den Studienergebnissen

Tatsächlich schliefen die Tiere fast nicht mehr; auf die Lebenserwartung von etwa 40 Tagen wirkte sich der dauerhafte Schlafentzug allerdings kaum aus. Die Männchen lebten statistisch annähernd gleich lang wie ein unbeeinträchtigte Kontrollgruppe. Die Weibchen verloren im Schnitt dreieinhalb Tage ihrer Lebenszeit.

Nützlicher Schlaf

Zumindest bei Fruchtfliegen dürfte Schlaf also nicht unbedingt lebensnotwendig sein, schreiben die Forscher. Natürlich müsse man die Ergebnisse mit Vorsicht interpretieren. Sicher ist, dass Schlafentzug gravierende Folgen nach sich zieht, körperlich und psychisch. Unter anderem schwächt er das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Reflexe. In einer weniger „behüteten“ Umgebung wären die Überlebenschancen der Fliegen allein dadurch schon gesunken. Für Menschen, die ein Auto lenken, könne Schlafentzug so ebenfalls zur tödlichen Gefahr werden. Eine andere Erklärung der Forscher: In Summe haben die Tiere zwar nicht sehr viel geschlafen, aber häufiger Sekundenschlaf könnte auch ausreichen, um zu überleben.

Dass Schlaf jedenfalls für Tiere wie Menschen sehr hilfreich und gesund ist, steht für die Forscher außer Zweifel. Körper wie Geist erholen sich dabei, und noch ist sein vielfältiger Nutzen bei Weitem nicht restlos geklärt. Aber - und das legen die Ergebnisse der neue Studie nahe - vielleicht ist er weniger essenziell als gemeinhin angenommen, wie Studienautor Giorgio Gilestro in einer Ausendung erklärt, anhand eines Vergleichs mit Lebensmitteln: „Es gibt Kalorien, die unverzichtbar sind, die uns am Leben halten, und Kalorien, die nützlich sind. Sie sorgen dafür, dass wir gut funktionieren. Vielleicht ist Schlaf nur nützlich. Ohne ihn würde wir zwar nicht sehr gut funktionieren, aber auch nicht gleich sterben.“

Eva Obermüller, science.ORF.at

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