„Ich hatte zwei Heureka-Momente“

Vor ein paar Jahren noch war Emanuelle Charpentier eine kaum bekannte Molekularbiologin an der Universität Wien. Heute ist sie ein Weltstar. In einem Interview erzählt sie, wie zwei Experimente ihr Leben veränderten.

Falls man bei den Buchmachern auf zukünftige Nobelpreisträger wetten kann, die Französin Emanuelle Charpentier wäre, wie es im Toto heißt, eine Bank: Dass sie und ihre US-Kollegin Jennifer Doudna die Auszeichnung in den nächsten Jahren bekommen werden, gilt als so gut wie sicher.

Grund dafür ist ein auf den ersten Blick unscheinbarer Verteidigungsmechanismus von Bakterien. Die Mikroben wollen verhindern, dass Viren in ihr Erbgut eindringen und sich auf Kosten ihrer Wirte vermehren. Die Lösung für dieses Problem heißt CRISPR/Cas - eine genetische Maschine, mit der die Bakterien Fremd-DNA erkennen und wieder aus ihrem Erbgut entfernen.

Charpentier und Doudna erkannten als erste, dass man dieses von der Evolution geschaffene System auch für die künstliche Manipulation von Genen verwenden könnte. Das war bisher zwar auch schon möglich. Doch mit Hilfe von CRISPR/Cas vermögen Wissenschaftler nun so einfach und so präzise ins Erbgut von Einzellern, Pflanzen und Tieren einzugreifen, sodass sich die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen aufzulösen scheint: Technisch betrachtet ist nun (fast) alles möglich. Zu diesem Urteil kamen auch die Herausgeber des Fachjournals „Science“. Sie wählten Charpentiers Entdeckung zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2015.

Emanuelle Charpentier bei einem Vortrag in Wien

CeMM/Klaus Pichler

Emanuelle Charpentier bei einem Vortrag an der Akademie der Wissenschaften

Heute arbeiten alle Genetiker dieser Welt mit CRISPR/Cas, sofern sie im Erbgut von Lebewesen Sequenzen einsetzen oder herausschneiden wollen. Die Methode ist, obwohl noch jung, längst fixer Bestandteil des Laboralltags. Dass Charpentier die entscheidenden Experimente in Wien durchgeführt hat, darf man in diesem Zusammenhang erwähnen, gleichwohl ist das nicht unbedingt Grund, dies als Auszeichnung für die heimische Forschungslandschaft zu verbuchen.

Denn für Charpentier gab es damals in Österreich keine großen Karriereaussichten. Sie ging 2009, kurz nach ihrer folgenreichen Entdeckung, nach Schweden. Heute ist sie Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.

science.ORF.at: Frau Charpentier, es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass ihre Entdeckung eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst hat. Wie geht es Ihnen mit Ihrer Rolle als Revolutionärin?

Emanuelle Charpentier: Es fühlt sich ein bisschen surreal an, wenn ich mir die Dimension der Entdeckung vor Augen führe: Schließlich arbeitet heute die gesamte Wissenschaftsgemeinde mit dem CRISPR/Cas-System.

War das für Sie überraschend?

Ja und Nein. Wir suchen natürlich immer nach neuen Möglichkeiten, Gene zu manipulieren. Für ein so vielseitiges und einfaches Werkzeug wie CRISPR/Cas bestand zweifelsohne großer Bedarf. Die Möglichkeiten, die sich damit für die Gentechnik eröffnet haben, waren dennoch nicht unbedingt vorherzusehen.

Kann man damit nun das Erbgut von Lebewesen beliebig verändern?

Natürlich hat auch diese Methode ein paar Begrenzungen, doch im Prinzip ist fast alles möglich. Und vor allem: Man kann nun viel präziser ins Erbgut eingreifen, als das früher der Fall war.

Teile des CRISPR/Cas-Systems wurden bereits in den 80er Jahren beschrieben. Sie und Ihre Kollegin Jennifer Douda waren die ersten, die das Potenzial dieser „Gen-Schere“ erkannt haben. Warum haben Sie das gesehen - und die anderen Molekularbiologen nicht?

