Frauen wählen anders

Norbert Hofer (FPÖ) mit 27 Prozent nur knapp vor Irmgard Griss: So wäre die Wahl vom Sonntag ausgegangen, wenn nur Frauen gewählt hätten. Dass Frauen anders wählen, ist lange bekannt – und wurde schon bei der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 von vielen befürchtet.

Die einzige Kandidatin der Bundespräsidentschaftswahl, Irmgard Griss, wurde am Sonntag von 26 Prozent der Frauen gewählt. Das ist nur ein Prozent weniger, als Norbert Hofer erhalten hat. Bei Männern wiederum schneidet Alexander Van der Bellen unterdurchschnittlich ab.

Wahlverhalten von Männern und Frauen bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016

Grafik: APA Quelle: APA/ORF/SORA/ISA

"Das Wahlverhalten von Männern und Frauen ist unterschiedlich“, sagt die Historikerin Gertraud Diendorfer vom Demokratiezentrum Wien. Und das wissen Parteien schon lange. „Schon die Einführung des Frauenwahlrechts 1918 war begleitet von der Angst vor der Frau als Wählerin.“

Die christlich-soziale Partei befürchtete, dass die Frauen vor allem sozialdemokratisch wählen würden, sagt Gertraud Diendorfer vom Demokratiezentrum Wien. Was sich aber nicht bewahrheiten sollte: Die Frauen wählten bei der ersten Nationalratswahl 1919 mehrheitlich christlich-sozial. Im Gegensatz zu den Christlich-Sozialen machte sich die Sozialdemokratie bereits Ende des 19. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht stark.

Als erste und auch einzige Partei nahm sie die Forderung nach dem Frauenstimmrecht 1892 in ihr Programm auf. „Die Frauen mussten ihre Interessen aber immer ein wenig hintanstellen“, so Diendorfer. „Das gebot die Parteidisziplin.“ Denn der Anspruch auf das Frauenwahlrecht könnte die Erlangung des Männerwahlrechts gefährden, befürchtete die Parteispitze.

Aktionstage Politische Bildung

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 25.4., 13:55 Uhr.

Wahlrecht für Männer 1907

Mit der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer 1907 erreichte der Ausschluss der Frauen seinen Höhepunkt. Denn zuvor war das Wahlrecht auf die besitzende Klasse beschränkt: Das Abgeordnetenhaus wurde von den Landtagen beschickt, die wiederum mittels Kurienwahlrecht gewählt wurden. Das Wahlrecht in den Kurien, also in den Wählerklassen, war an Besitz und eine bestimmte Steuerleistung gekoppelt.

So kamen ein paar wohlhabende Frauen in der Kurie der Großgrundbesitzerinnen in den Besitz des Wahlrechts. „Für bürgerliche Frauen hat vor allem die individuelle Erfahrung der Diskriminierung dazu beigetragen, sich für das Frauenwahlrecht stark zu machen“, erklärt Diendorfer. Obwohl sie aus wohlhabenden Familien stammten, durften sie im Gegensatz zu ihren Brüdern nicht studieren und lebten in Abhängigkeit vom Mann.

Frauen bis 70er Jahre konservativ, heute weniger radikal

Erstmals wählen durften Frauen bei den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung 1919. Trotz gegenteiliger Befürchtungen gingen sehr viele Frauen zur Wahl: Die Wahlbeteiligung lag bei 82,10 Prozent und damit nur wenig unter der von Männern mit 86,97 Prozent. Der Trend, dass Frauen eher christlich-sozial wählten, hielt bis 1930 an. In der Ersten Republik stellten Frauen die Mehrheit der Wahlbevölkerung.

Auch in der Zweiten Republik wählten Frauen mehrheitlich die ÖVP. Mit einem Frauenanteil von über 60 Prozent der Wahlberechtigten waren Frauen nach 1945 weiterhin maßgeblich wahlentscheidend. „Bis in die 60er Jahre haben Frauen eher konservativ gewählt“, erzählt Gerlinde Diendorfer. „In den 70er Jahren veränderte sich das Wahlverhalten von Frauen. Sie wählten dann eher sozialdemokratisch.“

Wahlverhalten bei Nationalratswahlen seit 1986

Grund dafür war unter anderem die Familienrechtsreform, die den Mann als Oberhaupt der Familie entmachtete und die Emanzipation der Frau ermöglichte. „Politische Positionen, die bereits 1919 von den weiblichen Abgeordneten im Nationalrat gefordert wurden“, sagt Diendorfer.

Nach 1986 wählten Frauen eher sozialdemokratisch, grün und liberal. „Frauen wählen weniger als Männer radikale Parteien“, so Diendorfer. Daher seien Frauen unter den FPÖ-Wählern nur unterdurchschnittlich vertreten – eine Tendenz, die sich auch in der ersten Runde der Bundespräsidentschaftswahl 2016 gezeigt hat.

Juliane Nagiller, Ö1 Wissenschaft

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