80 Jahre Atomzeitalter
Am 6. August 1945 warfen die USA eine Atombombe über Hiroshima ab. „Little Boy“, so der militärische Codename der Bombe, forderte 140.000 Menschenleben. Erst sechs Jahre zuvor hatten drei Wissenschaftler die Kernspaltung von Uran entdeckt und damit den Bau der Bombe möglich gemacht.
Die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann hatten den Zerfall eines Uranatoms künstlich herbeigeführt. Dass es sich dabei um eine Kernspaltung gehandelte hatte, konnte jedoch erst die Physikerin Lise Meitner erklären, die vor den Nazis ins schwedische Exil geflüchtet war.
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Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 17.12. um 13:55 Uhr.
Entscheidendes Experiment ohne Meitner
Die ersten Uranversuche hatten bereits 1934 am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie auf Meitners Initiative hin stattgefunden. Sie arbeitete gemeinsam mit Hahn daran, Uranatome mit Neutronen zu beschießen, um neue schwerere Transuranatome zu finden. Doch die Versuche blieben zunächst erfolglos.
Die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten verhinderte 1938 weitere gemeinsame Experimente. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland im März verlor Meitner ihren „Sonderstatus“ als österreichische Jüdin in Berlin. Die fast 60-Jährige musste aus Deutschland fliehen und konnte aus dem schwedischen Exil nur mehr per Brief mit Hahn und den Berliner Kollegen kommunizieren.
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Das Atomzeitalter beginnt
Hahn und Straßmann setzten die Experimente fort. Am 17. Dezember 1938 entdeckten sie, dass die Bestrahlung des Uranatoms nicht zu den erwarteten schwereren Atomen führte, sondern zu viel leichteren. Diese Ergebnisse übermittelte er schriftlich nach Schweden. Meitner gelang es gemeinsam mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Robert Frisch, die Kernspaltung zu beschreiben.
„Lise Meitner konnte genau erklären, dass dabei Masse verloren gegangen und Energie frei geworden war“, sagt der Wissenschaftshistoriker und Autor Ernst-Peter Fischer. Sie habe auch verstanden, dass es bei der Kernspaltung zu einer energiereichen Kettenreaktion komme.
Zerfällt der Kern, werden nicht nur kinetische Energie und intensive Strahlung frei, es entstehen außerdem zwei bis drei Neutronen, die wiederum andere Atomkerne treffen und spalten. Ein fortschreitender Zerfallsprozess, der in der Energiegewinnung, aber auch in Atomwaffen zum Einsatz kommt. Eine Entdeckung, die am Beginn des Atomzeitalters steht.
„Jüdische Mutter der Bombe“
Erkenntnisse, die in der Fachwelt diesseits und jenseits des Ozeans mit Experimenten überprüft wurden und schließlich zum Manhattan-Projekt und zur Entwicklung der Atombombe führten. US-Medien bezeichneten Meitner in Folge als „Jüdische Mutter der Bombe“. Eine Bezeichnung, mit der die protestantische Wissenschaftlerin, die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts, wenig anfangen konnte.
Sie sei durchaus enttäuscht gewesen, als „Mutter der Bombe“ bezeichnet zu werden, sagt Fischer. „Denn ihre Faszination galt der Wissenschaft, und die Atombombe ist ja nicht das Ergebnis der Arbeit von Wissenschaftlern, sondern von Staaten, die im Krieg lagen“, so der Wissenschaftshistoriker.
AP
Kein Nobelpreis für Meitner
Als Otto Hahn 1944 für die Entdeckung der Kernspaltung den Chemienobelpreis erhielt, war von Meitners Beitrag keine Rede. Was auch an den Physikkenntnissen der Jury gelegen hat. „Die Bewertung ihres Beitrags hat ein Chemiker vorgenommen, und dieser Chemiker hat gemeint, Lise Meitner hätte nur eine theoretische Rechnung geliefert“, so Fischer. Dabei habe ihre Erklärung der Kernspaltung grundlegende Einsichten der Atomphysik raffiniert mit einem fundamentalen Ergebnis der Relativitätstheorie kombiniert.
Rückblickend eine Blamage für die Nobelpreisakademie, die Meitner aber nicht sehr getroffen haben dürfte.Viel schlimmer war für die Tochter jüdischer Eltern, dass sie Nazi-Deutschland 1938 kurz vor den entscheidenden Versuchen zur Kernspaltung verlassen musste und an dieser bahnbrechenden Entdeckung nur mehr aus der wissenschaftlichen Isolation heraus mitarbeiten konnte.
Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft