Jüdische Flüchtlinge als Kulturpioniere

Zwischen 1938 und 1945 sind 15.000 Menschen vor dem NS-Regime nach Australien geflohen. Mindestens 2.600 kamen aus Österreich, vor allem aus Wien. Wie ein Historiker berichtet, hatten die meist jüdischen Auswanderer oft wenig Geld, aber Bildung und Pioniergeist.

Im Rahmen eines Schrödinger-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF hat Philipp Strobl dank der „ausgezeichneten Archivkultur“ Australiens aus vollständig erhaltenen Einbürgerungsakten, zahlreichen weiteren Quellen und Interviews die Biografien von 26 jüdischen Flüchtlingen nachgezeichnet.

Ende 2020 soll eine englischsprachige „Kollektivbiografie“ dieser Exilantinnen und Exilanten erscheinen, danach ist auch eine deutschsprachige Ausgabe geplant. Für Strobl, der derzeit am Institut für Geschichte an der Universität Hildesheim (Deutschland) arbeitet, sind die Erinnerungen der Vertriebenen vor allem Zeugnis für einen enormen Wissenstransfer in das dünn besiedelte Land, betont er den Nutzen der Zuwanderer für ihre neue Heimat.

Schwieriger Neustart

Australien hat seine bis dahin restriktive Einwanderungspolitik erst nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland für jüdische Flüchtlinge für drei Jahre vorübergehend gelockert. Aus dem deutschsprachigen Raum brachen damals rund 9.000 Menschen in die Ferne auf. Knapp 30 Prozent davon kamen aus Österreich, darunter galten neun von zehn nach dem nationalsozialistischen Rassegesetz als Juden, das Gros war allerdings nicht gläubig.

Die österreichischen Auswanderer - sie waren vorwiegend aus gutbürgerlichem Milieu, hochgebildet und nicht sehr religiös - siedelten sich vorwiegend an der Südküste in den Städten Melbourne und Sydney an und mussten dort unter schwierigsten Bedingungen neu durchstarten, wie Strobl gegenüber der APA schildert.

Ihre finanzielle Situation war wegen der „Reichsfluchtsteuer“ und der hohen Kosten der Überfahrt schwierig, für ihr Leben in Australien mussten sie selbst aufkommen. Teilweise erlebten sie auch antisemitische Anfeindungen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen.

Ärzte und Rechtsanwälte mussten sich erst neu qualifizieren und dafür vielfach wieder ein Studium beginnen, schildert Strobl. Noch dazu wurden vor allem höherwertige Jobs gerade zwischen 1938 und 1940 nach einer „Australian First policy“ vergeben, die wenigen Ausnahmen stießen auf massiven Widerstand in der Bevölkerung. Viele Zuwanderer mussten sich daher zunächst als Haushaltshilfen, Gärtner oder Kindermädchen durchschlagen, eine große Zahl machte sich aber auch mit kleinen Unternehmen wie Lebensmittel- oder Textilgesellschaften selbstständig.

„Kulturelles Vakuum“

Was die Neuankömmlinge in Australien teilweise vorfanden, beschrieben viele Ausgewanderte als „kulturelles Vakuum“. „Es gibt keine Architektur, die dieses Namens würdig wäre, kein professionelles Theater, die Kunstgalerien sind fürchterlich“, heißt es in den Aufzeichnungen der Kunsthistorikerin Gertrude Langer, die sich mit ihrem Mann, dem Architekten Karl Langer, 1939 im damals ländlichen und provinziellen Brisbane niedergelassen hat.

Anfangs konnte Langer trotz ihrer Expertise in Brisbane beruflich nicht Fuß fassen. Erst nachdem sie 1953 offizielle Kunstkritikerin der Tageszeitung „Brisbane Courier Mail“ wurde, konnte sie in der neuen Heimat einen Ruf als Kunstexpertin aufbauen und wurde schließlich zu einer der Wegbereiterinnen der modernen Kunst in Australien: „Dank ihrer Anstrengungen war das Brisbane, das sie 1984 verließ, ein ganz anderes Brisbane als jenes, in dem sie 1939 angekommen war“, zitiert Strobl Betty Churcher, die frühere Chefin der australischen Nationalgalerie.

Kultur und Wirtschaft

Ähnlich das Schicksal der Tänzerin und Choreografin Gertrud Bodenwieser, einst eine der Pionierinnen des modernen Ausdruckstanzes in Wien, die 1939 im Exil in Sydney ankam. In einem kleinen Studio entwickelte sie dort die australische Variante des Modern Dance und bildete einige von Australiens besten Choreografen und Tänzern aus.

Pionierleistungen gelangen österreichischen Zuwanderern auch im Wirtschaftsbereich. Alfred Wenkart konnte bereits 1943 eine Kleiderfabrik in New South Wales eröffnen. Die Familie brachte es bald zu großem Wohlstand, nahm - wie viele anderen Flüchtlinge aus Wien - auch sehr aktiv am Kulturleben teil und gründete 1976 die Wenkart Foundation zur Unterstützung der Künste und später auch der medizinischen Forschung.

Der 1938 in Sydney gelandete Wiener Versicherungsangestellten Karl Anton Schwarz, der seinen Namen schon bald aufCharles William Anton änderte, importierte wiederum höchst erfolgreich das System des Österreichischen Alpenvereins in die Australischen Alpen. Er baute durch Mitgliedschaften und Schutzhütten eine Infrastruktur auf, durch die der bis dahin nur in exklusiven Kreisen praktizierte Skisport und Tourismus nachhaltig verändert werden sollte.

science.ORF.at/APA

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