CRISPR/Cas ist eigentlich ein genetisches Verteidigungssystem, mit dem Bakterien Angriffe von Viren abwehren. Der Aufbau des Systems ist sehr divers. Andere Forscher hatten bis dahin recht komplexe Varianten untersucht. Der Mechanismus, den Jennifer Douda und ich erforscht haben, nämlich CRISPR/Cas9, ist im Vergleich dazu sehr simpel:

Er besteht aus einem Enzym, das von zwei RNA-Molekülen zu beliebigen Stellen im Genom geleitet wird, wo es die DNA auf sehr spezifische Weise zerschneidet. Das funktioniert nicht nur bei Bakterien, sondern in allen Zelltypen und Lebewesen. Es war die Einfachheit dieses Mechanismus, die uns davon überzeugt hat, dass man das auch als Werkzeug für die Gentechnik einsetzen könnte.

Und das war bis dahin nicht offensichtlich?

Keineswegs. Es galt das Dogma: Das System ist für gentechnische Anwendungen viel zu komplex. Und es hätte sich auch herausstellen können, dass CRISPR/Cas9 in Zellen höherer Lebewesen nicht funktioniert.

Hatten Sie einen Heureka-Moment?

Ich hatte zwei. Der erste betraf den Aufbau von CRISPR/Cas9, der zweite die Funktionsweise, also die Art, wie Enzym und RNAs zusammenarbeiten. Die entsprechenden Experimente wurden übrigens von meinen Studenten an der Universität Wien durchgeführt, wo ich bis 2009 tätig war.

Mit welchen Entdeckungen ist in Zukunft zu rechnen?

Es gibt noch andere CRISPR/Cas-Systeme, die ebenfalls sehr einfach aufgebaut sein könnten. Wir haben etwa kürzlich einen Artikel veröffentlicht, in dem wir ein neues Enzym beschreiben, das sowohl RNA als auch DNA schneiden kann.

Im Prinzip könnte man damit auch in die menschliche Keimbahn, also ins Erbgut von Spermien und Eizellen eingreifen. Designerbabys scheinen nun im Bereich des technisch Machbaren - was ist Ihre Position zu diesem Thema?

Ich glaube nicht, dass die Technik heute bereits so weit ist, aber die erste Frage ist natürlich: Wozu sollte man die menschliche Keimbahn genetisch manipulieren? Welchen Nutzen erwartet man sich davon? Meiner Meinung nach sollte man das verbieten.

Zumindest ist vorstellbar, dass es irgendwo Forscher dennoch tun.

Natürlich ist es möglich, dass die Forschungen an menschlichen Zellen weiter in diese Richtung getrieben werden, zumindest in manchen Ländern.

Welche?

Das kann ich nicht sagen, in Europa sind Eingriffe in die menschliche Keimbahn jedenfalls verboten. Die genetische Manipulation von menschlichen Körperzellen zu therapeutischen Zwecken ist allerdings erlaubt.

Wie sieht es mit der Anwendung der Technik auf Stammzellen aus - zum Beispiel auf die sogenannten iPS-Zellen?

Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet, doch wie es aussieht, funktioniert die Methode auch bei iPS-Zellen sehr gut. Das wäre ein Anlass, die bestehenden Regelungen zu überdenken: Wir müssen präziser angeben, wo die Technik erlaubt sein soll und wo nicht.

Könnte man mit Hilfe von CRISPR/Cas auch die Gentherapie weiterentwickeln? Bisher bestand das Problem ja darin, dass die Gentherapie für breite Anwendungen noch viel zu riskant ist.

Das ist zur Zeit eines der aufregendsten Forschungsgebiete mit CRISPR/Cas. Die Idee ist: Man entnimmt aus dem Körper eines Patienten Zellen, korrigiert darin jene Mutationen, die Krankheiten auslösen, und implantiert dann die gesunden Zellen wieder in den Körper des Patienten. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Technik auch bei solchen Anwendungen präzise funktionieren würde. Ob ein solcher Eingriff wirklich sicher wäre, müsste noch nachgewiesen werden.

Interview: Robert Czepel, Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft

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