Erfolgreich durch Selbstüberschätzung

Vieles ist einem schon in die Wiege gelegt: Die Herkunft entscheidet, wie gesund, reich und einflussreich man später ist. Ein Grund für diese soziale Vererbung ist laut Forschern die Selbstüberschätzung der Eliten.

Wer mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund geboren wird, profitiert oft ein Leben lang davon. Sozial besser gestellte Kinder sind später gesünder und leben mitunter länger. Außerdem sind im Wohlstand geborene Menschen als Erwachsene nicht selten selbst reich und einflussreich. Oft besuchen sie elitäre Schulen, deren Abgänger später die besten und wichtigsten Jobs ergattern.

Das gilt in den allermeisten westlichen Gesellschaften. In Österreich wird insbesondere die Bildung vererbt. Aber sogar in den USA wird der Status von einer Generation an die nächste weitergegeben, wie die Autoren um Peter Belmi von der University of Virginia in ihrer soeben erschienenen Studie schreiben. Dabei zählt die soziale Mobilität – Stichwort „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ – dort eigentlich zum nationalen Selbstverständnis.

Selbstüberschätzung mit Außenwirkung

Wie Belmi und seine Kollegen schreiben, hat es neben strukturellen auch psychologische Gründe, warum sich die sozialen Unterschiede so hartnäckig weitervererben. Frühere Studien hätten bereits gezeigt, dass besser gestellte Menschen eine höhere Selbstachtung bzw. ein positiveres Bild von sich haben und meinen, ihr Leben selbst in der Hand zu haben. Es gebe auch Hinweise, dass sie sich dabei manchmal auch etwas überschätzen und sich mitunter für besser halten, als sie es tatsächlich sind. Als Beispiel nennen die Autoren einen Schüler, der glaubt, alle Testfragen richtig zu haben, obwohl es nur die Hälfte ist; oder einen, der glaubt, zu den Besten der Klasse zu gehören, obwohl er in Wahrheit nur Durchschnitt ist.

Eine solche Selbstüberschätzung könne erhebliche soziale Vorteile nach sich ziehen. Denn nicht selten hält auch das Umfeld diese Menschen für kompetenter, als sie es eigentlich sind. In Gruppen ergreifen sie eher das Wort, sprechen mit fester Stimme und bleiben dabei ruhig und entspannt. Das beeindruckt auch die Zuhörer, schreiben die Autoren. Dabei zeigen Studien, dass es sich tatsächlich oft um mehr Schein als Sein handelt. Denn die kompetentesten Menschen verhalten sich in solchen Situationen meist zurückhaltender. Nichtsdestotrotz verschafft die Selbstüberschätzung in vielen Fällen Karrierevorteile.

Kompetenter Anschein

Überprüft haben die Forscher den Zusammenhang nun in vier Teilstudien. Im Mittelpunkt der ersten standen 150.000 Kleinunternehmer aus Mexiko, die einen Kredit wollten. Um den sozialen Status zu messen, wurden unter anderem das Einkommen und der höchste Schulabschluss abgefragt. Außerdem mussten die Teilnehmer psychologische Tests absolvieren - angeblich, um ihre Kreditwürdigkeit einzuschätzen. Unter anderem mussten sie bei blitzschnell hintereinander gezeigten Karten entscheiden, ob diese identisch waren. Danach mussten sie selbst beurteilen, wie gut sie bei diesem Gedächtnistest abgeschnitten hatten. Tatsächlich überschätzten die sozial besser gestellten Probanden dabei viel häufiger ihre Leistung als ihre weniger gut situierten Konkurrenten.

Zwei weitere Untersuchungen mit ca. 1.400 Online-Teilnehmern kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass soziale Besserstellung dazu führt, die eigene Leistung zu überschätzen. In der vierten und letzten Studie wurde die Einschätzung der eigenen Leistungen von knapp 240 Studenten erhoben und außerdem deren Außenwirkung überprüft, bei einem vermeintlichen Vorstellungsgespräch. 900 unabhängige Beobachter durften die Kompetenz der Bewerber bewerten. Erneut gab es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Sozialstatus und Selbsteinschätzung. Und die unbeteiligten Zuseher hatten - wie von den Forschern vermutet – die Selbstüberschätzung tatsächlich häufig als Kompetenz gedeutet.

Psychologische „Klassenunterschiede“

Diese psychologischen „Klassenunterschiede“ könnten den vermittelten Werten geschuldet sein, wie Belmi und seine Kollegen ausführen. Das Selbstbild hänge von der Herkunft ab. Kindern aus der Mittel- und Oberschicht werde beigebracht, sich besser darzustellen, als man eigentlich ist, z.B. in Vorstellungsgesprächen. Sie sollen möglichst ihre Gefühle, Meinungen und Ideen ausdrücken, auch wenn sie kein spezielles Wissen zu einem Thema haben. Sozial schwächere Menschen hingegen lernen von klein auf, Autoritäten bzw. ihren Platz in der Rangordnung zu achten und sich nicht zu verstellen.

Die Studie zeige, dass sich nicht alle Menschen selbst überschätzen – wie das oft angenommen wird. Vielmehr sei eine falsche Selbsteinschätzung auch eine Frage des sozialen Status. Um die Ungleichheit zu bekämpfen, sollte man womöglich mehr auf subtile anerzogene Tendenzen achten.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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