Wie Medikamente das Mikrobiom beeinflussen

In und auf Menschen leben mehr Bakterien, als der Körper Zellen hat. Dieses Mikrobiom beeinflusst den Stoffwechsel, das Immunsystem und das Gemüt. Doch die Bakteriengemeinschaft verarmt zusehends - verantwortlich dafür sind Lebensstil und zahlreiche Medikamente.

Im Mittelpunkt der Mikrobiomforschung steht die Bakteriengemeinschaft im menschlichen Darm: Dort erledigen die vielen verschiedenen Mikrobenarten allerlei Aufgaben für den Menschen, von der Verdauung angefangen bis zur Produktion des „Glückshormons“ Serotonin. Doch die Forschung zeigt, dass das Darmmikrobiom von Menschen, die in westlichen Industriegesellschaften leben, zusehends verarmt.

Ö1 Sendungshinweise:

Der Frage, wie Medikamente das Mikrobiom beeinflussen, widmen sich auch Wissen Aktuell, am 28.03. um 13.55 Uhr, und die Dimensionen, um 19.05 Uhr.

Viele Medikamente wie Antibiotika

Dass Antibiotika schlecht für das Mikrobiom sein können, kennen viele Menschen aus eigener Erfahrung. Denn die meisten Antibiotika greifen alle möglichen Bakterien an, nicht nur Krankheitserreger, sondern auch nützliche Darmbakterien. Die Folgen sind mitunter Übelkeit, Bauchzwicken und Durchfall. Und für das Mikrobiom bedeutet dieser Angriff, kurzfristig einen Teil seiner alteingesessenen Mitbewohner zu verlieren und deswegen nicht mehr richtig zu funktionieren.

Mittlerweile weiß man, dass nicht nur Antibiotika auf diese Weise wirken. Eine 2018 in „Nature“ erschienene Studie des European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg zeigte, dass eine Vielzahl von Medikamenten einen ganz ähnlichen Effekt auf das Darmmikrobiom haben. Das Team testete die Wirkung von 1.000 Medikamenten an 40 weit verbreiteten Darmbakterien und kam zu dem Ergebnis, dass 27 Prozent der Wirkstoffe eine antibiotikaähnliche Wirkung auf das Mikrobiom haben und letztlich auch Antibiotikaresistenzen befördern könnten.

Ökosystem im Darm verarmt

Zu diesen 27 Prozent gehören Protonenpumpenhemmer, die als Magenschutz, bei Sodbrennen und Gastritis verschrieben werden, und etliche Antipsychotika, wie Antidepressiva. Für die Mikrobiomforscherin Jillian Petersen von der Universität Wien ist die Studie ein weiterer Hinweis auf das komplexe Zusammenspiel von Mensch, Darmmikrobiom und Medikamenten. Das Problem sei jedoch, dass die Wissenschaft längst nicht alle Bakterienarten kenne.

„Vor ein paar Wochen gab es schon wieder eine neue Studie, in der 2.000 neue Menschendarmbakterienarten beschrieben wurden, die wir davor nicht kannten“, so Petersen. Die Diversität dieser Bakteriengemeinschaften aufzuschlüsseln, sei nach wie vor eine Herausforderung. Und eine Definition eines idealen Mikrobioms gebe es ebenfalls nicht.

Wie ein mikrobieller Fingerabdruck

Denn jeder Mensch hat ein anderes Darmmikrobiom, das sich aus mehreren hundert, vielleicht tausend Bakterienarten zusammensetzt. Während sich bei Menschen 99,9 Prozent des Genoms überschneiden, sind es beim Mikrobiom gerade einmal zehn Prozent. Die Bakteriengemeinschaft ist wie ein mikrobieller Fingerabdruck und jeder Mensch hat seinen eigenen. Und auch wenn sich die Zusammensetzung der Darmbakterien von zwei Menschen stark unterscheidet, können beide gesund sein.

Was die Wissenschaft jedoch auch beobachtet, ist dass dieser mikrobielle Fingerabdruck zusehends verarmt. Einige Bakterienarten könnten bereits verschwunden sein. Das Menschen in modernen Industriegesellschaften immer weniger Bakterienarten im Darm haben, könnte am breiten Einsatz von Medikamenten liegen. „Und wenn wir Bakterienarten einmal verloren haben, können wir sie nicht auf die nächste Generation übertragen und den nächsten Generationen gelingt es auch nicht, sie aus der Umwelt wieder aufzunehmen“, so Petersen.

Erklärung für Volkskrankheiten

Was das für die Gesundheit der Menschen bedeutet, ist allerdings noch nicht klar. Ein Vermutung ist, dass die Abnahme der Bakterienvielfalt wiederum die Zunahme einiger Volkskrankheiten wie Übergewicht oder Diabetes herbeiführte, sowie das vermehrte Auftreten von Allergien und Asthma und einen Anstieg bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Reizdarm, Morbus Crohn oder sogar Darmkrebs.

Deswegen arbeiten einige Mikrobiomforscherinnen und -forscher daran, besonders nützliche Darmbakterien zu identifizieren und vielleicht zukünftig als Medikamente zu nützen. Fäkaltransplantation würden in den USA bereits standardisiert eingesetzt, sagt David Berry vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien. „Dort gibt es eine Stuhlbank, vergleichbar mit einer Organbank, für die gesunde Freiwillige ihren Stuhl spenden“, so Berry. Der Einsatz der Präparate ist von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen.

Gesunder Stuhl als Heilmittel

Solche Fäkaltransplantation kommen vor allem bei Infektionen mit dem Krankheitserreger Clostridium difficile zum Einsatz, ein typischer Krankenhauskeim. Nach einer Antibiotikabehandlung nützen die Erreger das Zeitfenster von ein bis zwei Monaten, in denen sich das Darmmikrobiom erholt, und verbreiten sich im Darm. Die Folgen sind eine Darmentzündung und Durchfall.

Bei einer Infektion mit C. diff. werden meist wieder Antibiotika verschrieben, was mitunter zu einem Teufelskreis wiederkehrender Infektionen führt. Fäkaltransplantation seien hier viel erfolgreicher, so Berry. „Platziert man nützliche Konkurrenten im Darm, verdrängen sie die pathogenen Bakterien“, sagt der Mikrobiomforscher.

Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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