Mehr Hausärzte, höhere Lebenserwartung

Eine Studie der renommiertesten US-Medizinuniversitäten zeigt: Zehn Hausärzte mehr pro 100.000 Einwohnern führen zu einer Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung der Bevölkerung um 51,5 Tage pro Person. Zehn Fachärzte mehr bringen 19,2 Tage.

Die Studie ist Anfang der Woche in „JAMA Internal Medicine“ publiziert worden. Die Wissenschaftler der Stanford University School of Medicine und der Harvard Medical School haben Stand und Entwicklung der Ärzteverteilung sowie die Mortalität zwischen den Jahren 2005 und 2015 analysiert. Das erfolgte für 3.142 US-Regionalbezirke und umfasste 7.144 Regionen für ärztliche Primärversorgung und 306 Versorgungsbezirke für Kliniken.

„Die Zahl der Hausärzte stieg von 196.014 im Jahr 2005 auf 204.419 im Jahr 2015. Wegen eines überproportionalen Verlusts an praktischen Ärzten in einigen Bezirken und des Bevölkerungswachstums nahm aber die Dichte der Hausärzte von 46,6 pro 100.000 Einwohner auf 41,4 je 100.000 Einwohner ab. Größere Verluste gab es vor allem in ländlichen Regionen“, schreiben die Wissenschaftler. Auch in Österreich wird zunehmend ein Mangel an Hausärzten mit Kassenvertrag, speziell von Landärzten, beklagt.

Viele Stellen unbesetzt

Die Auswirkungen einer besser funktionierenden medizinischen Primärversorgung durch versorgungswirksame niedergelassene Hausärzte konnte durch die wissenschaftliche Untersuchung eindeutig belegt werden. Eine bessere hausärztliche Versorgung brachte auch eine Reduktion der Mortalität bei den größten „Killer-Erkrankungen“ in entwickelten Industriestaaten mit sich. „Zehn Hausärzte mehr je 100.000 Einwohner verringerte die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 0,9 Prozentpunkte, durch Krebs um einen Prozentpunkt und durch Erkrankungen der Atemwege (z.B. COPD) um 1,4 Prozentpunkte.“ In Österreich ist Krebs mit einem Anteil von 25 Prozent die zweithäufigste Sterbeursache nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit 41 Prozent.

In Österreich sind Hausarztposten mit Kassenvertrag - also vorrangig Ordinationen, welche die Primärversorgung gewährleisten - in einem immer größeren Umfang unbesetzt. Florian Stigler von der Meduni Graz verweist darauf, dass es in Österreich derzeit 87 nicht nachbesetzte Allgemeinmediziner-Kassenstellen gibt. Das sind zwar nur 2,3 Prozent, aber es bedeutet, dass 200.000 Personen eigentlich unversorgt sind. Von den 18.287 niedergelassenen Ärzten erreichen in zehn Jahren 48 Prozent das Pensionsalter, von den 7.099 Ärzten mit Kassenvertrag sogar 55 Prozent. 39 Prozent aller Hausärzte sind älter als 60 Jahre, nur acht Prozent unter 45.

Ähnliche Hausarztdichte

„Wir liegen in Österreich bei der Hausärztedichte ähnlich wie die USA mit einem Wert von etwa 40 pro 100.000 Einwohner“, sagt Stigler gegenüber der APA. Während die Zahl der Ärzte zwischen 1960 und 2014 von rund 12.500 auf rund 44.500 gestiegen sei, wäre die Zahl der Hausärzte mit rund 3.800 in etwa gleich geblieben. „Dabei ist die Bevölkerung laut Statistik Austria um 24 Prozent gewachsen, wir haben (im Vergleich zu 1960; Anm.) um 84 Prozent mehr über 65-Jährige“, betont Stigler.

Der Grazer Experte hat mehrere Maßnahmen parat, mit denen das Hausärztedefizit verringert werden könnte: Der Kontakt mit der Hausarztmedizin im Studium sollte früher und häufiger erfolgen. Die Institute für Allgemeinmedizin müssten an allen medizinischen Universitäten gestärkt werden. „Die Rolle des Hausarztes im Gesundheitssystem muss überdacht werden. Die Einführung des ‚Vertrauensarzt-Modells‘, bei dem man zuerst zum eigenen Hausarzt und nicht gleich in die Spitalsambulanz geht, wäre eine Reformoption. Die Finanzierung von Hausärzten müsste von der Einzelleistungshonorierung auf die international geforderte Kopfpauschale modernisiert werden.“ Dadurch würde vermehrte Qualität und weniger die Geschwindigkeit des „Durchsatzes“ an Patienten belohnt werden.

Die aktuelle Primärversorgungsreform mit der Einführung von interdisziplinären Hausarztzentren in Österreich gehe in eine gute Richtung. Aber die Reform müsse qualitativ hochwertig und auch möglichst rasch umgesetzt werden.

science.ORF.at/APA

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