NS-Verbrecher: Vor Gericht in ganz Europa

Hunderte Personen, die im Konzentrationslager Mauthausen Verbrechen begangen hatten, wurden später verurteilt. In ganz Mitteleuropa fanden die Verfahren statt. Jahrelang arbeitete ein Historiker an einer Gesamtdarstellung, die nun als Buch erschienen ist.

Im Mai 1945 befreiten US-amerikanische Truppen die Häftlinge im Konzentrationslager Mauthausen. Bald darauf standen die ersten Täter vor einem amerikanischen Gericht bei den berühmten Dachauer Prozessen. Auch in den Jahren danach fanden Gerichtsverfahren gegen NS-Täter aus Mauthausen statt – allerdings verteilt in ganz Mitteleuropa.

Mehr als 500 Personen wurden für ihre Verbrechen im Konzentrationslager Mauthausen angeklagt. Zwischen 1946 und Anfang der 1990er Jahre fanden Kriegsverbrecherprozesse von den Alliierten, und später von nationalen Behörden in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und Slowenien statt, so der Historiker Christian Rabl, Autor des Buches „Mauthausen vor Gericht“, das nun erstmals eine Gesamtdarstellung der Strafprozesse rund um Verbrechen in Mauthausen während der NS-Zeit bietet. In Österreich waren bis 1955 die Volksgerichte zuständig.

Viele Länder beteiligt

„Besonders bemerkenswert ist für mich die Erkenntnis, auf welch breiter internationaler Ebene diese Gerichtsverfahren stattgefunden haben“, so Christian Rabl. Der Öffentlichkeit bekannt waren im Zusammenhang mit Mauthausen bisher vor allem die Dachauer Prozesse und die österreichischen Volksgerichtsverfahren sowie einige wenige der in Westdeutschland geführten Verfahren. „Kaum bekannt war eben die Tatsache, dass es auch in Polen, in der Tschechoslowakei, in Slowenien, in der DDR beispielsweise auch eigene Verfahren gegeben hat“, so Rabl.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 12.6. um 12:00.

Der Politikwissenschaftler und Historiker hat nach jahrelanger Archivarbeit nun einen umfassenden Überblick über diese Verfahren vorgelegt. Das Buch „Mauthausen vor Gericht. Nachkriegsprozesse im internationalen Vergleich“ ist auf Basis seiner Dissertation entstanden. „Für mich ist es auch eine Erkenntnis, dass es in Summe eine ganz erhebliche Zahl an Personen gibt, die schuldig gesprochen wurden“, meint er. Wie hoch die Strafen angesetzt wurden, sei dann wieder eine andere Frage, aber „grundsätzlich gab es doch von verschiedenen Behörden und zu verschiedenen Zeiten immer wieder Bestrebungen, hier Recht zu sprechen“.

Meist milde Strafen

Rund 90 Prozent der 500 Verurteilten sind auch schuldig gesprochen worden. Rund 100 Personen wurden laut Rabl zum Tode verurteilt. Kam es zu Haftstrafen, seien diese allerdings fast immer drastisch verkürzt worden. Insbesondere in Deutschland und Österreich hatten die Täter nicht viel zu befürchten. „Auch aus politischen Gründen, weil die amerikanischen Behörden den Staat Deutschland als Verbündeten im Kalten Krieg gebraucht haben, auch das wird in der Studie beleuchtet“, so Christian Rabl.

„Opferländer“ besonders engagiert

Besonders engagiert in der Strafverfolgung ehemaliger NS-Verbrecher aus Mauthausen war ihm zufolge Polen, denn in Mauthausen gab es eine hohe Opferzahl polnischer Staatsbürger. Auch die Tschechoslowakei war sehr interessiert an der Verfolgung der Täter. „Allerdings hatten beide Länder kaum die Mittel, um vernünftige Verfahren zu führen beziehungsweise auch Ermittlungen durchzuführen und waren da sehr stark von den alliierten Behörden abhängig“, erklärt Christian Rabl.

Er listet in seinem Buch nicht nur hunderte Gerichtsverfahren gegen die Täter aus Mauthausen auf, sondern der Historiker stellt auch die Frage, wie es den aus der Haft entlassenen ehemaligen SS-Angehörigen in der Nachkriegszeit gegangen ist. Sein Fazit: „Die, so ist auch eine Kernthese der Studie, mussten eigentlich nie integriert werden oder reintegriert werden, weil sie nie außerhalb dieser österreichischen oder deutschen Gesellschaft gestanden sind.“ Das letzte Gerichtverfahren gegen einen Kriegsverbrecher aus Mauthausen fand in Österreich im Jahr 1975 statt und zwar gegen den SS-Mann und KZ Aufseher Johann Vinzenz Gogl. Es endete mit einem Freispruch.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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