Wie Tiere zu Automaten werden

Seit Urzeiten nutzt der Mensch Tiere, etwa um Lasten zu transportieren. Seit gut 200 Jahren aber dressiert er sie. Wie die Tiere dabei zu Maschinen werden, beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Fiona Faßler in einem Gastbeitrag.

Das Tier auf der Abbildung (unten) ist Hendini – Hendini die Henne. Hendini sitzt in einem Käfig. Sie sitzt jedoch in keinem normalen Käfig. Kein Käfig, wo die meisten ihrer Artgenossen ihr kurzes Leben fristen, bevor sie geschlachtet und weiterverarbeitet werden. Dieser Käfig von Hendini ist eine Bühne. Hendini war ein Star.

Illustration von Hendini – The Quiz Chicken

Robert E. Bailey / University of Central Arkansas

Illustration von Hendini – The Quiz Chicken

Dort, wo ihre Geschichte begann, im IQ-Zoo (1955–90) der Behavioristen Marian & Keller Breland, war sie sogar einer der beliebtesten Stars von allen. Schon allein in ihrem Namen hallt Großes nach. Ihr Namensvetter ist Harry Houdini (1874–1926), einer der bekanntesten Entfesselungskünstler seiner Zeit. Es ist sein magisches Erbe, das Hendini umhüllt. Auch von der Henne dürfte ähnliches zu erwarten sein. Man versprach, Hendini – The Quiz Chicken beantworte jede der ihr gestellten Fragen stets korrekt mit ja oder mit nein.

Ein noch größerer Erfolg war die Weiterentwicklung von Hendini zu Bird Brain. Als Bird Brain soll die Henne nicht mehr nur Fragen beantworten. Sie spielt auf einem Display an ihrem Käfig gegen das Publikum „Tic-Tac-Toe“. Und sie gewinnt dabei.

Der Name ist jedoch kein glanzvolles Vorzeichen. Im Gegenteil, er verweist auf die „dunkle Seite“ der Dressur. Bird Brain verkörpert zwei widersprüchliche Bedeutungen: (i) Ähnlich wie bei Hendini spielt der Name, übersetzt mit Vogelhirn, auf eine besondere Eigenheit an, ihre Intelligenz. (ii) Ebenso bedeutet Bird Brain aber auch Spatzenhirn. Das Tier wird also zeitgleich als „dumm“ bloßgestellt. Was heißt das nun?

Bird Brain aus dem IQ-Zoo

Robert E. Bailey / University of Central Arkansas

Bird Brain aus dem IQ-Zoo

Die Tiermaschine

Schaut man sich den Kasten an, in dem die Tiere sitzen, wird klar: Tatsächlich kann die Henne kein „Tic-Tac-Toe“ spielen. Ebenso wenig kann Hendini ein Quiz lösen. Es sind geschickte Inszenierungen, die diese Illusion erzeugen. Dahinter steckt ein Dressurakt, der über den Kasten, in dem sie sitzt, gesteuert wird. Die ausgewählten Fragen und gewählten Spielzüge des Publikums aktivieren einen eingebauten Computer. Dieser lässt eine von zwei versteckten Lampen im Kasten erleuchten. Das Tier ist so dressiert, dass es je nachdem entweder auf die eine oder andere Stelle pickt. Somit löst sie über den Computer die Antwort (ja oder nein, O oder X) und zudem den Mechanismus zur Futterbelohnung aus. Dann kann alles wieder neu beginnen.

Portätfoto von Fiona Fassler

IFK

Über die Autorin

Fiona Faßler studierte Kulturwissenschaft, Kunst und Biologie. Sie ist mit ihrem Projekt „Kulturgeschichte der Tierdressur der Moderne“ Promotionsstudentin an der Humboldt-Universität zu Berlin und derzeit Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK).

Diese Beobachtung über die Verbindung zwischen Kasten und Tier sagt etwas Zentrales über Dressur aus. Es geht nicht darum, das Tier zum Magier, zum Genie zu machen. Es geht darum, es so zuverlässig im Verhalten zu manipulieren, dass man mit ihm dieses Bild erschaffen kann. Dafür muss das Tier so dressiert werden, dass es „arbeitet“ wie eine Maschine. Es muss ein Teil der Mechanik des Schaukastens werden. Das ist, worauf Dressieren abzielt: Die Herstellung automatisierter Tiermaschinen.

Seit Beginn des Dressurzeitalters (ab dem 18. Jahrhundert) bezweckt Dressur genau das: Tiere sollen zwar auch mal auf der Bühne Kunststücke zeigen oder sich verhalten wie ein Mensch. Aber eigentlich sollen dressierte Tiere jederzeit und ohne Rücksicht auf Verluste militärisch, unterhaltsam und wissenschaftlich eingesetzt werden. Ob als Teil der automatisierten Dressurnummern im Schaukasten, ob als Spion im Krieg, ob als Testlebewesen für Experimente zur Optimierung von Lernverhalten, ob als Spiegel unserer selbst auf der Bühne.

Ein dressiertes "Sparschwein" aus dem IQ-Zoo

Robert E. Bailey / University of Central Arkansas

Ein dressiertes „Sparschwein“ aus dem IQ-Zoo

Was sagt die Dressurfaszination über uns Menschen?

Die Bereiche, für die dressierte Tiere gebraucht werden, und die vielen Varianten der Art, wie sie geformt werden, sagt nicht nur etwas über Tiere aus. Es sagt etwas über uns Menschen. Während seit der Antike Dressur der Ausbildung von Nutztieren zur Fortbewegung oder zum Lastentragen dient, kommt es im 18. Jahrhundert zu einem Bruch. Im Zuge der Industrialisierung werden Nutztiere nach und nach durch Maschinen ersetzt. Das schafft Raum für neue Beziehungen.

Veranstaltungshinweis:

Am 3.6. hält Fiona Faßler den Vortrag: “Über dreierlei Maus-Klicks in der Geschichte der Tierdressur“. Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuni Linz, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien. Zeit: 18.15 Uhr

Zudem revolutionierte sich unsere Gesellschaft. Was uns heute selbstverständlich erscheint, wurde damals erst entwickelt: öffentliche und staatlich kontrollierte Disziplinierungsanstalten wie Schule oder Militär. Kaum jemand konnte lesen oder rechnen. Die Schulpflicht wurde gerade erst eingeführt. Das Gleiche gilt für die Einführung der allgemeinen Wehrplicht, die es vorher ebenso wenig gab. Es wundert also nicht, dass etwa ein „buchstabierendes“ Tier eines der frühsten Tierstars war. Das Schwein Toby, das angeblich lesen und rechnen konnte, begeisterte das Publikum. Es setzte erstmals 1773 wie ein gelehriger und gut alphabetisierter Schüler jedes Wort korrekt zusammen. Toby illustriert, was eine gute Schulstube sein will. Dressur entsprach dem Zeitgeist.

Daher gilt: Die Geschichte der Tierdressur erzählt am Ende mehr über uns selbst als über das Tier. Was erzählt sie heute über uns? Entspricht Dressur noch immer unserem Zeitgeist? Hat sie weiterhin Konjunktur, etwa in Form von fernsteuerbaren Hybriden aus Tier und Computer?

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