Als der Mond zu taumeln begann

Der Mond wendet uns immer dieselbe Seite zu - aber das war nicht immer so. Unser Begleiter ist in den vergangenen Milliarden Jahren offenbar zur Seite gekippt. Anzeichen dafür haben Forscher an ungewöhnlicher Stelle entdeckt: in uraltem Mondeis.

Auf dem Mond ist es kalt, sehr kalt sogar. Der Nord- und der Südpol des Erdtrabanten gehören nach Ansicht von Astronomen zu den kältesten im ganzen Sonnensystem. Jedenfalls ist es dort kalt genug, damit Wasser, sofern vorhanden, zu Eis gefriert und in schattigen Kratern extrem große Zeiträume überdauert.

Dass es auf dem Mond Eis geben könnte, vermuten Forscher schon seit den 1960er Jahren, nachgewiesen wurde es allerdings erst kurz vor der Jahrtausendwende.

Und zwar mit einer ziemlich ausgefuchsten Methode: Da man in den dunklen Mondkratern wenig erkennen kann, führten Forscher den Nachweis mit Hilfe von Neutronen, die durch die Weltraumstrahlung erzeugt wurden und ihrerseits mit den Wasserstoffatomen des Mondeises in Wechselwirkung traten.

Urpole entdeckt

Mittlerweile haben Astrophysiker mit Hilfe dieser Methode die Oberfläche des Mondes kartiert - und da fällt auf: Die größten Eisvorkommen liegen nicht ganz exakt an den Polen, sondern leicht verschoben.

Wie Forscher um Matthew Siegler im Fachblatt „Nature“ hinweisen, gibt es noch eine zweite Auffälligkeit. Die nördlichen und südlichen Eisregionen liegen in perfekter Symmetrie zueinander. Würde man den Himmelskörper um 180 Grad drehen, kämen sie in genau die gleiche Lage.

Schluss der Forscher: Die Eisvorkommen sind die Überreste des alten Nord- und Südpols unseres Trabanten. Oder anders ausgedrückt: Die Rotationsachse des Mondes muss in Urzeiten ein wenig zur Seite gekippt sein.

Was die Ursachen dieser Polwanderung betrifft, führen Siegler und Co. in ihrer Studie einen Indizienbeweis. Himmelskörper richten ihre Rotation neu aus, sofern sich die Massenverhältnisse in ihnen ändern.

Wäre es etwa möglich, die Masse von Wien auf einen Schlag zu halbieren, würde sich die Rotationsachse der Erde ein klein wenig neigen. Und zwar so, dass Wiens Breitengrad weiter nördlich läge. Das Umgekehrte wäre auch möglich - und genau das ist beim Mond in Urzeiten passiert, behaupten die Forscher.

Auslöser: Erkaltete Vulkane

Nur: Wie kann sich die Dichte im Inneren des Mondes derart verändern, sodass sie - im wahrsten Sinne - ins Gewicht fällt? Durch Vulkanismus, lautet die Antwort von Siegler und seinem Team. Hauptverdächtiger ist eine Region namens „Procellarum-KREEP-Terran“.

Dieses heute stark radioaktive Areal war vor mehr als drei Milliarden Jahren extrem heiß, folglich auch weniger dicht - und könnte somit durch Abkühlung das Kippen der Mondachse ausgelöst oder zumindest angetrieben haben.

Wie stark der Mond einst ins Taumeln geriet, ist noch Gegenstand von Debatten. Siegler veranschlagt sechs Grad, andere Schätzungen gehen von bis zu 36 Grad aus. Das jedenfalls ist noch immer moderat im Vergleich zu dem, was einst mit unserem Planeten passiert ist.

Aus den magnetischen Eigenschaften von Karbonaten schließen Forscher, dass sich die Erdachse vor 800 Millionen Jahren gleich zwei Mal um mehr als 50 Grad verschoben hat.

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: