Schlechtes Zeugnis für Bildungspolitik

Sozial benachteiligte Kinder werden zu wenig unterstützt, es fehlt an Mitteln für Integration - so beurteilen Fachleute die österreichische Bildungspolitik in einem neuen Bericht. Schlechte Noten bekommt auch das Schulsystem.

Am Freitag starten die ersten Bundesländer in die Sommerferien, die Zeugnisvergabe steht an. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Wien, Linz und Innsbruck zum Anlass genommen, die Bildungspolitik der vergangenen Regierung unter die Lupe zu nehmen und ebenfalls Noten zu vergeben. Die sechs Forscherinnen und Forscher aus den Bereichen der Soziologie und der Bildungs- und Erziehungswissenschaften konnten einige kleine Verbesserungen feststellen, die großen Probleme seien allerdings nach wie vor ungelöst.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal um 12.00 Uhr.

Frühe Aufteilung bleibt problematisch

Schlechte Noten gibt es beispielsweise für die baldige Aufteilung von Kindern auf Gymnasium und Mittelschule, denn die schadet sozial benachteiligten und schulisch leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern. Nach OECD-Untersuchungen führt diese frühe Trennung zu einer eingeschränkten Entwicklung der Kinder, heißt es in dem Bericht. In vielen OECD-Ländern erfolge die Aufteilung auf verschiedene Bildungswege erst mit 16 Jahren. In Folge würden viele Talente nicht entdeckt und gefördert und das sei nachteilig für die österreichische Volkswirtschaft.

Die einzige Verbesserung sieht der Soziologe Johann Bacher im Bereich der Bildungsarmut. Der Anteil jener Jugendlichen, die die Schule nur mit einem Pflichtschulabschluss oder ganz ohne Abschluss verlassen, ist zwischen 2010 und 2018 leicht zurückgegangen. Bacher hat zudem berechnet, dass auch ein bisschen mehr junge Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern Zugang zu einem Hochschulstudium haben. Entwicklungen, die frühere Regierungen angestoßen haben, die Reformen wurden aber unter der Schwarz-Blauen Regierung von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache fortgeführt.

„Integrationstopf“ fehlt den Schulen

Problematisch sei auch das Fehlen des sogenannten Integrationstopfes, der unter ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann abgeschafft wurde. Das habe Folgen für die Schülerinnen und Schüler, sagt der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien, der die Ergebnisse zusammengefasst hat. „Schule wirkt grundsätzlich so, dass sie Benachteiligungen in der Gesellschaft fortschreibt“, so Flecker. Werden Schülerinnen und Schüler gleich behandelt und ihre ungleichen sozialen Hintergründe nicht berücksichtigt, benachteilige man bestimmte Schülerinnen und Schüler, erklärt der Soziologe.

Letztlich sei es notwendig, den sozialen Hintergrund zu berücksichtigen – ansonsten stelle sich die Benachteiligung bestimmter Schülerinnen und Schüler automatisch ein, so der Soziologe. Die Mittel aus dem Integrationstopf waren anhand des sogenannten Chancenindex vergeben worden, der sich an der sozialen Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler einer Schule orientiert. Eine Strategie, die sich bewährt hatte, wie eine wissenschaftliche Evaluation des Soziologen Johann Bacher zeigen konnte. Jetzt werde vor allem kritisiert, dass wichtige Projekte in der Verbindung von Schule und Sozialarbeit ausgelaufen seien. „Und es fehlen wichtige Unterstützungen für die Schule in Form von zusätzlichen Stellen für Lehrerinnen und Lehrer“, sagt Flecker.

Keine Ergebnis für Deutschklassen

Zumindest ein Teil der Mittel aus dem Integrationstopf ist in die Finanzierung separater Deutschförderklassen geflossen. Eine Verbesserung zum vorhergehenden Modell konnte bis dato allerdings nicht gezeigt werden, wie die Bildungsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger von der Universität Innsbruck kritisiert. Ausgaben, die man besser an anderer Stelle getätigt hätte.

Eine Untersuchung an Neuen Mittelschulen in Wien, an der Veronika Wöhrer vom Institut für Soziologie der Universität Wien beteiligt ist, zeigt die Vorteile des Deutschlernens in gemeinsamen Klassen auf. Über 90% der Jugendlichen in den Neuen Mittelschulen in Wien sprächen miteinander Deutsch, obwohl fast die Hälfte zuhause eine andere Sprache verwende. „Das heißt, dass Deutsch unter den Jugendlichen in der Schule die Hauptsprache ist, sofern sie in eine gemischte Klasse gehen“, so Wöhrer.

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