Wissenschaft hinter Gittern

Wie interessiert man speziell junge Menschen für Wissenschaft? Das Weizmann-Institut in Israel ist in dieser Hinsicht ein Vorreiter. Forscher unterrichten dort etwa jugendliche Häftlinge – die so erfahren, wie wichtig klare Regeln sind.

„Wir sprechen mit allen, egal ob mit Sechsjährigen oder Menschen im Alter von 120 Jahren“, erklärt Daniel Zajfman, Direktor vom Weizmann-Institut für Wissenschaften (WIS) in Israel. Dabei scheuen sich die Forscher und Forscherinnen nicht davor, mit ihrer Wissenschaft an ungewöhnliche Orte zu gehen, wie beispielsweise ins Jugendgefängnis. Drei Jahre lang einmal die Woche unterrichten sie dort eine Gruppe von 15 Jugendlichen in naturwissenschaftlichen Fächern und Technologie.

Daniel Zajfman in Alpbach

ORF - Hans Leitner

Daniel Zajfman in Alpbach

Viele von ihnen haben die Schule abgebrochen, sind straffällig geworden und müssen ihre Haft absitzen, erzählt der Physiker Zajfman bei den Technologiegesprächen in Alpbach gegenüber science.ORF.at. Anders als in der Schule steht auf den Stundenplänen der Jugendlichen keine Theorie, sondern nur Praxis. „Wir machen mit ihnen Experimente und versuchen dann zu verstehen, was es bedeutet.“

Die meisten werden zwar keine Wissenschaftler, so Zajfman, aber sie werden Bürger, die selbstbewusst an der Gesellschaft teilnehmen können. „Wir bringen sie in eine Welt, wo es klare Regeln gibt. Befolgt man die Regeln beim Aufbau eines Experiments, funktioniert es, ansonsten nicht.“ Darüber hinaus lernen sie, wie man aus Fakten eine Schlussfolgerung ableitet, und nicht umgekehrt, die Fakten der gewünschten Schlussfolgerung anpasst. „Wir machen das seit zehn Jahren und sehen, dass es einen großen Effekt hat – es hat nichts mit Wissenschaft zu tun, es geht um die Kinder.“

Antworten auf: " Wozu brauche ich das?"

Das Weizmann-Institut für Wissenschaften gilt für viele Forschungseinrichtungen als Vorbild, wenn es darum geht, Menschen in die Welt der Wissenschaft einzubeziehen und dafür zu begeistern – auch in Österreich. So gibt es mittlerweile auch hierzulande Pub-Vorträge, in denen Forscher in lockerer Umgebung über ihre Forschung erzählen und Fragen beantworten. In Tel Aviv geht das Pub-Spektakel („Science on Tap“) bald in die zehnte Auflage, ganz nach dem Motto: „Scientists Talk, People learn, Everybody drinks“.

Technologiegespräche Alpbach

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

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Auch in den Schulen haben Zajfman und seine Kollegen zahlreiche Wege gefunden, die Forschung in die Klassenräume zu bringen. „Jeder lernt in der Schule Physik, Mathematik und Chemie. Viel davon ist aber nur Theorie, und das ist oft nicht sehr interessant für die Kinder.“ Zu selten würden sie dadurch eine Antwort auf die Frage bekommen: Wozu brauche ich das? Das zu ändern, ist das Ziel, so der Physiker.

Dabei gibt es vergleichsweise einfache Wege: Für etwa 15 Minuten schalten sich WIS-Forscher via Skype beispielsweise in den Klassenraum, erzählen, was sie machen und beantworten Fragen zu ihrem Beruf. Ein Beispiel wäre eine Chemikerin, die erzählt, wie sie an neuen Medikamenten forscht.

Begeisterung, kritisches Denken, mehr Studenten

Allgemein sei es das Ziel der WIS-Programme, Jung wie Alt für Wissenschaft zu begeistern und zu erklären, wie sehr die Forschung die Gesellschaft beeinflusst - vom Smartphone, Datentransfer bis hin zur Stammzellenforschung. „Es wird immer öfter vorkommen, dass Menschen entscheiden müssen, ob sie eine bestimmte Technologie wollen oder nicht - oder welche Regeln es für bestimmte Forschung geben soll. Diese Verantwortung liegt nicht bei den Forschern, sondern bei der Gesellschaft“, erklärt Zajfman.

Um etwa über die Forschung an embryonalen Stammzellen zu entscheiden, müsse man verstehen, was Stammzellen sind, was genau damit gemacht wird und welche Folgen das haben könnte. Eine Gesellschaft, die kritisch Denken und Begriffe wie Stammzellen und CRISPR Cas9 einordnen kann, ist aber nicht das alleinige Ziel, gesteht Zajfman.

„Natürlich wollen wir auch mehr junge Menschen dazu bringen, in die Forschung zu gehen. Hier gibt es einen großen Markt und viele Jobchancen – vor allem im Bereich der Technologie. Wohlhabende Länder sind nicht wohlhabend, weil sie viele Ressourcen in der Erde haben, sondern weil sie viele Ressourcen 1,70 Meter oberhalb der Erdoberfläche haben – das sind die Gehirne der Kinder.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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