Freiheit hat auch an Unis enge Grenzen

Seitdem die EU mit der Türkei eine Vereinbarung zur Flüchtlingsfrage geschlossen hat, reißt die Kritik nicht ab. Die türkischen Medien werden vom Staat geknebelt, ein aktueller Fall zeigt: Auch an den Universitäten hat die Freiheit enge Grenzen.

Im Zentrum der Debatte steht die Petition „Academics for Peace“, die zu einem Symbol des Konflikts zwischen Studierenden und Uni-Personal auf der einen und Staat bzw. Politik auf der anderen Seite geworden ist. Rund 1.200 Studierende, Wissenschaftler und Forscherinnen haben sie unterschrieben und fordern darin einen Abzug der türkischen Streitkräfte aus den Kurdengebieten im Osten des Landes, einen Friedensplan und internationale Beobachter.

„Extrem hartes Durchgreifen“

„Wir haben ein extrem hartes Durchgreifen gegen die Unterstützer dieser Petition gesehen. Gegen sie wurde ermittelt - sowohl von den Universitäten als auch von den staatlichen Behörden“, sagt Daniel Munier vom Netzwerk „Scholars at Risk“, das weltweit Meldungen über politische Verfolgung an Universitäten sammelt und betroffene Studierende und Lehrende unterstützt.

Wer die Petition unterzeichnet, müsse mit Suspendierung oder Entlassung rechnen, manche auch mit Inhaftierung und Anklage wegen „terroristischer Propaganda“, wie es seitens der Behörden heißt. Kürzlich fand gegen vier Universitätsdozenten der erste Prozess statt, er wird im Herbst fortgesetzt. Auch Staatschef Recep Tayyip Erdogan meldete sich in der Causa zu Wort und drohte, dass die „Verräter“ ihren „Preis“ werden bezahlen müssen.

Rat hält die Fäden in der Hand

Das Netzwerk „Scholars at Risk“, dem so gut wie alle namhaften Universitäten weltweit angehören, sieht in den jüngsten Vorfällen den vorläufigen Gipfel einer längeren Entwicklung: „Während der letzten Jahre sind die türkischen Hochschulen und Universitäten immer mehr unter die Kontrolle der Regierung geraten, die Möglichkeiten zur Meinungsäußerung wurden weniger. Wir haben zahlreichende Maßnahmen gesehen, um Studierende und Lehrende davon abzuhalten, ihre akademische Freiheit auszuschöpfen “, so Daniel Munier.

Türkische Polizei vor der Universität Istanbul.

APA/AFP/Ozan Kose

Das türkische Uni-System

In der Türkei gibt es 176 Universitäten und Hochschulen, 104 werden vom Staat, 72 von privaten Non-Profit-Stiftungen finanziert. Knapp 5,5 Millionen Menschen studieren. Zum Thema Brain Drain bekommt man keine konkreten Zahlen. Einen Hinweis, dass Auswanderung tatsächlich ein Problem ist, können die Angaben der European Research Council geben, bei dem sich auch Forscher aus der Türkei um Förderung bewerben können. Demnach verfügen derzeit 31 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft über einen ERC-Grant, 16 davon arbeiten in Forschungseinrichtungen außerhalb der Türkei.

Im Zentrum dieser Entwicklung steht der Rat für höhere Bildung, ein formell unabhängiges Organ, das für die Verwaltung der Universitäten zuständig ist - aber nicht nur das: „Der Rat für Höhere Bildung hält die Fäden in der Hand, wenn es um darum geht, was am Campus passiert - in Sachen Forschung und Publikationen, aber auch was Studierende und Lehrende außerhalb ihrer eigenen akademischen Disziplinen tun dürfen“, heißt es seitens „Scholars at Risk“. Und so sei es auch bei der Friedenspetition dieser Rat für höhere Bildung gewesen, der die Rektoren zu Maßnahmen gegen die Unterzeichner angewiesen hat.

Diese Einschätzung teilen zahlreiche internationale Beobachter, zuletzt hat sie Mehmet Ugur, Ökonomieprofessor an der britischen Universität Greenwich, in einem ausführlichen Beitrag für „Times Higher Education“ beschrieben. Den Protesten gegen die Maßnahmen haben sich zuletzt auch die europäischen Universitäten in Form der „European University Association“ angeschlossen.

Politische Rolle von Universitäten

Die aktuelle Auseinandersetzung in der Türkei wirft ein Schlaglicht nicht nur auf den Umgang des Landes mit der Meinungsfreiheit, sondern auch auf die politische Rolle von Universitäten. Als Zentren für höhere Bildung sind sie traditionell auch Brennpunkte gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Wissenschaftliche Freiheit meint deshalb nicht nur die freie Auswahl von Forschungsfragen und Methoden, sondern auch die Beteiligung von Studierenden und Forschern an Diskussionen, die über ihr Fach hinausgehen. Ob Forschung ohne freie Meinungsäußerung auf hohem Niveau möglich ist, darüber gibt es immer wieder hitzige Diskussionen.

science.ORF.at hat mehrmals sowohl beim Rat für Höhere Bildung als auch beim Rat für Wissenschaftliche und Technologische Forschung in der Türkei um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Die Anfragen blieben bisher unbeantwortet.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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